Erfahrungen eines Trauerbegleiters

Geduldiger Zuhörer: Peter Rörsch macht sich mit Trauernden auf den Weg

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Trauerbegleiter Peter Rörsch hilft, wenn ein Todesfall Menschen in Verzweiflung stürzt. Nicht mit schlauen Tipps, sondern als geduldiger Zuhörer. Über seine Erfahrungen hat er ein „Praxisbuch“ geschrieben.

Trauer ist nicht das Problem. Trauer ist die Lösung!“ Peter Rörsch lächelt und erklärt: „Und Trauer ist natürlich! Sowohl biologisch natürlich als auch spirituell.“ Deshalb ist das meist einer der ersten Sätze, wenn er mit Menschen zu tun hat, die dabei sind, den Verlust eines Verwandten oder Freundes zu verarbeiten. Zum Beispiel, um ihnen deutlich zu machen: „Das, was Du da gerade erlebst, ist ein schmerzhafter Prozess, aber er ist wichtig!“

Seit mehr als zehn Jahren sammelt der pensionierte Schulleiter als Trauerbegleiter im Hospizverein Damme (Kreis Vechta) immer wieder Erfahrungen mit solchen Gesprächen, oft mit verzweifelten Menschen. Eltern, die ein Kind verloren haben, zum Beispiel, oder Angehörigen von Menschen, die sich das Leben genommen haben.

Ein Trauerbegleiter ist kein Therapeut

Solche Situationen seien besonders schlimm: Wenn Menschen sich nicht mehr verabschieden konnten. Gut erinnert sich der 73-Jährige an Weihnachten vor einigen Jahren. Er war auf einen Bauernhof gerufen worden. Ein Mann hatte sich im Stall erhängt.

„Ich habe damals den Bruder begleitet, etwa über ein Vierteljahr.“ Auch in solchen Situationen versuche er, den Menschen zu vermitteln: „Du bist wertvoll! Und Du bist mehr als Deine Trauer!“ In Gesprächen bei langen Spaziergängen zum Beispiel. Und mit klaren Grenzen. „Ich bin natürlich kein Therapeut“, betont der ehrenamtliche Trauerbegleiter. „Gefährdete Menschen vermittle ich an Experten weiter.“

Er hat Hunderte Gespräche geführt

Anfragen erreichen ihn über den Dammer Hospizverein, ab und zu über das „Netzwerk Trauer“ der Caritas, auch mal von Angehörigen selbst. Oder Bekannte geben einen Hinweis. Mit etwa 50 Trauernden hatte Peter Rörsch insgesamt schon zu tun, sich mit den Betroffenen über Monate, mit manchen auch über Jahre, immer wieder getroffen. Insgesamt kommt er auf rund 600 solcher Gespräche. Meist zuerst wöchentlich, dann in immer längeren Abständen. „Bis sie einen Platz für ihre Trauer gefunden haben. An einem Ort, in ihrem Herzen oder ihrem Kopf.“

Und immer wieder mal haben ihm Begegnungen das Gefühl gegeben, im richtigen Moment genau am richtigen Platz gewesen zu sein. Etwa, als eine Bekannte ihn anrief: „Ich glaube, meine Nachbarin braucht Hilfe und traut sich nicht, zu fragen.“ Peter Rörsch erinnert sich. „Die Trauer war groß. Die Familie war in Tränen aufgelöst.“ Er ist mit ihnen damals erst mal im Moor spazieren gegangen und konnte dabei spüren, wie sich die Verzweiflung nach und nach etwas löste.

Einfach da zu sein ist wichtig

„Nebenher zu gehen und da zu sein, wenn die Menschen ins Schwanken und Wanken kommen“, in dieses Bild bringt er seine Aufgabe als Begleiter. Er ist einfach da. Aber nicht etwa, um schlaue Tipps zu geben. Sondern zuerst, um geduldig zuzuhören. Und zwar als Grundhaltung, nicht als Technik. „Das spürt der andere“, ist Peter Rörsch überzeugt.

Es sei immer wieder erstaunlich zu erleben, sagt er: „dass Trauernde unwahrscheinlich viel nachdenken und reden können – wenn ich ihnen geduldig Raum dafür gebe“. Diese Art des Zuhörens liege ihm anscheinend, hätten ihn die Rückmeldungen spüren lassen und das Gefühl gegeben, die passende Aufgabe für sich gefunden zu haben.

