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Viele Menschen wünschen sich Klarheit von der Religion, sagt der Jesuit und Philosoph Godehard Brüntrup. Zugleich seien menschliche Überzeugungen zu Glaubens- und Moralfragen, ja sogar Gottesbilder im Fluss. Was heißt das für Religion und Kirche?
Papst Franziskus ist Jesuit. Vielleicht werde ich deshalb, da ich auch dem Jesuitenorden angehöre, so oft gefragt, was ich von unserem Papst halte. Man hat den Eindruck, dass die Fragenden unsicher sind. Man hört so viel Widersprüchliches über den Mann aus Rom.
Ignatius von Loyola, der Ordensgründer der Jesuiten, hat eine Methode des Betens und Meditierens entwickelt, mit der ein Mensch zu innerer Klarheit, Selbstbestimmung und Freiheit in seinen Lebensentscheidungen gelangen kann. Das ist die Spur, der wir nachgehen sollten, um Franziskus zu deuten.
Was sich geändert hat – und was enttäuscht wurde
In der Tat hat die Freiheit zu denken, zu reden und zu schreiben in der Kirche zugenommen. Das Klima der Angst hat abgenommen. Es ist nur wenige Jahre her, da hätte man sich kaum vorstellen können, dass sogar Bischöfe so freimütig kritische Meinungen über die Rolle der Frau in der Kirche, über die katholische Sexualethik oder die Macht der Kleriker äußern wie heute.
Ja, Franziskus hat viele Reformer enttäuscht, weil er wenig Veränderungswillen zeigt, konkrete Reformvorhaben im „Synodalen Weg“ und anderswo auch ausbremst.
Wo freier gedacht wird, entsteht Neues
Der Autor
Godehard Brüntrup ist Jesuit und Philosoph. Er lehrt in München und St. Louis (USA). Sein Denken ist geprägt von der Prozessphilosophie, die das Werden und die Veränderung ins Zentrum stellt.
Aber reden wir heute nicht offener über unsere Kirchenvisionen? Das ist wenig, nur ein zartes Pflänzchen. Aber: Wo freier gedacht, geredet und geschrieben wird, da beginnt ein Prozess, eine Dynamik, da entsteht unaufhaltsam Neues.
Menschen haben oft Angst vor Veränderung. Im Fluss der Zeit suchen wir nach etwas Festem, nach etwas, was uns selbst in den schwersten Stunden nicht entgleitet. „Bleibe bei uns Herr, denn es will Abend werden“, sagen die Emmaus-Jünger.
Religion muss den Weg mitgehen
Das „Abendwerden“ steht für den Prozess der Veränderung, das Dämmerlicht, in dem die Konturen unscharf sind. Die Religion soll in einer sich immer schneller verändernden Welt Klarheit und Sicherheit geben. Aber das kann sie nicht, wenn sie selbst stehenbleibt.
Sie kann, ja sie muss wie Jesus den Weg durch die Dämmerung mitgehen. Eine treue Begleiterin sein, die hilft sich zu orientieren und zu verstehen.
Wenn die Kirche sich entzieht, schafft sie sich ab
„Alles fließt“, sagte schon der Philosoph Heraklit. Ja, auch menschliche Überzeugungen über verantwortliche Sexualität, gerechte Machtverteilung, selbst über Gott sind im Fluss. Wenn die Kirche sich diesem Prozess entziehen will, schafft sie sich ab. Wenn sie aber diesen Weg in eine ungewisse Zukunft mitgeht und begleitet, versucht, die Zeichen der Zeit zu deuten, dann wird sie gebraucht.
In unseren Gastkommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.