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Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs (62), kommissarische Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), spricht im Interview über das bevorstehende Osterfest, die Aufarbeitung von Missbrauch und die AfD.
Frau Bischöfin, Ostern feiern die Christen die Auferstehung Jesu. Warum glauben Sie persönlich an die Auferstehung?
Für mich ist die Auferstehung Jesu eine Grundlage der Hoffnung, dass der Tod nicht das Ende ist. Der Tod, die Vernichtung des Lebens, hat nicht das letzte Wort. Das ist für mich die starke Nachricht von Ostern. Ostern ist der Tod des Todes. Die Bibel berichtet an mehreren Stellen, dass Menschen das leere Grab oder den auferstandenen Jesus gesehen haben. Das ist erzählter Protest gegen die Sichtweise, alles im aktuellen Erleben zu verorten. Als Christin finde ich es elementar, über das Jetzt hinaus zu glauben.
Das Weltgeschehen wird aktuell von Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten bestimmt. Mancher Mensch fragt sich: Wo ist Gott?
Gott ist für mich vor allem in den Leidenden gegenwärtig. Der christliche Gott ist ja kein Automaten-Gott, der die Geschicke der Welt leidunempfindlich, einfach so von oben lenkt. Gott hat sich vielmehr selbst dem inakzeptablen und ungerechten Leid und der seelischen Qual von Menschen ausgesetzt. Ist, wie er selbst als Mensch im Kreuzestod gequält wurde, im Leid der Leidenden nahe. Darin liegt für mich auch eine Aufforderung, alles Menschenmögliche zu tun, damit das sinnlose Sterben ein Ende findet. Zugleich finde ich es ungemein tröstlich, dass dieser Gott der Not und dem Tod nicht das letzte Wort überlässt, sondern uns – gerade jetzt zu Ostern – aufweckt, um aufzustehen.
Unterdessen sind die evangelischen Kirchen in Deutschland viel mit sich selbst beschäftigt. Welche Konsequenzen wurden bislang aus der Ende Januar vorgestellten Missbrauchsstudie gezogen?
Es war erst mal wichtig, die 870 Seiten und die 46 Empfehlungen genau wahrzunehmen, um jetzt die notwendigen Maßnahmen auf den Weg bringen zu können. Diese erarbeiten wir derzeit gemeinsam mit Betroffenenvertretern im Beteiligungsforum. Einige Vorhaben waren dort schon vor der Veröffentlichung der Studie in Arbeit. Wir sind bereits dabei, Disziplinarverfahren betroffenenorientierter zu gestalten. Auch eine digitale Plattform, auf der sich Betroffene miteinander vernetzen können, ist in Vorbereitung.
Die Studie empfiehlt aber auch Maßnahmen darüber hinaus.
Damit beschäftigen wir uns aktuell. Hier geht es zum Beispiel um die Fragen, wie wir unsere Standards für Prävention und Intervention weiterentwickeln und vereinheitlichen können. Genau dieses, die Identifikation von Risikofaktoren, um dann das bestehende System zu verbessern, war ja das Ziel der Synode der EKD, als sie die Studie beschloss. Diese und andere Maßnahmen sollen auf der nächsten Synode im November verabschiedet werden. Die entscheidende Frage ist: Wie gelingt es, Menschen zu schützen, die bei uns einen Vertrauensraum suchen?
Als ein Problem hat die Studie die föderale Struktur der evangelischen Kirchen ausgemacht. Sie erschwere es Betroffenen, Verantwortlichkeiten ausfindig zu machen. Muss der Föderalismus abgeschafft werden?
Der Föderalismus gewährleistet basisnahe demokratische Strukturen in der evangelischen Kirche, und das wird auch weiterhin so sein. Eine Abschaffung empfiehlt die Studie auch nicht. Vielmehr rät sie, innerhalb des Föderalismus zu mehr Übereinstimmung zu kommen. Beispielsweise müssen Betroffene überall gleichbehandelt werden und vergleichbare Anerkennungsleistungen erhalten. Hier wollen wir einheitliche Standards für alle 20 Landeskirchen entwickeln.
Der Betroffenensprecher Detlev Zander hat gefordert, Kirchenleitende müssten persönlich Verantwortung für den Umgang mit Missbrauchsfällen übernehmen, und meint damit wohl, es müsse Rücktritte geben. Wie sehen Sie das?
Ich stimme ihm zu, dass Leitungspersonen natürlich persönlich Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssen. Verantwortung für Fehler zu übernehmen, muss aber nicht automatisch einen Rücktritt nach sich ziehen. Wichtig ist, zu seinen Fehlern zu stehen und es künftig besser zu machen. Es kommt aber auf den Einzelfall an. Es ist ein Unterschied, ob jemand etwa einen Täter geschützt hat – mit der Gefahr, dass dieser weiter aktiv ist. Oder ob jemand im Gespräch mit einem betroffenen Menschen unsensibel reagierte.
