Verbandspräsident Stefan Becker im Interview

Familienbund: Wir brauchen mehr Wertschätzung für Familien

Seit Jahren habe es keine substanziellen Fortschritte in der Familienpolitik gegeben, beklagt der Präsident des Familienbunds der Katholiken, Stefan Becker. Im Interview fordert er eine größere Wertschätzung von Familien durch Gesellschaft und Politik.

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Seit Jahren habe es keine substanziellen Fortschritte in der Familienpolitik gegeben, beklagt der Präsident des Familienbunds der Katholiken, Stefan Becker. Im Interview fordert er eine größere Wertschätzung von Familien durch Gesellschaft und Politik.

Herr Becker, es gibt den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, den für einen Ganztagsplatz in Grundschulen soll es bald geben, dazu ein modifiziertes Elterngeld vor allem für Teilzeitkräfte. Reicht das, um Job und Familie unter einen Hut zu bekommen?

Nein, das reicht bei weitem nicht. Es fehlt uns der große Wurf. Die meisten Maßnahmen ziehen doch in erster Linie darauf ab, dass junge Mütter schnell mit möglichst hohem Stundenumfang wieder zurück in die Erwerbsarbeit kommen. Und das wird nicht dadurch ausgeglichen, dass die Väter dann etwas weniger arbeiten. Das wäre selbst bei der von der SPD favorisierten Familienarbeitszeit der Fall gewesen: Unterm Strich hätten die Eltern sogar oft mehr gearbeitet. Dabei brauchen junge Familien neben ausreichender finanzieller Unterstützung und Betreuungsangeboten doch vor allem eins: Gemeinsame Zeit!

Stefan Becker ist Präsident des Familienbunds der Katholiken. | Foto: Jens JoestStefan Becker ist Präsident des Familienbunds der Katholiken. | Foto: Jens Joest

Was schlagen Sie vor?

Wir brauchen endlich einen echten Paradigmenwechsel. Wir brauchen das große Signal, dass Familien wertgeschätzt werden. In der Politik ist aber im Moment nichts davon in der Pipeline. Vor allem die Unternehmen müssten viel stärker in die Pflicht genommen werden. Das sehen wir jetzt wieder beim Gesetzentwurf für eine Brückenteilzeit, die erst ab Unternehmen mit einer Größe ab 46 Arbeitnehmern greifen soll – ohne Einschränkungen sogar erst ab 201 Mitarbeitern. Wir brauchen aber gesetzliche Vorgaben, die alle Unternehmen darauf festlegen, Familien mehr Frei- und Schutzräume zu geben. Freiwillig funktioniert das offenbar nur bei wenigen Unternehmen.

Wie bewerten Sie den Gesetzentwurf für eine Brückenteilzeit?

Das ist wieder eine halbherzige Initiative. Ich hätte es gut gefunden, dass Arbeitnehmer mit kleinen Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen Vorrang gehabt hätten. Da hätte man ein deutliches Signal in Richtung Familien setzen können, das ist nicht erfolgt – leider. Deswegen ist das für mich keine familienpolitische Maßnahme. Ich hoffe nun, dass zumindest das geplante Gute-Kita-Gesetz keine Luftnummer wird, sondern wirklich eine spürbare Qualitätsverbesserung bringt.

Das Familienministerium will bedürftigen Familien durch eine Reform des Kinderzuschlags helfen.

Das finden wir gut, aber ich fürchte, dass auch das nicht reichen wird. Zwei Drittel der Bedarfsberechtigungen rufen diese Familienleistungen nicht ab, weil die Beantragung extrem kompliziert ist. Wenn man ernsthaft Familien helfen wollte, bräuchten wir dringend eine Vereinfachung. Deswegen tritt der Familienbund für eine Zusammenlegung von Kindergeld und Kinderzuschlag ein. Dadurch wäre gewährleistet, dass alle Familien die ihnen zustehenden Leistungen erhalten. Weiter plädieren wir für mehr Unterstützung von Familien beim Wohnen. Es liegt doch nicht an den Flüchtlingen, dass es überall zu wenig Wohnraum gibt. Die Verantwortlichen haben schon seit Jahren versäumt, ausreichend günstigen Wohnungen zu schaffen.

Was halten Sie von Plänen der Koalition von SPD und Union, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern?

Wir finden das problematisch. Nach meiner Ansicht wird eine Gesetzeslücke suggeriert, die es nicht gibt. Das Grundgesetz gilt für alle, damit auch für Kinder. Eine Verankerung ist schöne Symbolpolitik, die aber real nichts ändert, die sich aber möglicherweise zum Nachteil des Erziehungsrechtes der Eltern auswirken könnte. Was wir brauchen, sind mehr konkrete Angebote für Familien, keine überflüssige Verfassungsdebatte.

Ein ganz anderes familienpolitisches Thema ist der Paragraf 219a im Strafgesetzbuch, der Werbung für Abtreibungen verbietet. Einige Fraktionen wollen ihn streichen. Was halten Sie davon?

Auch hier wird ein Handlungsbedarf suggeriert, den ich nicht sehe. Die gegenwärtige Rechtslage ist das Ergebnis eines ausgewogenen Schutzkonzeptes. Der gefundene Kompromiss bringt die Rechte der Frau und das Schutzbedürfnis des Kindes in Einklang. Jedem Schwangerschaftsabbruch muss eine seriöse und unabhängige Beratung über die Möglichkeiten, Folgen und Risiken des Schwangerschaftsabbruchs und mögliche Alternativen vorausgehen. Die Information darüber, wer Schwangerschaftsabbrüche durchführt, sollte aber von einer unabhängigen Stelle kommen. Bei Informationen durch Ärzte, die mit Schwangerschaftsabbrüchen Geld verdienen, drohen Interessenkonflikte. Wir treten dafür ein, dass Frauen die Informationen bekommen, die sie brauchen. Eine Änderung des Strafrechts ist dafür aber nicht nötig.

Wie bewerten Sie die Diskussion zur Kommunion für protestantische Ehepartner?

Das ganze Hin und Her und die Art, wie die Bischöfe miteinander umgegangen sind, hat falsche Signale gesetzt. Das ist ein theologischer Streit, den kein Laie mehr versteht. Die Frage ist doch, ob wir eine einladende Kirche sein wollen, die auch konfessionsverbindenden Ehen den Rücken stärkt. Wenn ein solches Zeichen nicht kommt, vergibt die Kirche eine große Chance. Ich hoffe, dass es nun viele beherzte Priester und Bischöfe geben wird, die Möglichkeiten für eine gemeinsame Kommunion eröffnen.

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