Markus Nolte über ein merkwürdiges Vorbild

Geistlicher Impuls zum Fest der Heiligen Familie

An diesem Sonntag feiert die Kirche die Heilige Familie. Aber eignet sie sich als moralisches Vorbild für eine perfekte Familie? Ein Vorbild ist Jesu Verhältnis zu seiner Familie durchaus, meint Markus Nolte.

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An diesem Sonntag feiert die Kirche die Heilige Familie. Aber eignet sie sich wirklich als moralisches Vorbild für eine perfekte Familie? Sicherlich nicht in diesem Sinn. Aber ein Vorbild ist Jesu Verhältnis zu seiner Familie durchaus, meint Markus Nolte.

Am Fest der Heiligen Familie an diesem Sonntag nach Weihnachten feiern wir noch einmal die Menschwerdung Gottes – in unsere Welt hinein: in die Geborgenheit, die Liebe und in das Glück eines jungen Paares mit ihrem ersten Kind; ein Bild, ein Vorbild für eine jede, zumal für eine christliche Familie. So sollte es sein, wie man sagt.

Und darum ist oder war es wohl üblich, gerade am Tag der Heiligen Familie etwas zu einer christlichen Ehe- und Familienmoral zu sagen – mitunter ungeachtet der Frage, ob das die werte Zuhörerschaft überhaupt interessiert. Ich bin ganz und gar nicht davon überzeugt, dass dieses Fest etwas für eine solche Moral hergibt; nicht mehr jedenfalls, als es jede Geschichte der heiligen Schrift immer irgendwie tut.

Sollte es dennoch um eine Moral gehen müssen, dann dürften auch jene Worte Jesu nicht ungesagt bleiben, die nur schwer in das moralische Vor-Bild einer christlichen Familie zu passen scheinen. Es beginnt schon ziemlich früh, wie das Evangelium vom Zwölfjährigen im Tempel erzählt. Jesus ist da, wo er hingehört, sagt er – aber seine Eltern finden ihn nicht, glauben ihn verloren, suchen ihn. „Was sucht ihr mich in dem, was meines Vaters ist?“

 

Was ist denn meine Familie?

 

Was bedeutet ihm seine Mutter, wenn Jesus sie scharf anfährt: „Was willst du von mir, Frau?“ – Und der Vater? Was ist mit Josef? Leihvater? Pflegevater? Man hört und liest so wenig von ihm im Evangelium. Und ihr Sohn ist zugleich nicht ihr Sohn. Kein Wunder, dass Erwartungen da nicht erfüllt werden.

Später, kaum beginnt das öffentliche Wirken Jesu, kaum hat er seine Jünger um sich gesammelt, da wird die Heiligkeit seiner Familie erneut massiv relativiert: „Was ist denn meine Familie?“, fragt Jesus und antwortet selbst: „Meine Mutter und meine Brüder sind die, die das Wort Gottes hören und danach handeln.“

Und in welcher Nachbarschaft der Feste steht dieses Fest der Heiligen Familie? Was ist das für ein festlicher Zusammenhang, wenn für ein noch so vorbildliches Kind alle gleichaltrigen Kinder der Nachbarschaft ihr Leben lassen müssen?

 

Was soll daran heilig sein?

 

Was ist das Heilige an dieser Familie? Wenn wir so fragen, müssen wir anders anfangen. Wenn es um das Heilige geht, geht es in erster Linie um Gott. Und wenn wir, wie wir es im Glaubensbekenntnis tun, den Schöpfer der Welt „Vater“ und Jesus Christus „Sohn“ nennen, dann ist das der menschenmögliche Versuch, sich der Art dieser Beziehung zu nähern und zu begreifen, was es heißt, wenn Gott sich „entäußert“ hat und Mensch wurde.

Gott gibt sich zu erkennen, er äußert sich. Gott bleibt nicht in der Ferne der Himmel – und doch bleibt er der Gott, den wir ein Leben lang suchen. Gott bringt das fertig, was uns so schwer fällt: Er ist ganz bei dem, den er liebt, tritt voll ein in Beziehung, kommt ganz nah. Und: Er bleibt, der er ist. Er bleibt ganz bei sich.

 

Jesus ist ausgesprochen Gott

 

Jesus Christus ist das Vorbild von Distanz und Beziehung, das Vor-Bild Gottes für uns Menschen: Zu jemandem „du“ sagen zu können und ihn oder sie auch vollkommen so zu meinen – und gleichzeitig nicht zu vergessen, wer da „du“ sagt: Ich. Ich selber.

Der Autor
Markus NolteMarkus Nolte ist Diplomtheologe und Stellvertretender Chefredakteur von "Kirche-und-Leben.de". Er lebt in Münster. | Foto: privat

Jesus Christus ist, wie die Bibel sagt, das Wort. Oder wie es die Theologie sagt: die Selbstmitteilung Gottes. Er ist ausgesprochen Gott. Das Wort, das nicht ohne Wirkung zu ihm zurückkehrt, sondern Wirklichkeit, erfahrbare Gegenwart wird in jedem Menschen. In Maria und Josef, in den Jüngerinnen und Jüngern, in der Begegnung mit dem Kind, das Jesus als Vor-Bild auf den Arm nimmt; in den Frauen, die ihm an seinem Kreuzweg und am Grab begegnen; in den Armen, Kranken, Schwachen, Entrechteten, Entmündigten, Verlassenen und Einsamen.

 

Trauung unterm Kreuz

 

Haben wir die Heilige Familie vergessen? Nein, das haben wir nicht. Gerade jetzt nicht. Am Kreuz hängend traut Jesus zwei Menschen einander an, stiftet die ihm eigene Verwandtschaft. Maria und Johannes, sein Lieblingsjünger. Nur sie sind ihm geblieben. Er vermählt sie auf ganz eigene Weise, spendet ihnen ein neues Sakrament: das Sakrament der Mutter- und Sohnschaft, das Sakrament einer neuen Beziehung, in der die Urdistanz der Einsamkeit, die jeder Mensch kennt, aufgehoben ist. Das heißt: gewahrt und überwunden zugleich. „Frau, siehe dein Sohn. – Siehe deine Mutter.“

Am Fest der Heiligen Familie kann es darum nicht nur um die heiligen Drei gehen. Und natürlich nicht um eine enge, womöglich auch ängstliche Familienmoral. Es geht um mehr, um Größeres. Es geht um die große Gnade Gottes, die uns bestärken soll, als Gotteskinder zu leben. Als Zeugen einer großen Schöpferkraft. Und jeden kommen, bleiben, gehen zu lassen wie Maria und Josef ihren Jesus und Jesus seine Eltern. Und bei einem jeden kommen und bleiben und gehen zu können. In Treue. Eine große Familie aller Menschen. Das sind wir und sollen es sein. Gut, dass wir daran erinnert werden.

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