Gast-Kommentar von Ruth Lehnen zum institutionellen Narzissmus in der Kirche

Woran die „Aufarbeitung“ krankt

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Die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche in Deutschland ist vielerorts im Gange. Dennoch bleibt noch sehr viel zu tun, erklärt Journalistin Ruth Lehnen in ihrem Gast-Kommentar.

Je mehr Papier beschrieben wird und je mehr Ansprechpersonen es gibt rund um die sogenannte Aufarbeitung des Missbrauchs in der katholischen Kirche, desto besser müssten die Ergebnisse doch sein – so könnte man denken. Und umso weniger mag mancher von dem quälenden Thema Missbrauch hören.

Aber nein, leider ist es um die Aufarbeitung innerhalb der katholischen Kirche noch nicht gut bestellt. Gerade jetzt ging der Fall eines Mannes durch die Medien, der als Priester und verurteilter Missbrauchs­täter seine Wirkungsstätten so wechselte, dass er seine Verbrechen vertuschen und in der Ukraine, im Fahrwasser des kirchlichen Hilfswerks Renovabis, weitere Verbrechen begehen konnte. Mittlerweile hat er um seine Entlassung aus dem Klerikerstand gebeten und ist seit dem 22. April kein Priester mehr.

Kirche reagiert nicht auf Betroffene

Die Autorin:
Ruth Lehnen ist stellvertretende Redaktionsleiterin der Bistumszeitungen Mainz, Limburg und Fulda. Sie schreibt gern über Menschen. Derzeit vor allem in ihrer Serie „Gefragte Frauen“ (www.kirchenzeitung.de).

Seine Taten liegen lange zurück. Für die Betroffenen sind sie aber jeden Tag präsent. Vom Februar datiert dazu ein Offener Brief des Betroffenenbeirats der Bistümer Fulda-Limburg-Mainz. Nicht darauf reagierten die kirchlichen Stellen. Sondern erst, nachdem sich die Süddeutsche Zeitung der Sache angenommen hatte, gab es Antworten auf die Fragen und jetzt eine Entschuldigung des Hauptgeschäftsführers von Renovabis, Thomas Schwartz.

Die Kirche ist immer noch nicht entschlossen auf Seiten der Betroffenen, entgegen anderslautender Versicherungen. Woran liegt das? Den Schlüssel dazu hat Pater Klaus Mertes geliefert, der 2010 den Missbrauch im Canisius-Kolleg Berlin öffentlich gemacht hatte. Er erklärt das oft zögerliche Verhalten der Kirche mit dem Begriff des „institutionellen Narzissmus“. Institutioneller Narzissmus bedeutet, dass vieles, was im Feld der Aufarbeitung geschieht, der Institution selbst dienen soll. Es soll vor allem dazu beitragen, die Kirche als lernfähig darzustellen – sie gut dastehen zu lassen.

Haltungsänderung wird verhindert

Missbrauch wird dabei gern als etwas „von gestern“ angesehen, das heute so nicht mehr vorkommen könne. Institutioneller Narzissmus verhindert eine radikale Haltungsänderung der Kirche, in der Kommunikation mit den Betroffenen an erster Stelle steht. Eine solche Haltungsänderung hat jetzt wieder der Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz gefordert.

Mit den Missbrauchten in der Ukraine, so hört man, gab es nach der Aufdeckung der Taten keinen Kontakt mehr. Bis heute.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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