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Dieses Bild fordert heraus. Es zeigt eine Szene aus einer Militärmaschine, die im August 2021 Flüchtende aus Afghanistan in Sicherheit bringt.
Die Redaktion hat dieses Bild nach intensiver Diskussion für Weihnachten ausgesucht. Jede und jeden berührt es anders. Lesen Sie, welche Gedanken die Redakteurinnen und Redakteure dazu geschrieben haben, und was das Bild mit Weihnachten zu tun haben könnte.
Was die Hoffnung bedeutet
Johannes Bernard, Redakteur.
Johannes Bernard: Weihnachten ist das Fest der grenzenlosen Hoffnung. Sie gibt Halt in unsicherer Gegenwart. Sie verschafft Aussicht auf eine bessere Zukunft. Hoffnung schenkt uns Freude auf Zukunft und ist das, was Menschen am Leben hält. Mit Weihnachten verbinde ich das Geschenk des Lebens. Die Geburt der sichtbarste Ausdruck dafür.
Was wäre das Leben ohne Hoffnung? Einige Menschen leben in hoffnungslosen Zeiten, in Zeiten von Kriegen, Konflikten und Ungerechtigkeiten, andere auf Intensivstationen am Ende des Lebens. „Ich habe keine Hoffnung mehr“ – ein Satz, der auch Hoffenden zusetzt. Auch die dunklen Seiten gehören zum Weihnachtsgeschehen. Darum ist es wichtig, gerade an Weihnachten derer zu gedenken, die ohne Hoffnung leben.
Immer noch Krieg, immer noch Gewalt
Michael Bönte, Reporter.
Michael Bönte: Jetzt sind mehr als 2000 Jahre vergangen, seitdem ein junges Paar hilflos durch Bethlehem irrte, um einen geschützten Platz für die Nacht zu finden. 2000 Jahre kulturelle Entwicklung. 2000 Jahre Religionsgeschichte. 2000 Jahre Wissenschaft, Fortschritt und technische Neuerungen. Viel Grausames aber hat mit sturer Ignoranz in seinem Zustand nahezu verharrt: Egoismus, Hass, Verblendung... Immer noch müssen Menschen Kriege erleben, vor Gewalt fliehen, heimatlos werden. Nicht nur in dieser Szene vom Kabuler Flughafen, sondern an vielen Orten auf der Welt. Wie viele Jahrhunderte brauchen wir Menschen noch, um die entscheidenden Schritte der Nächstenliebe zu machen, die diese Momente verhindern?
Die Farbe passt zur Vorgeschichte
Marie-Theres Himstedt, Redakteurin.
Marie-Theres Himstedt: Das Bild hat einen Grünstich. Sieht dieser Farbstil nicht hässlich aus? Gerade deswegen passt dieses abschreckende Grüngelb, denn hässlich ist auch die Vorgeschichte dieser Gruppe auf dem Foto: Menschen, Familien auf der Flucht vor einem unmenschlichen Regime in einem Flugzeug, in Sicherheit. Der Alptraum ist vorbei.
Was mich berührt, ist die Ruhe, die die Mutter ausstrahlt, gehalten, gestärkt durch die aufgelegte Hand. Wie geht diese Geschichte aus? Daran können wir alle miterzählen: Haltung bewahren, wenn mal wieder jemand gegen Flüchtlinge wettert. Aufstehen gegen Rassismus im Alltag. Eintreten für die, die am Boden liegen. Für mehr Frieden in der Welt. Frohe Weihnachten!
Endlich gerettet
Markus Nolte, Chefredakteur Online.
Markus Nolte: Dieses Foto ist nur ein Ausschnitt. Im Original, in dem großen, von allen Sitzreihen leergeräumten Flugzeug, kauern hunderte Menschen. Viel mehr, als für einen solchen Flieger zugelassen sind. Doch Sicherheitsbestimmungen sind außer Kraft gesetzt, wenn es darum geht, Menschen in Sicherheit zu bringen. Eng an eng sitzen sie auf dem Boden, ohne Anschnallgurte, ohne Leuchtstreifen auf dem Boden. Nur raus hier. Es geht um nichts anderes als Rettung. Um Freiheit. Um nichts anderes als Leben.
So sieht das also aus, wenn Rettung da ist. Die Mutter in der Mitte spürt das leibhaftig – durch die Hand der Frau hinter ihr auf der Stirn. Und sie selbst legt ihre Hand auf die Schulter ihres Babys. So fühlt sich Rettung an. Darum muss Weihnachten berühren. Der Retter ist geboren. Der Heiland.
Berührung reduziert Angst und Schmerz
Pater Daniel Hörnemann, Theologischer Berater.
