Tom Hegermann zur Art und Weise, miteinander zu diskutieren

Wenn Fakten nicht ausreichen, können vielleicht Emotionen weiterhelfen

Anzeige

Wenn Fakten nicht mehr zählen, wird eine sachliche, nahe emotionslose Debatte fast unmöglich. Aber vielleicht hilft es gerade dann, emotional die eigene Geschichte zu erzählen, ohne aggressiv zu werden. Denn aufgeben geht nicht, sagt Journalist Tom Hegermann in seinem Gast-Kommentar.

Von der ZDF-Journalistin Dunja Hayali stammt der Satz: „Sie können Ihre eigene Meinung haben, aber nicht Ihre eigenen Fakten.“ Das ist sehr treffend formuliert. Nur leider fühlen sich die, die mit dem Satz getroffen werden sollen, überhaupt nicht getroffen. Die halten Fakten für völlig überbewertet.

Es gibt noch einen klugen Satz: „Wenn die einen sagen, die Erde ist eine Kugel, und die anderen, sie ist eine Scheibe, dann kann es nicht ernsthaft darum gehen, einen Kompromiss zu finden.“ Aber auch das ist denen, die an die Scheibe glauben, herzlich egal.

Wenn Fakten nicht mehr zählen

Und damit sind wir beim Kern praktisch aller politischen Debatten, die wir in diesen Tagen führen: Mit Fakten erreichen wir viele Menschen nicht mehr. Denen ist der Klimawandel egal. Die wollen ein dickes Auto fahren. Die wollen nicht sehen, dass wir Zuwanderung brauchen. Die wollen Sündenböcke. Die wollen auch gar nicht diskutieren. Sie wissen es ja eh besser.

Jetzt könnten wir die Schultern zucken und beschließen, dass solche Gespräche sinnlos sind. Aber das hieße, auch diese Menschen aufzugeben. Ja letztlich unsere Demokratie aufzugeben. Und das verbietet sich von selbst.

Emotionen nicht automatisch Aggression

Der Autor
Tom Hegermann hat als Journalist unter anderem 25 Jahre lang im Radioprogramm von WDR 2 moderiert. Heute arbeitet er vor allem als Moderator von Veranstaltungen und als Trainer rund um das Thema „Handwerk fürs Mundwerk“.

Aber was setzen wir der aggressiven Verweigerung entgegen? Das Problem ist, dass wir uns selbst angesichts der Aggressivität eigene Emotionen verbieten. Dabei ist Emotion ja nicht automatisch Aggression. Ich hab das vor einiger Zeit mal bei Facebook ausprobiert. Ich lag nach einer Operation im Krankenhaus und hab geschildert, wie sich dort Menschen aus aller Welt um mich gekümmert haben. Einige werde ich nie vergessen. Nicht den Pfleger aus Spanien, der am liebsten in der Nacht arbeitet und, nachdem ich ihn viermal rausklingeln musste, sagte: „Klingeln Sie ruhig nochmal, wenn es Ihnen nicht gut geht.“

Nicht die OP-Krankenschwester, die mit Victory-Zeichen in den OP tanzte, weil sie aus Kolumbien kommt und am Abend vorher ihr Team gegen Deutschland gewonnen hatte. Nicht die Frau aus Sri Lanka, die mir das Essen brachte und bei der „Früchtetee“ und „Frühstückstee“ immer gleich klangen.

Einfach mal anrühren lassen

Ich hab nicht mit Zahlen argumentiert, ich hab nur die Geschichte erzählt. Was ist passiert? Dutzende von Menschen haben ähnliche Geschichten erzählt. Haben sich bei ihren Pfleger*innen bedankt.

Haben sich einfach anrühren lassen. Manchmal ist das Herz wichtiger als der Kopf. Und manchmal erreichen wir über das Herz mehr als über den Kopf.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

Anzeige