Missio-Expertin über das Land, die Lage der Christen und die Sicherheit

Wie gefährlich ist die Irak-Reise des Papstes, Frau Elbracht?

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Am Freitag beginnt Papst Franziskus seinen Irak-Besuch. Romina Elbracht ist stellvertretende Leiterin der Auslandsabteilung des Hilfswerks Missio in Aachen und Länderreferentin für den Nahen Osten, Nordafrika und Pakistan. Im Interview beschreibt sie die gesellschaftliche, religiöse und die Sicherheitslage im Irak und sagt, welches Signal die Papstreise sendet.

Frau Elbracht, wie bewertet Missio die aktuelle Lage im Irak?

Die Situation ist kaum gefestigt. Zwar scheint sich das Land unter Ministerpräsident Mustafa al-Kadhimi politisch etwas stabilisiert zu haben. Auch versucht die Regierung, den Einfluss islamistischer Milizen einzudämmen. Aber der Wiederaufbau nach dem jahrelangen Krieg und dem Terror der Miliz „Islamischer Staat“ läuft weiter sehr schleppend. Die Elite ist korrupt und gesellschaftliche Gruppen arbeiten noch zu wenig zusammen, um den Irak wirklich voranzubringen.

Welche Rolle spielen Terroristen und Milizen noch?

Die Sicherheitslage ist prekär, es gibt immer wieder Anschläge. Der IS gilt zwar als besiegt, wirkt aber im Untergrund weiter. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit treibt den Milizen mit ihren einfachen Botschaften Anhänger zu. Sunnitisch-islamistische Akteure werden zum Beispiel von der Türkei unterstützt, die sich dadurch einen erhöhten regionalen Einfluss erhofft. Der östliche Nachbar und frühere Kriegsgegner Iran verfolgt ebenso eigene Interessen – unter besonderer Beobachtung der USA.

Wie geht es den Christen im Irak?

Auch sie leiden darunter, dass es nach den IS-Gräueln kaum gesellschaftlichen Zusammenhalt gibt. Die Frage „Was sind gemeinsame Ziele?“ stellt sich nicht nur dem Land als Ganzes, sondern auch den Christen über verschiedene Riten hinweg. Die Missio-Partner sagen, nach der Vertreibung durch den IS seien bisher nur 8.000 christliche Familien in die Ninive-Ebene im Nordirak zurückgekehrt. Unzählige Häuser dort sind zerstört, geplündert oder noch von Islamisten besetzt. Gerade in dieser Region ist der Wiederaufbau von Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildungssystem auch ein Problem der Christen.

Welches Signal geht vom Papstbesuch aus?

Der chaldäisch-katholische Erzbischof von Erbil, Baschar Warda, hat vor einigen Tagen gesagt, es sei vielen nicht bewusst, dass Christen Ureinwohner des Irak sind. Ähnlich hat sich der Ministerpräsident geäußert. Da ist der Papstbesuch eine psychologische Stärkung – für die Christen und das ganze Land.

Wie gefährlich ist der Besuch?

Neben aller Vorfreude, die offizielle Stellen und Christen äußern: In sozialen Netzwerken sind auch kritische Stimmen zu vernehmen. Da setzt die im Irak geplante Begegnung von Franziskus mit dem schiitischen Großajatollah Ali al-Sistani ein entscheidendes interreligiöses Zeichen. Und ein Anschlagsrisiko ist immer da. Aber vielleicht hilft Corona sogar ein bisschen – es darf ja keine großen Menschenansammlungen geben.

Was können deutsche von irakischen Christen lernen?

Beharrlichkeit und Hoffnung. Sie haben trotz Verfolgung und Gewalt die Hoffnung und die zentralen Botschaften des Glaubens nicht verloren – über die Grenzen aller katholischen, ostkirchlichen oder anderen Riten hinweg.

Wie können deutsche Katholiken den Christen im Irak helfen?

Der Irak scheint aus dem Fokus des Westens geraten zu sein. Da sendet der Papstbesuch das Signal: „Ihr seid nicht vergessen, ihr seid unsere Schwestern und Brüder.“ Wir können im Gebet an sie denken. Und Missio und andere Organisationen unterstützen die Christen dort, wo wir gebeten werden. Wir arbeiten mit Partnern aller christlicher Bekenntnisse zusammen. Das verstehen wir auch als Ermutigung an die Christen im Land, sich als Gemeinschaft zu verstehen und zusammen zu arbeiten.

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