Die „Schortenser Bibel“ von Benno Lockmann hat auch besondere Bilder

970 Seiten in vier Jahren: Warum ein Unternehmer die Bibel abtippt

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Benno Lockmann hat Bibeln gesammelt, aber nicht gelesen. Im Ruhestand schrieb er das Alte und das Neue Testament komplett ab, ließ sie als Bildband mit Fotos aus der heimatlichen Pfarrkirche drucken. Der Ex-Unternehmer aus der friesischen Diaspora machte überraschende Erfahrungen.

Ein Mann, der im Ruhestand über Jahre die Bibel abschreibt, Altes und Neues Testament, Vers für Vers – was wird das für ein Mensch sein? Ein Bücherwurm? Ein Mann, der nun mit seinen Bibelfestigkeit prahlt?

Benno Lockmann aus dem friesischen Schortens ist ganz anders. Ein drahtiger, langer Mann öffnet die Tür, mit seinen 82 Jahren ein sportlicher Typ. Er berichtet von seiner Leidenschaft für den Radsport, zeigt sein Rennrad im Hausflur. Berichtet von seinen beiden Töchtern in Bonn und Jever. Wie er die Kolpingsfamilie in Schortens gründete und wie lebendig die noch ist.

Erfolgreicher Manager

Dass er in Garrel aufgewachsen ist, aber schon vor 50 Jahren nach Friesland kam. Dass er eine Textil-Kette als Geschäftsführer geleitet hat. Wie die Firma in Spitzenzeiten eine Million Jeans im Jahr verkaufte und zweistellige Millionenbeträge umsetzte.

Und die Bibel? Ach ja ... Lockmann holt zwei weiße Bände aus dem Schrank. Sanft streicht er über den Buchrücken, nickt zufrieden. Fester Einband, Fadenbindung, Lesebändchen. Innen Hochglanzpapier, die Fotos im Buch kommen bestens zur Geltung. Zwei 558 und 412 Seiten dicke Bücher, das ist seine „Schortenser Bibel“.

Bibeln gesammelt

Prachtvolle Bibeln hat Benno Lockmann schon immer gesammelt. | Foto: Franz Josef Scheeben
Prachtvolle Bibeln hat Benno Lockmann schon immer gesammelt. | Foto: Franz Josef Scheeben

In seinem Haus hat Benno Lockmann 21 besondere Bibeln gesammelt. Er mag die solide und künstlerische Gestaltung von Bibeln. Eine Bibel mit Bildern von Marc Chagall, eine mit Bildern von Friedensreich Hundertwasser. Eine Ikonen-Bibel, eine schwedische Prachtbibel, eine holländische Fliesenbibel. Eine Bibel mit Miniaturen von Mattäus Merian, eine Nachbildung der Gutenberg-Bibel. Eine Bibel in festem Ledereinband mit Schloss, eine Bibel in einem Einband aus Kirschholz. In mehr als 30 Jahren gesammelt.

Bis am Weihnachtsfest 2006 seine Tochter Ute, selbst promovierte Theologin, mit ihm die Bibeln betrachtete und lächelnd fragte: „Liest Du die denn auch?“

Gelesen hat er Bibeln nie

Zerlesen ist keine der 20 Bibeln. „Auf dem Schoß halten kann man sie ja nicht so einfach, die sind alle unhandlich“, sagt Lockmann. Überhaupt: Die ganze Bibel lesen? Eigentlich nicht notwendig. Schließlich werde ihm ja sonntags in der Kirche das Evangelium verkündet.

Aber die Frage der Tochter saß fest wie ein Stachel.  Die Bibel lesen, ganz lesen – vielleicht einen Versuch wert. Denn Benno Lockmann hatte damals auf einmal Zeit. Er hatte sich gerade in den Ruhestand verabschiedet. Seine Tochter hatte ihm eine handliche Bibel geschenkt, Anfang 2007 begann er zu lesen.

Er wollte nicht aufgeben

Kunstwerke aus der Kirche in Schortens illustrieren Lockmanns Bibel. | Foto: privat
Kunstwerke aus der Kirche in Schortens illustrieren Lockmanns Bibel. | Foto: privat

Aber sein Kopf war nicht frei, alltägliche Probleme lenkten ihn ab, konzentriertes Lesen fiel schwer. Ihm wurde klar: Die Bibel ganz lesen, von vorne bis hinten – das würde er nicht schaffen. Also Schluss mit dem Vorsatz? Undenkbar. Lockmann hatte eine große Firma geführt, „und das geht nicht, wenn Sie bei Problemen vorschnell aufgeben“.

Er fand einen Ausweg: die Bibel abschreiben. „Beim Schreiben müssen Sie sich konzentrieren, um alles gut zu Papier zu bringen. Dann bleibt das Geschriebene haften.“ Er begann mit einem Füllfederhalter auf Papier. Und war bald unzufrieden mit dem Schriftbild. „Das ist ja jeden Tag anders“, gut ausgesehen habe es nicht.

