Am Sonntag wird „Fratelli tutti“ veröffentlicht

Wie entsteht eine Enzyklika? Papst Franziskus gewährt Einblick

  • Am Sonntag veröffentlicht Papst Franziskus seine neue Enzyklika.
  • Wie entsteht so ein Schreiben eigentlich? Schreibt der Papst alles selbst?
  • Dazu hat er überraschende Einblicke gewährt.

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Katholiken rund um den Globus blicken auf die Veröffentlichung der Papst-Enzyklika „Fratelli tutti“ am Sonntag. Viele erhoffen sich maßgebliche Denkanstöße für die Gestaltung einer gerechteren Weltordnung nach der Corona-Krise.

Derweil wird im Vatikan bis zuletzt an den Übersetzungen gefeilt. Jedes einzelne Wort ist von Bedeutung. Denn Enzykliken beanspruchen in der katholischen Kirche ein hohes Maß an Verbindlichkeit. Doch wie kommen solche Lehrschreiben zustande? Schreibt Franziskus alles selbst?

 

Die Geschichte der vorherigen Enzyklika

 

Der Papst gewährte dazu erstaunlich offene Einblicke – am Beispiel seiner Umweltenzyklika „Laudato si“. Der Text von 2015 gilt als Markstein des päpstlichen Lehramts und trägt unverkennbar die Handschrift des Argentiniers. Es handelt sich um eine Hymne auf die Schönheit der Schöpfung. Nicht weniger als 18 Ausrufezeichen setzte Franziskus ein, um sein Anliegen mit Nachdruck zu vermitteln – ein für offizielle päpstliche Einlassungen eher untypisches Stilmittel.

So originell wie die Enzyklika ist auch ihre Genese. Als Anfang September eine Expertengruppe im Vatikan zu Gast war, um sich mit dem Papst über „Laudato si“ auszutauschen, legte der kurzerhand sein Redeskript zur Seite. Stattdessen plauderte er aus dem Nähkästchen.

 

„Weg des Verstehens“

 

„Ich will mit einem Stück Geschichte beginnen“, sagte er: „2007 fand in Brasilien, in Aparecida, die Konferenz der lateinamerikanischen Bischöfe statt. Ich war in der Gruppe der Herausgeber des Schlussdokuments, und es gab Vorschläge in Sachen Amazonasgebiet. Ich sagte: ,Diese Brasilianer, wie sehr sie einem mit diesem Amazonien auf die Nerven gehen! Was hat das mit Evangelisierung zu tun?' Das war ich – im Jahr 2007.“

Doch dann habe er „einen Weg der Bekehrung, des Verstehens“ eingeschlagen und das zugrundeliegende ökologische Problem erkannt. Schließlich sei die Umweltenzyklika herausgekommen. „Vorher habe ich gar nichts verstanden“, räumte der 83-Jährige ein.

 

Die Rolle von Segolene Royal

 

Franziskus erzählte weiter: „Als ich [im November 2014] nach Straßburg zur EU fuhr, schickte Präsident Hollande seine Umweltministerin Segolene Royal, um mich zu empfangen. Wir unterhielten uns am Flughafen. Zuerst nur ein wenig, weil das Programm drängte. Aber dann, am Ende, vor der Abreise, mussten wir eine Weile warten und redeten weiter. Und Frau Segolene Royal sagte mir Folgendes: ,Stimmt es, dass Sie etwas über Ökologie schreiben? Bitte veröffentlichen Sie es vor dem Treffen in Paris!'“

Also habe er sein Team angerufen, das zu dieser Zeit mit dem Thema befasst war – eine Gruppe Wissenschaftler, eine Gruppe von Theologen. „Ich rief dieses Team an und sagte: ,Das muss vor der Pariser Klimakonferenz herauskommen.' – ,Warum?' – ,Um Druck auszuüben.'“

 

Wissenschaftler, Philosophen und Theologen helfen

 

Von Aparecida bis „Laudato si“ sei es eine „innere Reise“ gewesen, erläuterte der Papst. Im Zug der Arbeiten hätten zunächst einschlägige Experten für ihn den aktuellen Stand der Wissenschaft zusammengefasst. Der Auftrag lautete: „Sagen Sie mir die Dinge, die klar sind und die bewiesen sind. Keine Hypothesen, sondern die Realitäten, Fakten.“

Dann habe er Philosophen und Theologen kontaktiert: „Ich würde gerne eine Reflexion darüber anstellen. Arbeitet ihr und redet dann mit mir darüber.“ Nach einer ersten Zuarbeit seien die weiteren Schritte vom ihm selbst koordiniert worden. „Und am Ende habe ich die Schlussredaktion vorgenommen. Das ist der Ursprung.“

 

Ob „Fratelli tutti“ ähnlich einschlägt?

 

Das Resultat ist eine Enzyklika, die gute Chancen hat, als wichtigstes Schreiben des Franziskus-Pontifikats in die Geschichte einzugehen. Die Sorge um das „gemeinsame Haus“, wie es im Untertitel heißt, beschäftigt beileibe nicht nur die Kirche. Kaum eine bedeutende Organisation oder politische Kraft, die sich nicht der Worte des Papstes bedient, wenn es um Nachhaltigkeit, Umwelt und Klimaschutz geht. Begriffe wie „ökologische Schuld“ oder „Wegwerfkultur“ sind in den allgemeinen Sprachschatz übergegangen.

Ob „Fratelli tutti“ ähnlich einschlägt? Eines steht für den Autor fest: Aus einer solchen Krise, wie sie die Menschheit derzeit erlebe, komme man nie unverändert wieder heraus – „nur besser oder schlechter“.

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