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Sie sieht diese Bilder nicht unbeteiligt. Baufällige, überladene Boote, auf denen sich Menschen mit Verzweiflung im Gesicht drängen. Wenn Dung Dinh-Päsler Bilder von Flüchtlingen sieht, die voll Angst vor dem Krieg in Syrien über das Mittelmeer fliehen, erinnert sie sich an ihre Kindheit. Denn auch sie musste ihre Heimat verlassen: Saigon im Süden von Vietnam.
Dung Dinh-Päsler gehört zu den so genannten boat people, den Bootsflüchtlingen, die das Land Ende der Siebzigerjahre wegen des brutalen Kurses der neuen Regierung heimlich verließen.
Von Kommunisten verfolgt
Acht Jahre war sie damals. Mit einem Onkel und dem jüngeren Bruder machte sie sich heimlich auf den Weg, die Mutter hatte sich noch versteckt. Und der Vater saß in einem Straflager. Weil er Unternehmer war – und katholisch.
Katholiken habe man damals als Staatsfeinde gnadenlos verfolgt; Dung Dinh-Päsler hat erlebt, wie ein Nachbar aus ihrer Pfarrgemeinde gefoltert wurde und dann gelähmt war. Sie hat erlebt, wie eine ganze Familie in ihrer Verzweiflung Gift nahm.
Wo nach der Flucht ihre neue Heimat sein würde, war völlig unklar; „aber wir hatten großes Glück und wurden von dem deutschen Rettungsschiff Cap Anamur aufgenommen.“
Erst ohne die Eltern
Sie kam als Flüchtling nach Deutschland. Für sie die neue Heimat? Kopfschütteln. „Ich hatte große Sehnsucht nach Vietnam. „Meine Eltern kamen ja erst ein Jahr später nach. Ich bin anfangs ohne Vater und Mutter aufgewachsen.“
Später zog sie mit ihren Eltern nach Wilhelmshaven. Neue Heimat an der Küste? Die Stadt nicht. Wohl aber die Kirche. Denn ihr Vater habe die Familie immer gemahnt: „Schaut in der Fremde zuerst, wo eine Kirche ist und geht dann dahin. Weil die Kirche immer und überall Heimat ist.“ So wusste sie als kleines Mädchen zuerst, wo die Pfarrkirche ist – und nicht, wo der Supermarkt.
Am Anfang war das die Kirche St. Ansgar. „Die Menschen dort haben uns mit offenen Armen aufgenommen, es war einfach wunderbar“.
Gemeinde St. Ansgar wurde zur Heimat
Dort sei sie voll Begeisterung groß geworden, habe sich als Messdienerin eingesetzt, bei der Küsterin Gitarrenunterricht nehmen dürfen. Die Menschen hätten Geld für Nachhilfestunden gesammelt, die Familie bei allen Ausflügen mitgenommen, den Gemeindealltag geteilt.
Dung Dinh-Päsler besuchte die katholische Franziskusschule, lernte dort im Alltag Deutsch. Die Familie baute sich ein neues Leben mit einem Asia-Shop auf. Später heiratete Dung Dinh-Päsler einen deutschen Mitschüler, zog mit ihm zwei Kinder groß.
St. Ansgar blieb sie immer verbunden, auch wenn sie mit ihren Eltern später in einen anderen Stadtteil zog. „Da hatten wir im Grunde wieder ein Stück Heimat verloren“, sagt sie nachdenklich.
Geweint bei Kirchenschließung
Besonders gespürt hat sie es vor vier Jahren, als die Kirche geschlossen wurde. „Bei dem Gottesdienst zur Profanierung war ich dabei. Ich habe während der Messe und danach nur noch geweint.“ Schließlich sei St. Ansgar die neue Heimat nach der Flucht geworden.
Inzwischen sieht sie gelassener auf diesen Tag. „Die Kirche als Heimat hängt nicht von einem Gebäude ab. Die wahre Heimat für einen Christen ist der tiefe Glaube, den ich in mir spüre. Und der bleibt.“
Sie glaubt: „Es kommt darauf an, wie ich mich in jede Kirche einbringe.“ Am 1. August geht Dung Dinh-Päsler da einen ganz neuen Weg: Sie beginnt in St. Willehad Wilhelmshaven die Ausbildung zur Pastoralreferentin.
Flucht und Heimat
Saigon, die Heimat von Dung Dinh-Päsler, war bis 1975 Hauptstadt von Südvietnam und fiel am Ende des Krieges gegen Nordvietnam in die Hände der neuen kommunistischen Machthaber. Sie richteten sofort Straflager ein. Wissenschaftler schätzen, dass dort mehr als zwei Millionen Menschen eingesperrt waren. Die Folge war eine Flüchtlingswelle; die meisten Menschen flohen über das Meer. Mehr als 10 000 kamen seit 1978 nach Deutschland. Sie wurden vor allem in Niedersachsen aufgenommen; das geschah auch auf persönliche Initiative von Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU). In Wilhelmshaven gibt es seitdem eine kleine vietnamesische Gemeinde. Dung Dhin-Päsler ist zweite Vorsitzende dieser Gemeinde und zugleich berufenes Mitglied im Pfarreirat St. Willehad. Katholiken waren und sind in dieser Stadt eine Minderheit; heute sind nach kirchlichen Angaben zwölf Prozent der 75.000 Menschen katholisch.