Geschrieben am PC

Neue Idee: auf dem Computer schreiben. Lockmann setzte sich in die Ecke seines holzvertäfelten Arbeitszimmers und begann zu schreiben. Mit der Einheitsübersetzung der Bischofskonferenz links vom Bildschirm, Satz für Satz als Word-Datei. Er hatte seinen Weg gefunden.

Er schrieb mal eine, mal fünf Stunden. Er schrieb nicht jeden Tag, manche Monate auch gar nicht („in schönen Sommern“). Nach vier Jahren war sein Werk fertig, elektronisch wenigstens. Nachzulesen, aber nicht greifbar.

Mit Bildern seiner Pfarrkirche

Zwei Bände und 970 Seiten umfasst die „Schortenser Bibel“. | Foto: Franz Josef Scheeben
Zwei Bände und 970 Seiten umfasst die „Schortenser Bibel“. | Foto: Franz Josef Scheeben

Daran wagte er sich erst jetzt. Denn ihn bewegte der Gedanke, das Manuskript als „Schortenser Bibel“ herauszubringen. Eine Bibel, nicht nur abgeschrieben von einem Mann aus Schortens. Sondern auch illustriert mit Bildern aus Schortens. Genauer: mit Bildern aus Lockmanns Heimatkirche Heilige Dreifaltigkeit. Fotos, die er selbst gemacht hat.

Etwa von der Türklinke: außen die Nachbildung eines Teufels. Innen die Nachbildung eines Engels. „Zeichen für den Mensch vor und nach dem Gottesdienst“, sagt er augenzwinkernd. Oder Fotos von den Kirchenfenstern, für die kleine Kirche ungewöhnlich groß. Sie stammen aus der Mutterkirche St. Willehad, verstaubten dort auf dem Dachboden.

Oder Fotos von den üblicherweise wenig beachteten Apostelsteinen an den Wänden. Hier sind es Originalsteine aus zwölf Kirchen, die mit der Kirche in Schortens irgendwie eine Beziehung haben. Die benachbarte Kirche St. Joseph Roffhausen etwa, inzwischen abgerissen. Oder die evangelische Kirche im Nachbarort.

Kenner der Kirchenkunst

Lockmann erzählt begeistert von solchen Einzelheiten, wohl wenige kennen die Kirche so gut wie er. Denn er gehörte 25 Jahre zum Kirchenausschuss, der die Kirche erweiterte und umbaute. Lockmann hat nicht nur den Bau begleitet und gestaltet, er hat damals auch eine neue Beziehung zu Bau und Kunstwerken gewonnen. Deshalb wurde es ihm wichtig, die Schönheit seiner friesischen Heimatkirche zu dokumentieren.

Satz für Satz die Bibel abschreiben, über Stunden. Da müssten sich doch Abschnitte einprägen? Das haben sie, „beim Schreiben konzentriert man sich, da bleiben die Stellen haften“. Aus dem Alten Testament etwa die Bücher Jesus Sirach und das Buch der Weisheit, von deren reichen Gedanken Lockmann geradezu schwärmt.

Manche Texte schwierig

Mit manchen Bibeltexten hatte er ernste Probleme. Etwa bei dem Bericht über die Landnahme der Israeliten im Buch Josua oder die Makkabäerbücher. Kriege, in denen Könige Gott dankten für den Sieg – diese Texte lagen ihm quer.

Mit Krieg braucht man ihm nicht zu kommen. Lockmann gehörte 1958 zu einem der ersten Jahrgänge, die für die junge Bundeswehr eingezogen werden sollten. „Aber ich bin Verweigerer“, betont er. Eine Haltung, die damals selten war und Mut erforderte. Den hatte Lockmann. An seine heftigen Briefe an die zuständige Behörde erinnert er sich gut.

Entschiedener Kriegsgegner

Lockmann hatte seinen Vater erst mit fünf Jahren kennengelernt, 1940 bis 1945 war dieser Soldat. Aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft schlug der sich am Ende seiner Kräfte nach Garrel durch – nach Hause. Aber die Jahre im Krieg habe der Vater nie abschütteln können. Für den Sohn war schon als Kind klar: Krieg ist keine Lösung.

Dann müssten ihn doch Passagen im Neuen Testament wie die Bergpredigt besonders angesprochen haben? Lockmann hat da eine andere Stelle, die ihm viel bedeutet, über die er immer wieder nachsinnt. Er berichtet vom Beginn des Johannes-Evangeliums, von den ersten fünf Sätzen, eingeleitet durch „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“

Seine Lieblings-Bibelstelle

Für Lockmann beeindruckend, „wie die Allmacht Gottes aufscheint. Da war nichts, dann ist alles da. Und alles ist aufgehängt an diesem einen Wort.“ Über diesen Satz habe er viel nachgedacht, dabei auch ein anderes, tiefes Verhältnis zu Schöpfung und Unendlichkeit gewonnen.

Die Augen des 82-Jährigen leuchten, geradezu begeistert. Das Abschreiben der Bibel hat ihn verändert – keine Frage. Der smarte Geschäftsmann früherer Jahre kann manchmal sehr nachdenklich, fast philosophisch sein.

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