Das Schicksal der „Boat people“ im Chinesischen Meer

„Cap Anamur“ rettet Flüchtlinge aus dem Meer – vor 40 Jahren

Derzeit müssen sich viele Kapitäne rechtfertigen, wenn sie im Mittelmeer Flüchtlinge an Bord nehmen, statt sie ihrem Schicksal zu überlassen. Doch schon vor 40 Jahren sorgte Seenotrettung für Schlagzeilen.

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Humanitäre Großtat oder „Beihilfe zur illegalen Einwanderung“? Unter diesem Vorwurf ist Carola Rackete, Kapitänin der „Sea Watch 3“, angeklagt, weil sie ihr Schiff mit 40 Flüchtlingen an Bord in den Hafen von Lampedusa steuerte, trotz Verbots der Behörden. Ähnliche Diskussionen um die Seenotrettung gab es schon vor 40 Jahren.

Damals war der Schauplatz das Chinesische Meer und die Flüchtlinge kamen aus Vietnam. Am 13. August 1979 stach das Hospitalschiff „Cap Anamur“ von Japan aus in See und nahm sechs Wochen später die ersten Bootsflüchtlinge an Bord. „Boat people“ wurden die Menschen genannt, die in winzigen, völlig überfüllten Booten ihr Heil in der Flucht über das Meer suchten.

 

Folge des Vietnamkriegs

 

Der Vietnamkrieg lag nicht lange zurück, die Rache der Nordvietnamesen am früheren Kriegsgegner nahm ihren Lauf. Hinrichtungen, Mord, Vergewaltigung, willkürliche Einweisung in Umerziehungslager - viele Menschen versuchten deshalb, sichere Länder in der Region zu erreichen. Aber der Weg übers Meer war lang und gefährlich. Erwünscht waren sie ohnehin nirgendwo.

Als es den Anrainerstaaten zuviel wurde, drängten sie die Boote zurück aufs offene Meer. Deutschland hielt sich anfangs sehr zurück, als es darum ging, Flüchtlinge aufzunehmen. Geschätzt 1,6 Millionen Vietnamesen machten sich bis Ende der 1980-er Jahre auf den Weg, rund 250.000 fanden dabei den Tod.

 

Rupert Neudeck hilft

 

Von der Tragödie im Chinesischen Meer hatte auch der Journalist Rupert Neudeck gehört. In Paris lernte er den Philosophen André Glucksmann kennen. Der war damals schon engagiert in einer Organisation, die zum Vorbild für Neudeck wurde. Das Komitee „Un Bateau pour le Vietnam“ („Ein Schiff für Vietnam“) hatte ein Schiff gechartert und rettete damit Flüchtlinge. Neudeck traf sich mit anderen Mitgliedern des Komitees - und hatte seine Lebensaufgabe gefunden.

Er baute mit Freunden Organisation und Logistik auf, lernte, was es mit dem deutschen Vereinsrecht auf sich hat, und wie wichtig die Steuerabzugsfähigkeit von Spenden ist. Vor allem aber reiste er selbst zum Chinesischen Meer.

 

Starthilfe im Fernsehen

 

Rupert Neudeck. | Foto: Jürgen KappelRupert Neudeck. | Foto: Jürgen Kappel

Von Anfang an setzte der Verein „Ein Schiff für Vietnam“ auf die Zusammenarbeit mit den französischen Partnern und großen Hilfsorganisationen: Das Deutsche Rote Kreuz, „Ärzte ohne Grenzen“ und „Terre des Hommes“ steuerten ihre Kompetenzen bei.

Letztlich war es die Macht der Bilder, die die Hilfsbereitschaft der Deutschen aufrecht hielt. Neudeck und der Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes traten gemeinsam im TV-Magazin „Report Baden Baden“ des Journalisten Franz Alt auf. Dort berichteten sie über die geplante Rettungsaktion. Drei Tage später waren 1,2 Millionen D-Mark auf dem Konto von „Ein Schiff für Vietnam“, und der Verein konnte den Frachter „Cap Anamur“ chartern.

 

Garantie der Bundesrepublik

 

Mindestens genauso wichtig war eine Garantie, die zuvor die Bundesregierung abgegeben hatte: „Jeder Vietnam-Flüchtling, der von ... Versorgungsschiffen, die unter deutscher Flagge fahren, gerettet und aufgenommen wird, kommt in die deutsche Bundesrepublik.“

Die erste Reise wurde zum Fiasko. Das Schiff wurde von indonesischen Behörden konfisziert. Man sei widerrechtlich in deren Hoheitsgewässer eingedrungen. Erst am 30. September 1979 wurden die ersten Flüchtlinge an Bord genommen. Im großen Stil rettete die „Cap Anamur“ „Boat people“ in der Zeit zwischen 1980 und 1982, insgesamt fast 10.000 Menschen; rund 35.000 wurden zudem auf dem Schiff medizinisch versorgt.

 

Schon damals umstritten

 

Unumstritten war die Seenotrettung auch damals nicht: Die Flüchtlinge gehörten in Wirklichkeit zur wohlhabenden Mittelschicht in Vietnam, behauptete die deutsche Linke. Mit ihrer Präsenz im Chinesischen Meer würde die „Cap Anamur“ die Menschen geradezu dazu verführen, sich auf den gefährlichen Weg zu machen, argumentierten Konservative. Mit solchen Vorwürfen leben Seenotretter auch 2019.

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