Journalist Klaus Hofmeister über Demonstrationen, Reich Gottes und Fastenzeit

Warum Kirche und Gesellschaft dringend eine Revision brauchen

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Herausfordernde Zeiten! Werte unserer Demokratie werden angegriffen, der Glaube schmilzt, überall verschieben sich alte Selbstverständlichkeiten. HR-Journalist Klaus Hofmeister erlebt eine „Zeit der Revision“. Seine Frage im Gast-Kommentar: Wo ist mein Standpunkt?

„Am 7. Februar geschlossen wegen Revision…“ las ich im Vorbeigehen an meiner Postfiliale. Ich dachte: „Die Post macht Revision? Zählen die nach, wie viele Briefmarken sie noch auf der Rolle haben?“ Aber das Stichwort „Revision“ blieb hängen. „Revision de vie“ kenne ich als spirituelle Übung der Lebensbetrachtung und Gewissenserforschung. Einfach mal den Laden dichtmachen für eine Bestandsaufnahme. Und sich klar werden: Wo stehe ich selbst, in diesen turbulenten „Zeitenwenden“, die wir kirchlich und gesellschaftlich erleben? Ich glaube, viele sind innerlich gerade in so einem Prozess der Revision, der Be-Stands-Aufnahme.

Einige meiner Bekannten zum Beispiel haben jetzt zum ersten Mal in ihrem Leben demonstriert, zogen mit fremden Menschen auf dem nassen Asphalt im kalten Wind durch die Straßen ihrer Stadt, für die Demokratie, für die Würde des Menschen, gegen Parteien und Positionen, die diese Werte verachten. Wofür stehst Du, wofür gehst Du? Die Frage ist auf der Tagesordnung. Die Zeit der ruhigen Selbstverständlichkeiten hat geendet. Zeit für Revision und Zeit für Konsequenzen.

Auf jeden Fall dabei bleiben?

Der Autor
Klaus Hofmeister ist katholischer Diplom-Theologe und Redakteur für Kirche und Religion beim Hessischen Rundfunk. Er lebt in Kahl am Main.

Das gleiche gilt kirchlich. Auch da ist die Zeit der Selbstverständlichkeiten zuende, dass man auf jeden Fall „dabei“ ist und „dabei bleibt“. Freundinnen und Freunde mitten aus dem kirchlichen „Milieu“ offenbaren mir frei und ohne Scham, dass sie ausgetreten sind. Dass es für sie gereicht hat. Die eigenen Kinder sehen nach dem Studium im Beruf ihre ersten Gehaltsabrechnungen und machen dann ihre Kosten-Nutzen-Rechnung mit ähnlichem Ergebnis. Wer noch dabei bleibt, spürt Rechtfertigungsbedarf.

Aber was heißt schon „dabei bleiben“? Bei der Kirche, bei der Sache Jesu? Wo ist der Fokus? Was kann ich an kirchlichem Versagen „noch“ tolerieren, wo gehe ich auf Distanz zur Kirche, um bei der Sache Jesu bleiben zu können? Die Bestandsaufnahme ist fällig. 

„Ab Aschermittwoch geschlossen für Revision“

Und jenseits der lauten, aufgeregten Schlachten um Kirchenstruktur und Kirchenreform geht die Frage nach innen. Die Brücke in eine kirchliche und christliche Zukunft entsteht durch viele einzelne Menschen, die in einer stillen Revision für sich klar kriegen, wo ihre Berufung ist und dass sie diese gelassen und standfest im Alltag leben. Sie müssen ihre „Sendung“ nicht demonstrativ auf der Straße präsentieren, sondern sie entschieden und still einfach leben. Indem sie mit ihrer jeweiligen Begabung an ihrem Ort etwas vom Reich Gottes verspüren lassen. In der Kirche, am Rande der Kirche, oder ganz draußen in der „Welt“. Dabei untergründig verbunden mit all den anderen, die das versuchen, wie die Pilze, die über Kilometer unterirdisch ein Wurzelnetz bilden können. Und deren Früchte sich zeigen, wenn die Zeit reif ist.

Der Weg in die Zukunft entsteht – gesellschaftlich und kirchlich – aus den Herzen und unter den Füßen solcher Menschen, die Revision halten und wissen, wofür sie stehen und wofür sie gehen. Die Fastenzeit ist traditionell auch eine Gelegenheit für solche Klärungen. „Ab Aschermittwoch geschlossen für Revision“, könnte es dann heißen. Warum nicht? 

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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