Godehard Brüntrup über autoritäre Festlegungen und den Umgang mit Zweiflern

Die Kirche weiß genau, was Gott denkt? Das ist absurd!

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Wer hat welchen Segen verdient? Welche sexuelle Praktik ist erlaubt? Wer sagt, was Gott darüber denkt? Manche meinen, die Antwort sei klar: die Kirche. Der Jesuit und Philosoph Godehard Brüntrup empfiehlt eine besondere Form der Demut.

Vor zwei Jahren rauschte ein eigenartiger Fall durch den katholischen Blätterwald. Ein Pfarrer musste erleben, dass tausende Taufen, die er in Jahrzehnten gespendet hatte, von den kirchlichen Autoritäten für ungültig erklärt wurden. Mehr noch: Da die Taufe die Grundlage für alle anderen Sakramente ist, war eine riesige Zahl von Firmungen und Ehen, vom Empfangen der Kommunion und den Beichten ganz zu schweigen, ebenfalls ungültig. Was war passiert? Der Priester hatte immer gesagt: "Wir taufen dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!". Richtig wäre gewesen: "Ich taufe dich im Namen ...!"

Was? Das Wörtchen "wir" statt des Wörtchens "ich"? Macht das so einen Unterschied? Ja, sagten der Bischof und auch der Vatikan: "Es ist nicht eine Gemeinschaft, die eine Person tauft und in die Kirche Christi aufnimmt; vielmehr ist es Christus, und nur Christus, der allen Sakramenten vorsteht", hieß es. Von daher muss es "ich" heißen und nicht "wir".

Ist Gott wirklich so kleingeistig?

Der Autor
Godehard Brüntrup ist Jesuit und Philosoph. Er lehrt in München und St. Louis (USA). Sein Denken ist geprägt von der Prozessphilosophie, die das Werden und die Veränderung ins Zentrum stellt.

Ich denke, es gibt zwei Reaktionen auf diese Begebenheit. Die einen werden sagen: "Gut, dass die kirchlichen Autoritäten den Fehler schonungslos aufgedeckt haben!" Die anderen werden sagen: "Ist Gott wirklich so kleingeistig, dass er sich in seinem sakramentalen Wirken von einem unbeabsichtigten und unbedeutenden Fehler abhalten lässt? Woher weiß die kirchliche Autorität so genau, dass die Sakramente, das göttliche Heilshandeln, nicht zustande kamen?" Hand aufs Herz: Was denken Sie?

Ich bekenne, dass ich zur zweiten Gruppe gehöre. Für mich entbehrt es nicht einer gewissen Absurdität, wenn Autoritäten meinen, so genau zu wissen, wann und wie Gott wirkt. Für fast jedes Verhalten wurde in der katholischen Morallehre festgelegt, ob es Sünde war oder nicht. Die Kirche weiß genau, was Gott über jede mögliche sexuelle Praktik denkt, sie weiß, wer einen Segen verdient, wer in Gottes Vollmacht reden darf, sie weiß, welche Theorie über Gott die einzig wahre ist. Nun können Sie sagen: "Das ist doch Schnee von gestern! Die Gläubigen machen das doch gar nicht mehr mit!" Das stimmt. Aber die kirchlichen Autoritäten handeln noch immer genau so. Und wer daran zweifelt, dem wird vorgeworfen, die Gläubigen zu verunsichern.

Das Geheimnis der Welt

Das genaue Gegenteil ist oft der Fall. Der moderne Mensch erlebt Gott als das "Geheimnis der Welt". Es sind gerade die tiefsten und unabgeschlossenen Fragen, auf die wir nur bruchstückhafte Antworten erahnen, die uns zu Gott führen. Was ist der Sinn, das Woher und Wohin dieses Universums, gibt es ein Jenseits, eine Transzendenz? Theologie ist eben auch das Hineinführen in das Unbegreifliche.

Die Kirche, deren Versagen uns in jüngster Zeit so schmerzhaft vor Augen geführt wurde, ist längst vom hohen Ross gefallen. In unserer Zeit ist eine missionarische Kirche daher notwendig auch eine suchende Kirche, und nicht eine, die auf alles schon eine Antwort hat. Für den heiligen Augustinus war die Demut die Mutter aller Tugenden. Die Demut des Verstandes ist die Anerkennung der Bruchstückhaftigkeit des eigenen Wissens. Sie stünde auch der Kirche gut zu Gesicht.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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