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Der Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus wirft auch ein Schlaglicht auf die Unterschiede zwischen evangelischer und katholischer Kirche – erneut. Kurschus geht es um Betroffene, der katholischen Kirchenspitze um die Institution, kommentiert Redakteur Jens Joest.
Die oberste Protestantin geht und die obersten Katholiken bleiben – weil das Kirchenrecht und der Papst es ihnen leicht machen: Der Rücktritt von Annette Kurschus als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland zeigt erneut, wie viel stärker es der katholischen Kirche noch immer um das Wohl und den Schutz der Institution geht.
Im „Fall“ Kurschus gibt es kein Gutachten, das ihr Vertuschung nachweist. Es gibt Berichte, Kurschus habe als Superintendentin von einem Fall sexualisierter Gewalt gewusst und dies nicht gemeldet. So weit, so ähnlich zu vielen Fällen. Kurschus’ Konsequenz aber ist im katholischen System leider nicht denkbar.
Die bisherige EKD-Chefin sagt, die Frage nach ihrer Glaubwürdigkeit habe „öffentlich eine derartige Eigendynamik entfaltet“, dass es zuletzt nicht mehr „um die Betroffenen und deren Schutz“ gegangen sei, sondern „ausschließlich um meine Person“. Sie könne ihre Ämter nicht mehr so ausfüllen, wie es ihr selbst am Herzen liege. Da ist beinahe jeder Satz eine Ohrfeige für ein sich vor allem selbst retten wollendes System – auf der katholischen Seite.
Das Beispiel Woelki
Auch wenn dem Kardinal keine Vertuschung nachgewiesen ist: Rainer Maria Woelkis Glaubwürdigkeit beim Thema Missbrauch ist seit Jahren zerstört. Erinnert sei an die zweifelhafte Art, wie er die Zustimmung Betroffener zur Neuvergabe des Kölner Missbrauchsgutachtens einholte.
Mindestens öffentlich geht es in Köln kaum um Betroffene, sondern um Woelki, der in großen Teilen des Erzbistums jedes Vertrauen verloren hat. Ob dies die Art ist, wie er selbst sein Amt ausfüllen will? Kann es ausreichen, im Amt zu bleiben, nur weil Papst Franziskus ein Rücktrittsgesuch nicht annimmt – gedeckt allein von Regeln des Kirchenrechts?
Rom schützt das System noch immer
Rom scheut wohl das Beben, das ein Rücktritt eines Erzbischofs auslöst, zumal eines konservativen. Reinhard Marx, der wegen des Missbrauchsskandals zurücktreten wollte, durfte nicht. Stefan Heße, gegen den das Kölner Gutachten Vorwürfe erhob, musste nicht. Weil das System so funktioniert, ist es fast leicht, als Bischof den Rücktritt anzubieten – hat es doch kaum jemals Folgen.
Kurschus entscheidet und geht. Auf katholischer Seite entscheidet allein der Papst. Egal, was der Betroffene selbst vorschlägt, oder was für die Kirche das Bessere sein könnte. Und Rom schützt das System. Immer noch.