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Warum nennt er sein Buch „Mein Leben ist Glück“? Wo Ronny Schwarz doch mit so vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Ein Jahr nach dem Erscheinen spricht der Autor mit Handicap über seine Erfahrungen danach, seine Beweggründe und über Glück.
Der erste Schock kam, als er die letzte Fassung vor dem Druck noch einmal durchgelesen hat. „Dabei wurde mir fast schlecht“, erinnert sich Ronny Schwarz. „Diese ganzen Gedanken von früher, was ich alles erlebt habe.“ Oder besser: durchgemacht.
Jetzt sitzt der Beschäftigte des Andreaswerks, der größten Einrichtung der Behindertenhilfe im Landkreis Vechta, mit dem kleinen Bändchen in der Hand vor seiner Cola und ist immer noch ein wenig stolz. Dass er das wirklich geschafft hat! Ein eigenes Buch! „Mein Leben ist Glück – Momente eines Lebens“ steht auf dem Einband, der einen weiten Meereshorizont unter blauem Himmel zeigt.
Schöne und schmerzhafte Erinnerungen
„Ich wollte es mir von der Seele runterschreiben.“ All das, was er so erlebt hat. „Ich wollte einfach mal…“ Ronny Schwarz sucht nach den richtigen Worten. „… sehen, wie das so ist.“ Wenn man das selbst erneut lese. All die Dinge, die er im Gespräch jeweils nur kurz umreißt. Schmerzhafte und schöne.
Die Erinnerungen an seine Krankheit als Kind zum Beispiel: an die Fieberkrämpfe etwa, die immer wieder kamen. Er hat die Szenen noch gut vor Augen. Wie ihn seine Mutter mit blauen Lippen und Herzstillstand im Badezimmer fand. Angst um den Jungen bestimmte lange das Leben der Familie. Einmal lag er drei Wochen in der Klinik. Bis zu seinem siebten Lebensjahr ging das so. Dann war die Krankheit plötzlich vorbei.
Strenges Elternhaus
Streng sei es zugegangen damals. Sowohl zu Hause als auch in der Lernbehindertenschule in der damaligen DDR, die er anfangs besuchte. Die Noten mussten stimmen. Der Vater – ein Grenzpolizist – verlangte auch von seinem Sohn, ein Vorbild zu sein.
„Eine Eins, Zwei oder Drei – das war okay. Ab einer Vier gab es Ärger, zum Beispiel Hausarrest.“ Schläge Gott-sei-Dank nie. Weh tat es dennoch manchmal. Weil Ronny Schwarz bewusst wurde: Er sollte etwas erfüllen, was er als Mensch mit Handicap einfach nicht erfüllen konnte.
Bloß nicht aus der Reihe tanzen
Dazu jeden Morgen Fahnen-Appell mit DDR-Hymne. Die Uniform musste perfekt sitzen, das Halstuch akkurat gebunden sein. Alles genau so, wie es vorgegeben war. Brav sein, nicht aus der Reihe tanzen und im Unterricht mucksmäuschenstill. Sonst wurden die Eltern auch schon mal in die Schule bestellt.
Es liegt wohl an solchen Erfahrungen, dass er sich heute nicht mehr von anderen sein Leben vorschreiben lassen will. „Selbstbestimmung ist mir wichtig“, sagt Ronny Schwarz mit einer Stimme, deren Ton keine Zweifel zulässt. Wenn jemand ihn unter Druck setze, „dann bin ich auch mal stur“, sagt der schlaksige Mann. „Weil das alles wieder hochkommt.“
Andere Menschen bringen Glück
„Manches war eben nicht schön“, sagt er, auch nicht die Erinnerung daran. Besonders drastisch hat er das in den Monaten nach dem Erscheinen seines Buchs bei Lesungen erlebt, bei denen er selbst Abschnitte vorgetragen hat. „Bei manchen Stellen musste ich weinen“, sagt er. Warum sein erstes Buch dennoch „Mein Leben ist Glück“ heißt? Der 43-Jährige lächelt. „Weil da noch so viel Anderes war und ist.“
Was gehört heute für ihn zum Glück? Vor allen Dingen andere Menschen. Seine Verlobte sowieso. Sie ist wie er selbst beim Andreaswerk in Vechta beschäftigt. Seit 2015 lebt er mit ihr in einer eigenen Wohnung zusammen, ist oft mit ihr auf Reisen oder fährt zu Konzerten. Gerade erst waren die beiden an der Nordsee.
