Hildegard Stukenborg aus Vechta hilft anderen Betroffenen

Eine Frau schenkt Blinden neue Zuversicht - seit mehr als 25 Jahren

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Die 68-Jährige kann selbst nur noch wenig sehen. Aber genau das und ihr Gottvertrauen treiben Hildegard Stukenborg aus dem oldenburgischen Vechta seit mehr als zwei Jahrzehnten an zum Einsatz für andere Sehbehinderte. Zuhören, Kontakte schaffen und neue Wege in die Zukunft aufzeigen – damit hat sie schon vielen helfen können. Sie sagt: „Ohne meinen Glauben könnte ich das nicht“.

Besonders schlimm ist es, wenn es Kinder trifft. Hildegard Stukenborg hat auch solche Fälle im Kopf. Wie den Jungen aus einem Nachbarort ihrer Heimatstadt Vechta. „Er ist zwölf Jahre alt, besucht das Gymnasium, und sein Augenlicht geht nach und nach zurück“. Ein hartes Schicksal. Aber auch für Ältere sei eine Erblindung ein schwerer Schlag. Für manche bricht ein Lebensentwurf zusammen. Wie für die 26-jährige sehbehinderte Frau, die sich nach dem Abitur nur noch um ihre ebenfalls blinde Mutter gekümmert hatte – bis zu deren Tod. Und jetzt sucht sie verzweifelt und bisher vergeblich nach einem Einstieg in Beruf oder Studium.

Hildegard Stukenborg nickt und sagt: „Ich will ihr jetzt wieder auf die Sprünge helfen.“ Das Bild umschreibt plastisch, was sie meint: Kontakte herstellen, Möglichkeiten aufzeigen und – vor allen Dingen: Mut für die Zukunft machen. So wie schon so vielen vor ihr.

Stukenborg ist von Geburt an sehbehindert

So versteht die Rentnerin ihre Aufgabe als Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenverbands Niedersachsen in der Region Oldenburg: Ansprechpartnerin zu sein und neue Wege aufzuzeigen. Schließlich weiß sie genau, wovon sie spricht. „Ich bin selbst mit einer Sehbehinderung geboren“, erklärt sie. Doch erst im Alter von drei Jahren hatte ein Augenarzt das festgestellt. „Auf einem Auge sah ich gar nichts, auf dem anderen noch 70 Prozent.“ Mittlerweile sind es nur noch 30.

Vor acht Jahren hat die ehemalige Verwaltungsangestellte ihren Führerschein abgegeben. Der Sessel in ihrem Wohnzimmer steht direkt vorm Fernsehbildschirm. „Ich muss ganz nah ranrücken.“ Aber so viel schaue sie gar nicht. „Ich höre mehr Radio“, sagt sie.

Zur Sehschwäche kommt eine Lichtallergie

Die Sehschwäche ist nicht ihr einziges Problem. Dazu kommt eine extreme Lichtallergie. In der Wohnung dämpfen Vorhänge und Rollläden die Strahlen der Augustsonne. Nach draußen traut sich Hildegard Stukenborg nur mit einer speziellen „Kantenfilterbrille“. Die reduziert die Anteile des Lichts, die sie nicht verträgt. Sogar die LED-Strahler in ihrer Pfarrkirche sind zu grell und bunt für sie, deshalb geht sie sonntags in die Klosterkirche der Dominikaner. Denn der Kirchgang ist ihr wichtig.

Seit rund 25 Jahren setzt sie sich für Menschen mit ähnlichen Problemen ein, zum einen im Blinden- und Sehbehindertenverband, zum anderen im Katholischen Blinden- und Sehbehindertenwerk Norddeutschland (KBSW). Seit mehr als drei Jahren ist die ledige Frau als stellvertretende Vorsitzende mit zuständig für die Bistümer Hildesheim, Osnabrück und Hamburg sowie für den niedersächsischen Teil des Bistums Münster.

Betroffene rufen direkt bei Hildegard Stukenborg an

Für ihren Einsatz in beiden Verbänden gilt: Sie will Betroffenen Mut und Hoffnung schenken. Genau daran fehle es vielen, die in ihrer Not auch mal nachts oder am Wochenende direkt bei ihr anrufen. Zum Beispiel Menschen, deren Augenlicht nach und nach immer mehr schwindet – und die nicht weiterwissen. Die manchmal verzweifelt mit Tränen kämpfen – oder ihnen freien Lauf lassen.

