Kirche+Leben-Interview zu Wiederbelebung des "Patriarchen des Abendlandes"

Warum nimmt Franziskus einen alten Papst-Titel wieder an, Herr Schüller?

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Franziskus hat den Papst-Titel “Patriarch des Abendlandes” wiederbelebt. Kirchenrechtler Thomas Schüller hat sich vor Jahren mit einer Vorlesung zu exakt diesem Titel um den Lehrstuhl in Münster beworben. Er erklärt, warum Franziskus' Entscheidung ein Fortschritt ist.

Herr Schüller, bislang dachte man immer, Papst Franziskus schaffe eher Kirchentitel ab, zum Beispiel "Apostolischer Protonotar" und "Ehrenprälat seiner Heiligkeit". Warum führt er nun wieder einen ein?

Franziskus revidiert eine fatale Fehlentscheidung seines Vorgängers, der im März 2006 überraschend erklärt hat, zukünfig auf den Titel "Patriarch des Abendlandes" zu verzichten. Der jetzige Papst belebt damit wieder einen der wichtigsten Amtstitel des Bischofs von Rom aus der frühen Kirche, der ökumenisches Potenzial besitzt, um mit den getrennten Kirchen des Ostens zu einer Verständigung über eine neue Form der Ausübung des Papstamtes zu kommen. Angefangen von Papst Paul VI. über Papst Johannes Paul II. in seiner berühmten Enzyklia  "Ut unum sint” aus dem Jahr 1995 war es schon lange der Wunsch dieser Päpste bis eben mit der Ausnahme von Papst Benedikt XVI., über die Struktur der fünf Patriarchate der einst einen katholischen Kirche zu einer Neubestimmung des Papstamtes zu kommen, das ja seit 1870 ein massiver Stolperstein für die Ökumene ist.

Warum denn hat Benedikt XVI. den Titel „Patriarch des Abendlandes“ kurz nach seinem Amtsantritt abgeschafft?

Zusammen mit dem damaligen Ökumeneminister Kardinal Walter Kasper wurden recht fadenscheinige Argumente für den Verzicht auf diesen Titel vorgetragen. So gebe es für diesen Ehrentitel kein fest umrissenes Territorium mehr und zudem weise der Begriff Abendland inzwischen weit über Europa  hinaus. So könne auch keine entsprechende Jurisdiktion über dieses unklare Gebiet ausgeübt werden und der Titel sei daher obsolet geworden. Von daher sei es, wie Kardinal Kasper formulierte, "sinnlos, darauf zu bestehen, ihn hinter sich herzuschleppen". Der Titel sei nicht mehr zeitgemäß. Diese Erklärungen sind inhaltsleer, wirkten schon damals reichlich vorgeschoben und wurden von den getrennten Kirchen des Ostens als antiökumenisches und damit zugleich unfreundliches Signal kritisch betrachtet.

Und warum führt ihn Franziskus nun wieder ein?

Darüber wissen wir noch nichts Genaues. Es ist eine erfreuliche Geste gegenüber den getrennten Ostkirchen verschiedener Provinienz, die diese Patriarchate Alexandrien, Antiochien, Jerusalem und Konstantinopel, das heutige Istanbul, durchgetragen und mit Patriarchen besetzt haben. Das gilt auch für die mit Rom unierten Ostkirchen in ihrem Eigenrecht.

Was bedeutet der Titel „Patriarch des Abendlandes“ überhaupt? 

In der frühen Kirche wurde dem Bischof von Rom dieser Titel zugesprochen, der wie die anderen vier Patriarchen in seinem Territorium rund um das westliche Mittelmeer für die freie Bischofs- und Patriarchenwahl, die selbstständige Gestaltung der Liturgie und des Kirchenrechts sowie die Ausbildung einer eigenen Disziplin wie eigenständigen Verwaltung verantwortlich war. Die Patriarchate waren dezentrale Strukturen mit der Gewähr für die Ausbildung einer eigenen Tradition in den genannten Bereichen und stehen für eine legitime Vielfalt von Leitungsverantwortung in der Kirche.

„Stellvertreter Jesu Christi“, „Pontifex maximus“, „Diener der Diener Gottes“ – all das sind weitere Titel, die auch Franziskus beibehält. Reicht nicht „Papst“ oder „Heiliger Vater“? 

Die Wiederaufnahme des Titels Patriarch des Abendlandes ist ein ernst zu nehmendes gutes ökumenisches Zeichen an die anderen Kirchen, dass Franziskus es wirklich ernst meint mit dezentralen Strukturen. Er setzt damit das um, was der heilig gesprochene Papst Johannes Paul II. in “Ut unum sint” gefordert hat, nämlich "eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet". Die Wiederbelebung der Patriarchatsstruktur aus der frühen Kirche bietet die Chance, das römisch-katholische, seit 1870 einzementierte Papstamt wieder auf das notwendige Maß zurückzuführen und stärker dezentralen patriarchalen Strukturen zur Geltung zu verschaffen. 

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