Pater Daniel Hörnemann: Alle halten die Augen geschlossen, was mussten sie vorher mit offenen Augen anschauen? Welche Bilder haben sich in ihre Seelen eingegraben? Menschen unterwegs, nicht auf einer Urlaubsreise, sondern auf der Flucht aus der Hölle. Erschöpft und gebeugt. Alles wurde ihnen genommen, außer dem eigenen Leben. Eine Mutter hält ihr schlafendes Kind mit beiden Händen fest vor der Brust. Eine ältere Frau legt schützend, behutsam, wärmend, beruhigend ihre Hand auf den Kopf der Kindesmutter. Die Berührung reduziert Angst, Schmerzen und Erschöpfung. Dies ist nicht die Hand der Unterdrückung und Gewalt, sondern der Zuneigung und Nähe. Berührungen sind überlebenswichtig. Ohne sie kann der Mensch nicht wachsen.
Sie hoffen auf eine bessere Zukunft
Jan Dirk Wiewelhove, Chef vom Dienst.
Jan Dirk Wiewelhove: Welch ein anstrengender Tag liegt hinter mir! Müde falle ich auf die Couch und lasse den Arbeitstag Revue passieren. Dabei kommt mir unverhofft dieses Foto in den Kopf, was mich urplötzlich aufschrecken lässt. Anstrengung und Erschöpfung zugleich sind in den Gesichtern der Menschen abzulesen. Dagegen erscheint mir meine Müdigkeit schlagartig als Petitesse. Was für eine Hölle muss das gewesen sein, sich bis zum Flughafen in Kabul durchzuschlagen. Diese Angst, nicht ins Flugzeug zu kommen, kann ich mir einfach nicht vorstellen. Was mir Mut macht, ist diese leise Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die aus den Gesichtern spricht. Diese Hoffnung ist Teil meines Weihnachtsfests, denke ich und schlafe zufrieden ein.
Die Sprache der Blicke und Gesten
Annette Saal, Chefredakteurin Print.
Annette Saal: Zugewandt und abgewandt – die Körpersprache und Blickrichtungen auf dem Foto machen nachdenklich. Aus der aufrechten Haltung des jungen Mannes vorn links lässt sich Aufmerksamkeit lesen. Er ist wohl der Vater des Neugeborenen. Die Frau links ist vor Erschöpfung eingeschlafen. Die Gefühle brauchen eine Pause. Die Frau rechts neben der jungen Mutter hat sich weggedreht, etwas anderes erfordert wohl ihre Aufmerksamkeit.
Die Szene lässt an Weihnachten denken. Für die Einen ist das Kind, das alle Hoffnung bringt, das Höchste, das Größte. Andere schauen weg – aus Müdigkeit, Überforderung? Ob Kabul oder Bethlehem: eine Extrem-Situation, die unterschiedliche Reaktionen hervorruft. Damals wie heute.
Die Hand schützt und gibt Zuversicht
Franz Josef Scheeben, Redakteur.
Franz Josef Scheeben: Die Hand auf dem Kopf der Mutter sagt: Es wird gut ausgehen. Aber wer schützt in dieser Not?
Direkt nach der Geburt Jesu ist es Gott. Er warnt vor dem Massenmörder Herodes. Er schützt nicht direkt. Er warnt Josef, den Vater. Menschen müssen sich selbst auf den Weg machen, ihr Schicksal in die Hand nehmen. Josef wagt das und flieht mit seiner Familie.
Mit meinem zweiten Vornamen habe ich lange gehadert. Aber mein Namenspatron ist mir über die Jahre immer sympathischer geworden. Er wagt etwas, er trifft Entscheidungen. Josef steht immer zu seiner Frau, schützt sie. Ein mutiger Mann. Auch wenn er eher im Hintergrund bleibt in der Bibel. Aber seine Hand, die schützt, ist spürbar. Und auf diesem Bild sichtbar.
Moderne Version der Flucht vor Herodes
Jürgen Kappel, Redakteur.
Jürgen Kappel: Erschöpft sitzen die drei Frauen und ein Mann am Boden. Sie waren auf der Flucht und sind zur Ruhe gekommen. Das Bild ist auf der Flucht aus Afghanistan entstanden. Im letzten Augenblick haben die Menschen es aus der Hölle in das Flugzeug geschafft. Das Bild vermittelt Geborgenheit. Die Hand auf der Stirn der Mutter, die ihr Kind festhält, ist eine Geste der Zuversicht. Das Bild ist für mich die moderne Version der Flucht von Maria und Josef nach Ägypten. Mit dem Jesuskind flohen sie vor dem Despoten Herodes. Auf dieser Flucht gab es sicher Momente der Angst und Erschöpfung. Und wahrscheinlich hat Gott damals auch eine helfende Hand geschickt, die ihnen vermittelte: Ihr seid nicht allein.