Hildegard Stukenborg bleibt dann am Apparat, hört zu und überlegt, wie sie helfen kann. Manchmal funktioniert das gut. So wie bei dem mittlerweile 30-jährigen jungen Mann mit zehn Prozent Rest-Sehstärke. Dessen Lehrer hatte sich bei ihr gemeldet und die Not seines Schülers geschildert: Er wolle nach abgeschlossener Höherer Handelsschule Industriekaufmann werden, erhalte aber eine Lehrstellen-Absage nach der anderen. Bis sich Hildegard Stukenborg einschaltete – und nicht lange fackelte.

Kurzerhand Ausbildungsplatz vermittelt

Hildegard Stukenborg mit ihrem Fahrrad.| Foto: Michael Rottmann
Hildegard Stukenborg ist oft mit ihrem Fahrrad unterwegs. | Foto: Michael Rottmann

Kurzerhand ließ sich die Vertreterin des Blindenverbands mit der Personalabteilung einer großen Firma in der Region verbinden. Zwei Tage später hatte der Heranwachsende dort ein Vorstellungsgespräch und am Montag drauf einen Ausbildungsplatz in der Tasche. Hildegard Stukenborg lächelt zufrieden. „Anschließend hat er sein Abitur nachgeholt, studiert und arbeitet jetzt in Bremen.“ Sie steht weiter mit ihm in Verbindung.

Es sind aber nicht nur die ganz schwierigen Fälle, um die sich ihr Einsatz dreht. Im Auftrag des Blindenwerks ist sie auch schon mal bei Senioren unterwegs, die Hilfe bei der Bewältigung ihres Alltags benötigen. Wo es um Fragen geht wie: „Wie kann ich den Herd sicher bedienen, wenn ich die Zahlen auf den Griffen nicht mehr erkennen kann?“

Viele Sehbehinderte suchen Menschen zum Reden

Was sind denn die typischen Alltagsprobleme von Menschen mit Sehbehinderung? Hildegard Stukenborg muss nicht lange überlegen. „Lesen und die Uhrzeit. Weil sie Zeiger oder Ziffern nicht mehr erkennen.“ Zumindest für das zweite Problem hat sie einfache Lösungen parat. Etwa eine sprechende Uhr, die auf Knopfdruck die Zeit ansagt. Oder eine „Alexa“, die auf Nachfrage auch das Wetter vorhersagt, die Nachrichten vorliest oder Musik abspielt. „Das nutzen neuerdings ganz viele Sehbehinderte“, weiß sie.

Nicht immer geht es um praktische Hilfe. Aus Kontakten über den Katholischen Blindenverband weiß Hildegard Stukenborg, wie wichtig vielen auch Zuspruch und Seelsorge sind. Sofort fällt ihr die Geschichte einer Frau aus der Region ein, der sie den Kontakt zu einem Priester vermittelt hat und die ihr immer wieder berichtet, wie gut ihr das tue, dass er regelmäßig zu ihr komme, um ihr zuzuhören. „Genau das brauchen viele: Menschen, die einfach nur zuhören“.

Stukenborg betet täglich den Rosenkranz

Und auch Gemeinschaftserlebnisse, die für Blinde und Sehbehinderte seltener möglich sind als für andere. Deshalb biete das Katholische Blindenwerk regelmäßig Fahrten an, Tagesausflüge oder die jährliche Kulturfahrt zum Beispiel. Die große Nachfrage zeigt ihr, wie wichtig solche Angebote sind. „Die Menschen sind ja sonst oft allein und leben zurückgezogen.“

Wichtig sei für viele auch der Glaube, auch für sie selbst. „Wenn ich den nicht hätte, könnte ich das alles nicht“, ist Hildegard Stukenborg überzeugt. Der Kirchgang am Sonntag zählt für sie ebenso dazu wie tägliche Gebete, etwas das Gesetz des Rosenkranzes, das sie auch immer morgens auf dem Weg zur Arbeit gesprochen hat. „Das ist für mich wichtig“, sagt sie. Genauso wie Gottesdienste. „Wo ich Gemeinschaft mit anderen erleben kann.“ Und auch als Ort, um Kraft zu tanken.

Deutsches Katholisches Blindenwerk
Das Deutsche Katholische Blindenwerk (DKBW) vertritt seit mehr als 50 Jahren die Interessen blinder, sehbehinderter und taubblinder Menschen. Dabei kümmert es insbesondere auch die Not Blinder in weniger bevorteilten Erdteilen, die dort keine Förderung erfahren. Es finanziert seine Arbeit ausschließlich über Spenden, Vermächtnisse und Erbschaften. Von staatlichen oder kirchlichen Institutionen erhält das DKBW keinerlei Zuwendungen. Es DKBW ist zudem Dachverband für sieben regionale Blindenwerke, die für das Gebiet eines oder mehrerer Bistümer tätig sind. www.blindenwerk.de

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