Oft mit Freunden unterwegs
Buchtipp:
Ronny Schwarz: „Mein Leben ist Glück – Momente eines Lebens“ ist 2023 erschienen im Geest-Verlag, Visbek, 84 Seiten, 10 Euro.
ISBN 978-3-86685-958-6
Das Buch können Sie hier bequem über unseren Partner Dialogversand bestellen.
In einem Gedicht auf den ersten Seiten seines Buches hat er seine Vorstellung von Glück in Worte gefasst. „Ich habe viele Freunde, die immer für mich da sind – und das ist Glück“, heißt es da gleich zu Beginn. Und gleich danach: „Auch meine Familie ist immer für mich da. Auch das ist Glück.“
Mit Freunden und Arbeitskollegen seiner Clique verbringt er einen Großteil seiner Freizeit, trifft sich mit ihnen zum Essen oder Kino. Sein Vater ist mittlerweile verstorben. Aber zu den Geschwistern und seiner Mutter hält er so gut es geht Kontakt.
Musik und Mofa
Und Ronny Schwarz hilft gerne anderen. In einem inklusiven Projekt begleitet er zum Beispiel ehrenamtlich Menschen mit Behinderung zum Sport. Oder er übernimmt kleine Besorgungen für andere, die selbst dazu nicht in der Lage sind. Was für ihn sonst noch Glück ausmacht? „Zum Beispiel die Musik“, sagt Ronny Schwarz. Seit einiger Zeit nimmt er regelmäßig Gesangsunterricht. Probt „Über sieben Brücken“ von Karat oder „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen.
Eine Sache belastet ihn allerdings. Seit sieben Jahren leidet er unter Panikattacken. „Sie kommen immer unverhofft. Immer dann, wenn ich sie am wenigsten gebrauchen kann.“ Bei einer Situation aber sei die Angst weit weg: „Wenn ich Roller fahre!“
Trotz allem zufrieden
Ronny Schwarz strahlt und erzählt von Ausflügen mit seiner „Sym fiddle II“. Wenn er den Wind im Gesicht spürt und die Felder an sich vorüberziehen sieht. „Dann bin ich weit weg von allem. Dann fühle ich mich frei.“ Er liebt die Geschwindigkeit, absolviert derzeit sogar eine Schule für Hobby-Kartfahrer. Zwei Module der Ausbildung hat er schon geschafft.
Trotz aller Probleme ist er zufrieden mit seinem Leben. „So wie es im Moment läuft, ja“, sagt Ronny Schwarz. Das liegt auch an den Erfolgen, die er mit seinem Schreiben erlebt. Das durchweg positive Echo auf sein Buch etwa. Zum vierten Mal ist gerade einer seiner weiteren Texte in einen Sammelband aufgenommen worden. Er hatte sich in einem Schreibwettbewerb erneut durchgesetzt, diesmal mit einem Gedicht.
Führerschein-Prüfung als Herausforderung
Fast alles läuft super. Nur mit einer Sache hat er noch zu kämpfen: mit der Führerschein-Prüfung. Seit einem Jahr ist er dabei. Er fahre super, sage der Fahrlehrer. „Nur die Theorie habe ich noch nicht geschafft“, sagt er. Sieben Mal hat er es versucht. Aufgeben will er dennoch nicht.
Was er sich von seinem Buch erhofft? Ronny Schwarz überlegt kurz. „Zum Beispiel, dass andere Menschen auch den Mut haben, sich ihre Erfahrungen von der Seele zu schreiben.“ Weil das helfe. Auch wenn die Erinnerungen manchmal schmerzhaft seien. Schmerzhaft, aber wichtig. Das habe ihm auch die Psychologin gesagt, bei der er wegen seiner Angststörung in Behandlung ist. „Weil es die Seele befreit.“
Zur Person
Ronny Schwarz (43) stammt aus Köthen in Sachsen-Anhalt. Er hat zwei Geschwister. Heute arbeitet er beim Andreaswerk, dem größten Anbieter der Behindertenhilfe im Landkreis Vechta. Dort ist er als Beschäftigter unter anderem tätig in der Industriemontage und im Projekt „Leichte Sprache“. Als gewähltes Mitglied im Werkstattrat steht er außerdem unter anderem als Ansprechpartner für Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung. Die Andreaswerk-Stiftung hat sein Buchprojekt finanziert.