Er macht Dinge immer intensiv

Angefangen beim Hospizverein Damme hat er mit Sterbebegleitung. „Ich war neugierig auf das Thema“, erklärt der Familienvater. Seine Frau Christel, von Beruf eine Buchhändlerin, hatte die entsprechende Ausbildung damals schon absolviert. Er selbst schob später die Ausbildung zum Trauerbegleiter nach, schon einige Jahre vor seiner Pensionierung. „Das Thema hat mich dann irgendwann gepackt. Und auf einmal war ich da drin.“

Ehrenamtlicher Einsatz gehörte für ihn immer dazu. Auch im Sport als Leichtathletiktrainer, damals bei der „Vereinigten Turnerschaft“ im pfälzischen Zweibrücken, seiner Heimat. „Ich glaube, ich war zeitweise sechsmal in der Woche auf dem Sportplatz.“ Peter Rörsch lächelt. „Wenn ich etwas mache, dann mache ich es intensiv.“

Jakobsweg mit der ganzen Familie

Neben dem Sport gehörte für ihn und seine Frau aber immer auch die spirituelle Seite dazu. Auch an seinen Stationen als Lehrer an Gymnasien in Sögel, in Paris, Melle, Damme oder in Vechta, wo er bis zur Pensionierung das Gymnasium Antonianum leitete und wo er wohnt. Peter Rörsch erinnert sich zum Beispiel an seine Zeit an der deutschen Schule in Paris. „Wir waren in einem religiösen Gesprächskreis und haben dort genauso Kindergottesdienste vorbereitet wie später in Melle.“

Dinge intensiv zu machen – für ihn und seine Familie bedeutete das zum Beispiel, gemeinsam den Jakobsweg zu gehen, mit allen vier Kindern, jedes Jahr in den Ferien ein Stück, bis nach Santiago de Compostela. Derzeit sind Peter Rörsch und seine Frau etappenweise unterwegs auf der „Via Tolosana“, die von Ost nach West durch Südfrankreich führt. Parallel absolviert er nach und nach die „Via Jutlandica“ von der dänischen Grenze aus Richtung Süden. Getreu dem Motto: „Wenn, dann richtig.“

Das Entscheidende ist das Gehen

„Beim Gehen passiert wahnsinnig viel“, sagt Peter Rörsch und stimmt dem Satz zu, den er irgendwo gelesen hat: „Man kann nicht pilgern, ohne spirituell zu werden.“ Eine Erfahrung, die auch in der Trauerverarbeitung helfe. Der Hospizverein Damme, den er bis vor zwei Jahren als Vorsitzender führte, lade deshalb regelmäßig zu „Trauergängen“ ein. Das Motto dabei laute: „Die Trauer unter die Füße nehmen.“ Mit Impulsen zwischendurch. Aber das Entscheidende sei das Gehen.

„In Trauergesprächen gebe ich Menschen das Gefühl: Ich trage das mit Euch!“, sagt Peter Rörsch. „Aber wenn ich nach Hause fahre, dann bin ich wieder Peter.“ Was hilft ihm dabei, dieses Nebeneinander von Gesprächen mit verzweifelten Menschen und dem eigenen Alltag hinzubekommen?

Abschalten beim Marathon oder auf dem Rennrad

Buchhinweis
Peter Rörsch: „Resonanz in der Trauerbegleitung“
In Hunderten Gesprächen als Trauerbegleiter hat Peter Rörsch erfahren, worauf es bei der Trauerbegleitung ankommt. In einem „Praxisbuch“ mit dem Titel „Resonanz in der Trauerbegleitung“ hat er seine Erfahrungen als Anleitung und Anregung für andere in diesem Bereich engagierte Menschen und Gruppen aufbereitet, bis hin zu konkreten Anregungen für die Planung von Trauercafés oder Trauergänge.
Sie können es bequem hier direkt bestellen bei unserem Partner Dialogversand.
248 Seiten
2023 Patmos-Verlag
28 Euro
ISBN 978-3-8436-1481-8

Der Trauerbegleiter zuckt mit den Schultern. „Wenn ich das wüsste? Vielleicht, dass ich ziemlich gut abschalten kann, zum Beispiel beim Sport.“ Er erzählt von seiner Leidenschaft für den Marathon, den er in seinen besten Zeiten schon mal in zwei Stunden und 45 Minuten geschafft habe. Mittlerweile hält er sich in erster Linie auf dem Rennrad fit.

Was ihm Freude an der Arbeit als Trauerbegleiter macht? „Ich kann aus den Menschen etwas herausholen, was weder er allein noch ich allein geschafft hätte.“ Das sei bereichernd und schön. „Zu erleben, dass ich Menschen dazu bringen kann, mir – einem bis dahin Unbekannten – zu vertrauen und bei sich einen kreativen Prozess in Gang zu setzen, der ihnen hilft.“

Trauer lässt sich nicht trainieren

Wenn er so viel übers Trauern weiß – hat er sich schon auf seinen Tod vorbereitet? Einen Plan für seine Beerdigung hat er bisher jedenfalls noch nicht gemacht. Peter Rörsch schüttelt den Kopf. „Höchstens, dass ich vor 30 Jahren mal gesagt habe, dass ich bei meiner Beerdigung keine Trauer-, sondern Jazzmusik haben möchte. Aber das war vor 30 Jahren…“

Er ist überzeugt: Richtiges Trauern lässt sich nicht trainieren. Sicher denke er mehr über Tod und Trauer nach als früher. „Aber wenn es mir selbst passiert, dann werde ich – so wie alle anderen auch – versuchen müssen, damit umzugehen.“ Vielleicht helfen ihm dann Gelassenheit und Gottvertrauen, wie er sie im Gedicht „Rezept“ von Mascha Kaléko so treffend in Worte gefasst gefunden hat: „Zerreiß deine Pläne. Sei klug und halte dich an Wunder.“

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