Gebetsanreden – Eine Serie durch den Advent (1)

Die Schwierigkeit, vom „Herrn“ zu sprechen

Anzeige

„Herr Jesus Christus“ – so beginnen viele christliche Gebete. Das klingt wie „Herr Johannes Müller“ – und meint doch etwas ganz anderes. Eine Serie durch den Advent blickt auf die Titel, die wir für den haben, dessen Kommen diese Zeit erwartet. Passen sie noch zu uns – und zu unserer Beziehung zu dem, um dessen Ankunft sich alles dreht? 

Ob das wirklich klappt? Ob es tatsächlich gelingt, dass ein Impfstoff Corona beherrschbar macht? So sehr wir alle es uns wünschen, und so positiv ein Impfstoff natürlich ist: Es muss schon eine große Macht sein angesichts der Macht des winzigen Virus, das doch die Welt seit Monaten im Griff hat. Darüber zu gebieten und zu überwinden, was unser ganzes Leben so gnadenlos beherrscht, das braucht umso mehr gewaltige Power, vernichtende Gewalt. 

Auch wenn es um den hoffentlich siegreichen Kampf um ein tödliches Virus geht, dieses aktuelle Beispiel zeigt ein eindringliches Sprachbild: Wo von Herrschen und Beherrschen die Rede ist, klingt in der großen Überlegenheit des Herrschers immer auch mit Lebensfeindliches mit: Alle anderen sind Untertanen, sind ihm untergeben, unterlegen, ausgeliefert seiner Macht. – Sollte das anders sein, wenn wir Jesus Christus als Herrn ansprechen?

 

Richter, Reich und Herrschaft

 

„Ankunft des Herrn“ ist die vollständige Übersetzung des Namens für diese schöne, besinnliche und doch auch verquere Zeit, die leider landläufig längst Vorweihnachtszeit heißt und doch viel mehr meint, wenn man sie richtigerweise als Advent bezeichnet.

Damit geht es zwar durchaus auf Weihnachten zu, aber der Advent, wenn er denn die „Ankunft des Herrn“ in den Blick nehmen soll, meint viel mehr: zum einen die Zeit vor der Geburt des Gotteskinds damals, zu der beispielsweise dieser Tage in den Evangelien die Verkündigung, der Zweifel des Josef und der Besuch Marias bei Elisabeth gehören. Zum anderen geht es um unsere zugehende Vor- und Zubereitung auf das Weihnachtsfest 2020, an dem wir „heute“ an die Menschwerdung Gottes vor 2000 Jahren denken.

Und schließlich nimmt der Advent die Wiederkunft Christi am Ende der Zeiten in den Blick, wenn er mit Macht „kommt, um die Erde zu richten“ und sein Gottesreich für immer zu errichten. Den „dominator Dominus“ besingt gar seit Jahrhunderten der gregorianischen Einzugsgesang am Hochfest der Erscheinung des Herrn am 6. Januar: den alles dominierenden Herrscher, seine dominante Macht, sein Dominator-Imperium.

 

Demokratie und Machtmissbrauch

 

Die Ankunft des Herrn ist also durchaus die Vorbereitung auf die Ankunft des Herrschers, und von dieser großen Bedeutung her verwenden wir bis heute gut begründet in vielen Gebeten die Anrede „Herr“, wenn wir zu Christus beten. Zumindest ist das in den meisten offiziellen Gebeten so, und manche geistliche Menschen sprechen auch dann, wenn sie nicht gerade beten, von Jesus als „dem Herrn“. 

So richtig und verständlich das alles ist: Mir persönlich entfremdet sich diese Anrede zunehmend. Nicht nur, weil für den Großteil meiner religiös unmusikalischen Freundinnen und Freunde „Herr Jesus Christus“ genauso klingt, wie „Herr Johannes Müller“. Oder weil die Sprachsensibleren unter ihnen irritiert wahrnehmen, wie eigentlich aufgeklärte, demokratisch denkende Menschen sich freiwillig zu Untergebenen eines autoritären „Herrn“ erklären. Obwohl, sagen sie auch, irgendwie passe es natürlich zu einer Kirche, die ja monarchisch reagiert werde und Probleme mit Demokratie einerseits und dem richtigen Umgang mit Macht andererseits habe. Wer wollte bezweifeln, dass da was dran ist?

 

Herr oder Sklave?

 

Mir persönlich fällt es auch aus echten Glaubensgründen zunehmend schwerer, „Herr“ zu dem zu sagen, den ich zwar natürlich verehre als Sohn Gottes und fürsorglichen Hirten, dessen Macht sich aber doch gerade im Verzicht auf diese Macht zeigt („entäußert sich all seiner Gewalt“), seine Größe stattdessen in seiner Hingabe und Ohnmacht („wurde wie ein Sklave“).

Und vom „Kyrios“, dem griechischen Wort für den weltlichen Herrscher-Herrn, leitet sich unser „Kyrie eleison“ eben auch ab – wenngleich klar ist, dass unser Herrscher-Herr sich als dessen krasser Antityp versteht. Der ist laut Magnificat schließlich einer, der die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen groß macht. Dass mit seinem Vorbild Exzellenzen zugleich Diener, ganz oben sogar Diener der Diener sein sollen, verlangt katholisch Glaubenden alltäglich und zunehmend einiges ab. Manchen Amtsinhabern gewiss ebenso. Da den „Herrn“ als Ausdruck von Vertrauen in selbstlose und verantwortungsvolle Führung zu verstehen, fällt nicht leicht. Anders gesagt: Wir bekommen diese Anrede nicht mehr unschuldig.

 

Platzhalter für Gottes Unbegreiflichkeit

 

Zugleich klingt im „Herrn“ des Alten Testaments etwas anderes mit: Weil jüdische Gläubige den Gottesnamen JHWH aus Ehrfurcht nicht aussprechen, sagen sie stattdessen „Adonai“, was „Herr“ bedeutet. Bewegend! Da ist „Herr“ ein ehrfürchtiger Platzhalter für die Unaussprechlichkeit und Unbegreiflichkeit Gottes, den kein Name, kein Titel, keine Anrede fassen kann.

Jesus Christus ist in meinem geistlichen Leben wenig Herr, vielmehr die menschgewordene, unüberbietbare Liebe Gottes. Und darum auch der Barmherzige, Bedingungslose, sich Hingebende und sich Zurücknehmende, die Schönheit und Leidenschaft der Liebe, das immer auch Unerklärliche und Wortlose, Schöpferische und Überwältigende. Das natürlich nicht nur Männliche, sondern auch Weibliche. Und nicht zuletzt und gerade jetzt – das Kind. Zerbrechlich und zart. All dem macht hoch die Tür!

Gebetsanreden - Eine Serie durch den Advent
Teil 2: Jesus unser "Bruder" - ist das zu nah?
Teil 3: Jesus - „Gutmensch“ oder theologisches Schwergewicht?

Anzeige