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Als „Diesseits-Religion“ bezeichnet der Frankfurter Sportsoziologie-Professor Robert Gugutzer die Optimierung des eigenen Körpers. Manchen Fitnessaktiven gehe es darum, den Körper zur zentralen Sinninstanz ihres Lebens zu machen, sagte Gugutzer in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ am 6. Juni 2023.
Wenn die Religion als Sinnstifterin an Bedeutung verliere, könne an ihre Stelle der Körper mit seiner Möglichkeit treten, Sinn aus sich selbst zu schöpfen. „Das ist im Gegensatz zur Religion diesseitsorientiert, denn der Körper ist im Hier und Jetzt verankert“, so Gugutzer.
Menschen weiterhin mit Sinnbedürfnis
In der Interpretation des Sportsoziologen hat Kirchenreligion gesellschaftlich an Bedeutung verloren, der Körper aber gleichzeitig an Bedeutung gewonnen: „Ich glaube, dass Menschen immer noch ein Sinnbedürfnis haben. Aber wenn die Religion nun einmal nicht mehr der Bereich ist, in dem Menschen diesen Sinn finden – was ist denn dann?“
Sportsoziologe Robert Gugutzer, Universität Frankfurt. | Foto: Uwe Dettmer
Gugutzer äußerte sich im Kontext der Frage, wo die Grenze zwischen gesunder Bewegung und einer Sport-Sucht zu ziehen ist. Wenn Kondition, Krafttraining, Muskelaufbau, Ernährung, ein vorzeigbarer Body und „die Pflicht zur Gesundheit“ das Leben dominieren, ist nach seiner Ansicht der Sport vor allem Bewältigungsstrategie zu Themen, die sich um die eigene Identität, Selbstsicherheit, Kontrolle und um Überlebensstrategien drehen.
Körper teils mit überhöhtem Stellenwert
Einerseits habe der Körper aktuell einen teils überhöhten gesellschaftlichen Stellenwert. Andererseits solle man Menschen nicht vorschnell abwerten, weil sie sich viel mit dem eigenen Körper beschäftigen, meint Gugutzer. Denn der Körper habe ein Recht darauf, dass man sich mit ihm auseinandersetze: „Das ist eine moralische Haltung, die dahintersteht: Wer sich mit dem Körper beschäftigt, ist minderwertig. Wer ein Buch liest oder künstlerisch tätig ist, macht alles richtig und ist ein besserer Mensch.“
Das finde er „ziemlich schräg“, so der Wissenschaftler: „Die Motivation und das Training, das man für einen Marathon aufbringen muss, kann nicht jeder aufbringen. Aber diese Talente werden weniger wertgeschätzt als die geistigen.“