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Eine dramatische Rede zur Lage der katholischen Kirche in Deutschland hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, am Montag in Berlin gehalten. Vor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und weiteren Politikern sprach Bätzing von einer "Zeitenwende" für die Kirche, von einer "Phase der Auflösung und Erschütterung". Anlass war der jährliche St.-Michaels-Empfang der Bischofskonferenz in der Hauptstadt.
Eine dramatische Rede zur Lage der katholischen Kirche in Deutschland hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, am Montag in Berlin gehalten. In Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sprach Bätzing von einer "Zeitenwende" für die Kirche mit einem "schleichenden Relevanzverlust".
Der Limburger Bischof charakterisierte die Krise als eine "Phase der Disruption im umfassenden Bedeutungsgehalt von Störung, Auflösung, Erschütterung und Unterbrechung". Er äußerte sich beim traditionellen Sankt Michaelsempfang der Bischofskonferenz. An dem Empfang nahmen Vertreter aus Kirche, Gesellschaft und Politik teil.
Bätzing: Politik muss Veränderungen gestalten
Bätzing konstatierte für die gesamte Gesellschaft eine "Zeitenwende" und zitierte Papst Franziskus mit den Worten: "Wir erleben nun Dinge, deren Eintreffen wir uns nie haben vorstellen können: der Zusammenbruch der Umwelt, eine globale Pandemie, die Rückkehr der Populismen".
Es gehöre zu den Aufgaben der Politik, die nötigen Veränderungen zu gestalten, so Bätzing. "Gerade heute, einen Tag nach der Bundestagswahl, ermutige ich Sie alle, diese Herausforderungen gemeinsam anzugehen und dabei vielleicht auch Kraft und Hoffnung aus dem Glauben zu schöpfen", so der Bischof.
Frage nach der Systemrelevanz der Kirche
Gerade während der Corona-Krise sei die Frage nach der "Systemrelevanz" der Kirche deutlich zutage getreten. "Dass es selbst für christliche Parteien offenbar kein Problem zu sein schien, den freiwilligen Verzicht der Ostergottesdienste zu fordern, war im Frühjahr 2021 ein viel beachtetes Indiz für den schleichenden Relevanzverlust der Kirchen", so Bätzing.
Der äußeren Disruption entspreche eine innere, im Sinne einer "fundamentalen Störung des Vertrauens gegenüber der Kirche und kirchlichem Handeln", sagte der Bischof. Als wesentlichen Grund nannte er das "Ausmaß des sexuellen und geistlichen Missbrauchs" und der Umgang mit der Aufarbeitung.
Unversöhnte Pluralisierungen in der Kirche
Ferner habe die römische Entscheidung gegen die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften für "Entrüstung und Kopfschütteln bei vielen Menschen" geführt und sei auch für zahlreiche Theologen nicht nachvollziehbar. "Die innere Zerrissenheit der katholischen Kirche, das teils unversöhnliche Gegenüber unterschiedlicher Positionen wird hier beispielhaft."
Die Kirche pluralisiere sich "in sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten" und zum Teil in "unversöhnter Verschiedenheit". Während beim Synodalen Weges Reformen und Veränderungen gefordert würden, "gibt es mahnende Worte oder Klarstellungen der Römischen Kurie zu Fragen, die in unserer aufgeklärten und freiheitsliebenden Gesellschaft als längst beantwortet gelten". Dies steigere "die Argumentationsnot vieler Gläubiger".
Die Chance des Synodalen Wegs
"Wir können nicht so tun, als sei alles normal", sagte Bätzing und forderte zur Umkehr auf. Man dürfe nicht alle Energie darauf verwenden, "wie wir die Krise stoppen". Sondern man müsse anerkennen, "worin die Krise uns stoppt", ergänzte er und warb für den Austausch über Reformen beim sogenannten Synodalen Weg.
Der Reformprozess sei in dieser Lage "die große Chance, mit der wir Antwort geben wollen auf die Herausforderungen der Gegenwart". Wesentlich sei es, die "konkreten Lebensbedingungen wieder mit dem Evangelium von Jesus Christus in Verbindung zu bringen". Er konstatierte allerdings auch, dass sich viele Zeitgenossen "erst gar nicht die Sinn- und erst recht nicht die Gottesfrage" stellten.
Der Bischof forderte eine "Umkehr im wahrsten Sinn und im religiösen Verständnis des Wortes". Dazu gehöre die ehrliche Einsicht, "dass Kirche heute nicht zu den führenden Mächten und Kräften der Menschheit gehört" und dass nur ein gemeinsames Glaubenszeugnis gesellschaftlich wirksam sein könne.
Not bestimmt den Dienst
Dreh- und Angelpunkt sei ein Dienst, "den die Not der Menschen bestimmt". Das habe auch der Einsatz von Seelsorgern, von kirchlicher Caritas und Pfarreien für die Opfer der Flutkatastrophe gezeigt. "Eine Umkehr der Kirche als Ganze in den Dienst der Menschen" setze aber "die Bekehrung der Einzelnen hin zu einer persönlichen Glaubensentscheidung voraus", betonte Bätzing.