Opferzahlen bei häuslicher Gewalt steigen deutlich

Frauenhaus-Leiterin: Gewalt gegen Frauen auch im Münsterland Alltag

  • 240.547 Menschen sind 2022 Opfer häuslicher Gewalt geworden – 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr.
  • Mehr Schutz für Frauen sei nötig, meint die Leiterin des Frauenhauses in Bocholt, Silke Hempen.
  • Auch im ländlichen Münsterland seien Taten verbreitet.

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Seit Jahren registriert die Polizei eine wachsende Zahl von Gewalttaten in Partnerschaften und Familien. „Beim Schutz von Opfern häuslicher Gewalt gibt es in Deutschland erheblichen Nachholbedarf. Die Zahlen belegen das“, sagt Silke Hempen, Leiterin des Frauenhauses in Bocholt.

Den jüngsten Bericht des Bundeskriminalamts, der gestiegene Opferzahlen dokumentiert, kann Hempen für das westliche Münsterland bestätigen: „Im ländlichen Raum ist häusliche Gewalt genauso anzutreffen wie in den Großstädten. Unser Frauenhaus in Bocholt ist immer belegt. Häusliche Gewalt ist ein Alltagsphänomen. Sie trifft vor allem die Frauen.“

Hohe Dunkelziffer

Grafik der Bundesregierung
Daten zu häuslicher Gewalt in Deutschland. | Grafik: Bundesregierung

Das Lagebild „Häusliche Gewalt“ zeigt: Die Zahl der Opfer ist deutlich gestiegen. 2022 wurden bundesweit 240.547 Opfer häuslicher Gewalt erfasst, 8,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Überwiegend trifft es Frauen: 71,1 Prozent der Opfer sind weiblich, während Täter zumeist Männer waren (76,3 Prozent).

„Wenn die Zahlen präsentiert werden, ist die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erst einmal hoch. Doch dann werden die Opfer schnell vergessen“, beklagt Hempen. Dass die Zahl der gemeldeten Fälle häuslicher Gewalt gestiegen sei, liege daran, dass sich immer mehr Frauen trauten, Anzeige zu erstatten. 

Übergriffe im Corona-Lockdown

Das war früher anders. „Das Selbstbewusstsein der Frauen ist zum Glück gestiegen“, sagt die Leiterin des Frauenhauses. Unabhängig davon sei die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher - Hempen schätzt: um das Neunfache.

Gerade in der Corona-Pandemie, als viele Familien gezwungen waren, lange Zeit zu Hause zu bleiben, und die soziale Unsicherheit groß war, habe häusliche Gewalt zugenommen. „Im Lockdown stellten wir vermehrt gewalttätige Übergriffe gegen Frauen fest“, sagt Hempen.

Mehr schutzsuchende Migrantinnen

Silke Hempen
Silke Hempen leitet das Frauenhaus der Caritas in Bocholt. | Foto: privat

Im vom Caritasverband getragenen Frauenhaus in Bocholt können in acht Zimmern etwa 15 Frauen mit Kindern leben. Dort können Frauen, die von körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt betroffen oder bedroht sind, Sicherheit und Beratung erhalten, anonym und selbstständig leben.

In der 1982 gegründeten Einrichtung haben seither mehr als 2.300 Frauen und 2.800 Kinder Schutz gefunden. Seit einigen Jahren kommen immer mehr Migrantinnen in das Frauenhaus. „Die Zahl der deutschen Frauen hat abgenommen. Heute kommen vermehrt Frauen aus patriarchalischen Verhältnissen zu uns, die eine Zwangsverheiratung erleben mussten“, stellt Hempen fest. Mit dem Flüchtlingszustrom seien auch die Herausforderungen der Frauenhäuser gestiegen.

Schwierige Refinanzierung

Hempen, die seit 21 Jahren die Einrichtung leitet, sieht die Politik in der Pflicht, mehr für Opfer häuslicher Gewalt zu tun und besser die Frauenhäuser zu unterstützen: „Nach wie vor fehlt eine klare Regelung für die Finanzierung der Frauenhäuser. Wir werden immer noch – und das seit Jahrzehnten – projektfinanziert.“

Abgerechnet würden Tagessätze, etwa mit dem Jobcenter und der Kreisverwaltung Borken, und Kosten für die psycho-soziale Beratung. Zuschüsse für „Kann-Leistungen“ gäben der Kreis, die Stadt Bocholt, das Land Nordrhein-Westfalen und die Caritas als Träger.

Gute Zusammenarbeit mit der Polizei

„Die Rahmenbedingungen sind so: Frauenhäuser kann es geben, sie muss es aber nicht geben. Hier ist die Politik gefordert, die Einrichtungen dauerhaft sicherzustellen“, sagt Hempen. 

Positiv und vertrauensvoll sei die Zusammenarbeit mit der Polizei. Wer besonderen Opferschutz benötige, bekomme ihn. In früheren Jahrzehnten habe die Polizei häusliche Gewalt oft als innerfamiliären und privaten Streit bewertet. „Das ist heute anders. Heute werden Täter aus der Wohnung verwiesen und bekommen leichter ein Kontaktverbot“, sagt die Frauenhaus-Leiterin.

Auch die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe diene dem Schutz der Frauen. „Die Rechte von Frauen sind besser geworden, aber es gibt noch viel zu tun, Frauen besser vor Gewalt zu schützen.“

Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" bietet unter Tel. 116 016 rund um die Uhr kostenlose und anonyme Beratung in 18 Sprachen an. Weitere Informationen: www.hilfetelefon.de.

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