Vom Arme-Leute-Essen zum Superfood

Was Münsters Kirchenglocken über dicke Bohnen erzählen

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Es ist Dicke-Bohnen-Zeit! Heute begehrtes Superfood, sollten dicke Bohnen früher vor allem eins: satt machen. Die Glocken in Münster spielten dabei eine ganz besondere Rolle, so wie das Gemüse bis heute Politik und Kirche an einen Tisch holt. Naja, bis zu diesem Jahr.

Dicke Bohnen haben gerade Saison. Sie kosten um zwei Euro 50 das Pfund, man braucht aber für vier Personen mindestens vier Pfund. Denn vor dem Kochen muss man die Bohnensamen ja erstmal frisch aus den Schoten palen, da bleibt nicht viel übrig.

Dicke Bohnen sind also heute eine recht teure Delikatesse. Die Schoten müssen – von wem auch immer – einzeln von Hand geerntet und auf den Markt gebracht werden. Früher waren sie eher ein sättigendes „Arme-Leute-Essen“, so nannte man das damals nach dem Krieg, als man noch nicht wusste, dass diese Bohnen dem Fitness-Body als proteinhaltiges Superfood dienen. Die Bohnen wuchsen früher im Hinterhof, und wer keinen Hinterhof hatte, kaufte sie billig auf dem Markt.

„Graute Baun“, läutet der Dom.

Aus dieser Zeit stammt ein „Dicke Bohnen-Glockenspiel“ der münsterschen Innenstadt-Kirchen. Trotz ihrer widrigen Lebensbedingungen hatten die Leute offenbar Humor und verstanden das Dom-Geläut als Aufforderung, sich günstige Lebensmittel zu beschaffen. An Markttagen verkündeten die schweren Glocken des Doms das Dicke-Bohnen-Angebot auf dem Marktplatz zu Füßen des Doms: „Graute Baun, graute Baun.“ Wer wissen will, wie die Domglocken in den Ohren klangen, spricht einfach mal das Plattdeutsche nach: „Chchrauuute Bauuun…“

St. Lamberti schräg gegenüber am feinen Prinzipalmarkt antwortete mit pikierter Bürger-Attitüde und echauffiertem, leicht erhöht-genervten Glockenton: „Ik mag se nich, ik mag se nich.“ Dann schaltete sich St. Antonius dazu und läutete für die einfache Pluggendorfer Bevölkerung Bedarf ein: „Smiet se mir man tau, smiet se mir man tau, smiet se mir man tau, smiet se mir man tau.“ Schließlich bekam die helle, einfache Bimmel der armen Klarissen an der Scharnhorststraße Wind vom Bohnen-Angebot: „Ik mak se wull, ik mag se wull, ik mak se wull, ik mak se wull.“

Karriere auf der Speisekarte

Die Dom-Glocken schlagen heute so getragen wie damals. Pluggendorf dagegen ist kein kleinbürgerlicher Stadtteil mehr, das Klarissen-Klösterchen längst abgerissen, und Restaurant-Besucher am Prinzipalmarkt bestellen inzwischen mit Vorliebe regional, saisonal und frisch.

Nach alter Tradition kehrt der Bischof von Münster im Anschluss an die große Pest- und Brand-Prozession mit den Honoratioren der Stadt „unterm Bogen“ bei Stuhlmacher zu dicken Bohnen mit Speck ein. Früher ging fast der ganze Stadtrat mit, im vergangenen Jahr 2022 waren auf Einladung des Oberbürgermeisters rund 20 Prozessions-Gäste mit Bischof Felix Genn bei „Stuhls“. In diesem Jahr mussten die Bohnen mit Speck zumindest im Stammlokal ausfallen. Denn Stuhlmacher hat jetzt sonn- und feiertags geschlossen: Fachkräftemangel zwingt dazu. Deshalb also ist auch die Ernte der dicken Bohnen heutzutage so teuer. 

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