Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung für Deutschland

Studie: Religiöse Vielfalt wächst, Toleranz und Dialog werden wichtiger

  • Deutschland ist religiös immer pluraler geworden.
  • Ein Drittel der Menschen empfindet das als Bedrohung.
  • Eine Studie zeigt Wege, um eine Polarisierung zu verhindern.

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Die religiöse Landkarte in Deutschland hat sich stark verändert: Religion ist nicht auf dem Rückzug, aber die Kirchen haben deutlich an Einfluss verloren, die Zahl der Bundesbürger, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, ist gewachsen. Zugleich verlagert sich Religion ins Private. Das sind die Ergebnisse des Religionsmonitors 2023 der Bertelsmann-Stiftung. Die wachsende religiöse Vielfalt und Unübersichtlichkeit birgt dabei Chancen und Risiken für die Gesellschaft.

Zählten sich 1950 noch 96 Prozent der Bundesbürger zu den beiden großen Kirchen, sind mittlerweile nur noch rund 50 Prozent katholisch oder evangelisch.

Ein Drittel ordnet sich keiner Religion zu

Andersgläubige und Nichtreligiöse machten 1950 lediglich 4,4 Prozent aus. Heute ordnen sich allein über ein Drittel der Deutschen (35,9 Prozent) keiner Religionsgemeinschaft zu. Sinnsuche und religiöse Funktionen wandern in Lebensbereiche wie Meditation, Yoga oder Esoterik ab.

Die größte Glaubensgemeinschaft nach den Christen ist der Islam mit - laut Religionsmonitor - 8,5 Prozent der Bevölkerung. Auch er ist divers: Es gibt Sunniten, Schiiten und Aleviten. Darüber hinaus bekennen sich Bundesbürger zum Hinduismus (1,3 Prozent), Buddhismus (0,9 Prozent) und Judentum (0,3 Prozent).

Kaum Teilnahme an Gemeinderitualen

Laut Studie betrachten viele ihren Glauben heute als etwas Individuelles. Ein Großteil der Gläubigen nimmt laut Studie gar nicht (25 Prozent) oder nur unregelmäßig (57 Prozent) an Gemeinderitualen teil. "Die meisten Menschen hierzulande leben eine moderate Religiosität", heißt es.

"Doch Religion ist nach wie vor eine ambivalente soziale Kraft", betonen die Autoren. "Ein gelingendes Zusammenleben von Menschen verschiedener Glaubensrichtungen - und auch von Menschen ohne Religionszugehörigkeit - stellt daher eine besondere und dauerhafte Herausforderung liberaler Demokratien dar."

Studie: Offenheit gegenüber anderen Religionen nimmt ab

Besorgt analysieren die Studienautoren, das Wissen über Religion und die Offenheit gegenüber anderen Religionen hätten abgenommen. Es gebe eine zunehmende Kluft zwischen dem Drittel der Bevölkerung, das keinen Bezug zur Religion hat, und einem kleinen Kreis von Menschen, deren Leben stark religiös geprägt ist. Dazu zählen insbesondere Personen, die evangelikal-freikirchlich-pfingstkirchlich oder sunnitischen Glaubens sind.

Grundsätzlich belegt die Studie ein weiter hohes Maß an religiöser Toleranz in Deutschland - das aber im Vergleich zum Religionsmonitor 2013 abgenommen hat. So bejahen 93 Prozent die generelle Aussage, jeder und jede solle die Freiheit haben, die Religion zu wechseln oder abzulegen. 80 Prozent sind der Meinung, man solle gegenüber anderen Religionen offen sein - 2013 waren dies noch 89 Prozent.

Bewertung religiöser Vielfalt

Eine zunehmende Polarisierung zeigt sich bei der Frage, wie religiöse Vielfalt bewertet wird: Je ein Drittel der Befragten sagen, sie empfänden die Pluralisierung des Religiösen als Bedrohung, als Bereicherung oder ambivalent.

Wichtig für eine positive Haltung zu religiöser Vielfalt sei das zwischenmenschliche Vertrauen, sagt Yasemin El-Menouar, Religionsexpertin der Bertelsmann-Stiftung. Aufgeheizte und emotional aufgeladene Debatten vor allem in sozialen Medien seien deshalb kontraproduktiv.

Kontakte zu anderen Religionen

Sehr positiv wirken persönliche Kontakte zwischen Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften in der Freizeit - etwa in Sportvereinen oder Begegnungsstätten. Insgesamt haben 41 Prozent der Befragten häufig, 49 Prozent selten und elf Prozent nie Freizeitkontakte zu Personen anderer Glaubenszugehörigkeit.

Dabei gibt es eine ungleiche Verteilung: Rund 80 Prozent der Musliminnen und Muslime haben häufig Freizeitkontakt zu Personen anderen Glaubens. Unter den Christinnen und Christen sind es knapp 37 Prozent.

In der Gruppe derer, die keine interreligiösen Kontakte haben, zeigen lediglich 19 Prozent eine positive Sicht auf religiöse Vielfalt. Unter denen, die häufig interreligiösen Kontakt erleben, betrachten 40 Prozent die Pluralität als Bereicherung.

Bedeutung interreligiöser Begegnung

"Unsere Studie zeigt, dass interreligiöse Begegnung Vertrauen und gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken kann", erklärt El-Menouar. Das sei jedoch kein Automatismus. Die persönliche Begegnung baue nur Vorbehalte ab, wenn sie auf Augenhöhe stattfinde, eine wirkliche Zusammenarbeit einschließe und durch Institutionen unterstützt werde.

"Damit sich die positiven Impulse durchsetzen, benötigen wir fundiertes Wissen über das religiöse Leben und Begegnungen auf Augenhöhe", sagt El-Menouar. Es sei die Aufgabe von Religionspolitik und Glaubensgruppen, hierfür Plattformen zu schaffen. "Sonst droht Pluralität in Polarisierung umzuschlagen."

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