Ein mutmaßlicher Fall von sexualisierter Gewalt führte auch zum Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus, deren Amt Sie nun übergangsweise übernommen haben. Die Staatsanwaltschaft hat angekündigt, die Ermittlungen in dem Fall einzustellen. War ihr Rücktritt gerechtfertigt oder überstürzt?
Ich bedauere den Rücktritt von Annette Kurschus nach wie vor. Der Fall ist allerdings noch nicht abschließend bewertet. Die Landeskirche von Westfalen hat die Beauftragung für eine unabhängige Aufarbeitung des Falls beschlossen, die nach Abschluss der staatsanwaltlichen Ermittlungen beginnt und hoffentlich mehr Licht in die Sache bringt.
Können Sie bei der Aufarbeitung von Missbrauch von der katholischen Kirche lernen, die ja bereits 2018 eine bundesweite Studie veröffentlicht hat und seither um Aufarbeitung ringt?
Wir sind schon lange im ökumenischen Gespräch, auch über sexualisierte Gewalt. Wir haben im Wissen um die Studie für die katholische Kirche das Design für unsere Studie ausgewählt. Ganz bewusst ist es weiter gefasst und bezieht nicht nur die Pfarrerschaft, sondern auch die Diakonie und alle kirchlichen Berufsgruppen mit ein. Unsere Studie weist einen erheblich größeren qualitativen Forschungsanteil sowie eine ganz andere Art der Beteiligung betroffener Personen auf.
Aber mit der Studie ist die Aufarbeitung ja noch nicht beendet.
Das ist richtig. Dazu werden nicht zuletzt gerade auch die Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen gebildet. Wir sind uns sehr klar darüber, dass Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt dauerhaft Thema in der evangelischen Kirche sein werden. Als Bischöfe und Bischöfinnen haben wir uns aber auch darüber ausgetauscht, wie wir das Thema sexualisierte Gewalt auch gesamtgesellschaftlich stark machen können. Wir halten daher auch an unserem Vorhaben fest, eine Dunkelfeldstudie auf den Weg bringen und dabei mit vielen Institutionen zusammenwirken.
Die Mitgliederzahlen beider großen Kirchen in Deutschland schwinden rasant. Was tun Sie, um diese Entwicklung aufzuhalten?
Wir erleben derzeit, dass große gesellschaftliche Institutionen insgesamt an Rückhalt verlieren. Darüber hinaus gibt es aber auch eine Glaubens- und Vertrauenskrise. Der müssen wir ins Auge blicken. Verlorenes Vertrauen kann man nicht einfach so wiedergewinnen. Ich sehe, dass in unseren Gemeinden viel Gutes passiert. Wir haben viele Pflegeeinrichtungen, Kitas und Geflüchtetenprojekte. Wir setzen uns für die Demokratie ein und tragen so zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Ich möchte – gerne auch ökumenisch – für den Beitrag der Kirchen in unserer Gesellschaft werben.
Sie haben sich bereits mehrfach gegen Extremismus positioniert und sich kürzlich dem Nein der katholischen Bischöfe zur AfD angeschlossen. Welche Reaktionen bekommen Sie?
Ich habe in meiner Äußerung einen entsprechenden Beschluss der Synode aus dem Dezember zitiert und dafür viel Zustimmung bekommen, aber natürlich auch Kritik. Hier gibt es einerseits Zuschriften, die sich Sachargumenten verschließen und verbal aggressiv unterwegs sind. Andere Menschen, die mit der AfD sympathisieren, beanspruchen für sich: Wir sind Christenmenschen und merken, dass wir wenig gehört werden. Mit ihnen möchten wir im Gespräch bleiben. Als evangelische Kirche sagen wir aber auch eindeutig, dass völkisch-nationales Denken mit der christlichen Haltung nicht vereinbar ist.
Was bedeutet das für die Kirchengemeinden? Keine Ämter für AfD-Mitglieder?
Die AfD propagiert eine menschenverachtende Politik und wird wahrscheinlich in naher Zukunft verfassungsrechtlich als rechtsextrem eingestuft. Die führenden Vertreter der Partei distanzieren sich nicht von rechtsextremen Positionen. Das ist mit Kirchenämtern nicht vereinbar. Das in die Praxis umzusetzen, ist allerdings aus rechtlichen Gründen anspruchsvoll. Wir müssen noch eine Form finden, wie wir das in konkretes Recht übersetzen können.