Truppentransporter als Herberge
Michael Rottmann, Redakteur.
Michael Rottmann: Fürs Erste sind sie gerettet – jetzt bleibt nur noch Hoffen. Was denn auch sonst? Für die Menschen, die es irgendwie doch noch geschafft haben in die Maschine, raus aus ihrer von Terror und Gewaltherrschaft bedrohten Heimat. So wird der Truppentransporter zur Herberge auf der Flucht ins Ungewisse.
Im Gedröhn der Triebwerke fallen die Menschen in einen ohnmächtigen Schlaf, der ein paar Stunden Ruhe bringt. Ihnen bleibt nichts als Hoffnung auf eine hellere, friedvollere Zukunft. Für die Mutter genauso wie das Baby auf ihrem Arm oder die anderen, die mit ein paar Habseligkeiten in der Enge zusammenkauern.
Herberge und Hoffnung – was liegt näher, als bei diesen Begriffen an die Nacht in Bethlehem zu denken. Und daran, dass sich Weihnachten immer und überall ereignen kann. Gerade in Zeiten größter Not und Bedrängnis. Egal, ob Bürgerkrieg oder Pandemie.
Ich wüsste gerne mehr von ihnen
Bernd Schumacher, Produktionsleiter Print.
Bernd Schumacher: Matthäus beschreibt in seinem Weihnachts-Evangelium die Umstände, warum die Heilige Familie nach Ägypten fliehen muss. Daran muss ich spontan denken, wenn ich dieses Bild von einem Rettungsflug aus Afghanistan sehe. Eine Frau, ein Kleinkind und ein Mann werden – mit weiteren Personen – aus der Gefahrenzone Kabul geflogen. So stelle ich mir in Anlehnung an das Matthäus-Evangelium Weihnachten heute vor. Gleichzeitig kann ich mich gut in die Notlage der Heiligen Familie vor 2000 Jahren hineinversetzen.
Die Aufnahme ist schon vor einiger Zeit im Sommer entstanden. Was ist inzwischen passiert? Sind alle nach ihrer Flucht in der Sicherheit, die sie suchten? Haben sie eine neue Heimat gefunden? Ich wüsste an diesen Weihnachtstagen gerne mehr über die Flüchtlinge aus der Militärmaschine.
Auch Fremde können Frieden bringen
Norbert Ortmanns, Redakteur.
Norbert Ortmanns: „Gemeinschaft trägt“, heißt das Motto meiner Coesfelder Heimatgemeinde „Anna Katharina“. Ein Wahlspruch, der mir beim Betrachten des Fotos sofort in den Sinn kommt. Nach harten Tagen der brutalen Verfolgung und Vertreibung, hat die Mutter mit ihrem Kind Ruhe und Frieden inmitten einer Gemeinschaft von Flüchtlingen gefunden. Mit Hilfe des schützenden Kokons anderer Menschen, die ihr möglicherweise fremd sind, erlangt sie Ruhe und Frieden an Bord des amerikanischen Flugzeugs mit dem Namen „Reach“. Ein Begriff, der Programm wird, weil man ihn auch mit dem Verb „erlangen“ übersetzen kann. Hoffentlich hat sie – genau wie alle anderen Flüchtlinge – an ihrem Ankunftsort die Aufnahme in eine neue Gemeinschaft erlangt, die sie trägt und allen weihnachtliche Hoffnung gibt.
Flucht aus Kabul wie aus Bethlehem
Jens Joest, Redakteur im Newsroom.
Jens Joest: Eine Familie in Sicherheit: Die Mutter kann die Augen schließen, spürt ihr Kind im Arm. Der Mann im Bildvordergrund, vielleicht der Kindsvater, hat auf beide Acht. Ein Moment der Erleichterung – auch wenn eine Familie das Land verlassen muss, in dem ihr Baby geboren wurde.
Auch die Heilige Familie war zur Flucht gezwungen. War es im Matthäusevangelium König Herodes, der das Leben Jesu bedrohte, so ist es 2021 das Taliban-Regime, das diese Familie fürchten ließ, das Leben in ihrer Heimat sei nicht mehr sicher. Flucht aus Kabul statt aus Bethlehem.
Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, auch in diesen Tagen. Viele konnten kaum ihr Leben retten. Will der reiche Westen denen ein menschenwürdiges Leben versagen, die letztlich nicht mehr suchen und erbitten als genau das?