Beratungsangebot wendet sich explizit an Männer

Häusliche Gewalt: Wenn der Mann das Opfer ist - hilft die Caritas

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Die Caritas in Münster bietet seit einigen Jahren ein Beratungsangebot explizit für Jungen und Männer mit Gewalterfahrung. Die Schwelle zur Hilfe ist für die Betroffenen enorm hoch.

„Es ist kein Kavaliersdelikt.“ Wenn Jonas Lemli das mit Blick auf seine Krisen- und Gewaltberatung für Jungen und Männer sagt, hat das einen doppelten Wortsinn. Zum einen sind eben nicht immer nur „Kavaliere“ die Täter, sondern auch Opfer. Zum anderen handelt es sich auch bei ihnen um Erlebnisse, die bei ihnen tiefe Spuren hinterlassen. Die Caritas in Münster-Hiltrup hat deshalb ein Angebot explizit für diese Zielgruppe geschaffen. Das Einzige in der Stadt in dieser Form.

Von den 150 Klienten, die im Jahr zu ihm kommen, sind etwa zehn Prozent Opfer – also nicht Männer, die in Fällen häuslicher Gewalt eine andere Rolle spielen. Seit einigen Jahren wächst die Zahl der Betroffenen, die Kontakt suchen. „Was eher eine Verlagerung aus dem Bereich der Dunkelziffern ist als ein Anstieg tatsächlicher Zahlen“, vermutet der Sozialarbeiter. „Es gibt in einigen Bereichen immer mehr eine gesellschaftliche Atmosphäre, die es Männern ermöglicht, über eigene Gewalterlebnisse zu sprechen.“

Männer sind die Starken

Denn Männer tun sich in der Regel schwer damit, als Opfer gesehen zu werden. „Ihre Rolle als die Starken in einer Beziehung ist in ihrer Sozialisation und im gesellschaftlichen Männerbild begründet“, sagt Lemli. Männer weinen nicht, sie zeigen ihre Schmerzen nicht, sie können aushalten. Besonders dann, wenn ihre Partnerin die Täterin ist.

Welchem Druck Männer aber ausgesetzt sind, kann Lemli an vielen Beispielen deutlich machen. Da war der Mann, der zu ihm kam und wenig konkret über sein schlechtes Gefühl in der Partnerschaft sprach. Später stellte sich heraus, dass er von seiner Frau regelmäßig auf den Balkon gesperrt wurde und dort auch übernachten musste, wenn er nicht „funktionierte“. Wenn er falsche Einkäufe nach Hause brachte oder zu spät zu Terminen kam. „Gewalt hat viele Gesichter – psychische, körperliche, ökonomische…“

Mann muss Situation klar benennen können

Die fehlende Möglichkeit dieses Mannes, seine Extremsituation in Worte zu fassen, erlebt Lemli bei allen Klienten. Sätze wie „Das ist doch nicht so schlimm“, „Das halte ich schon aus“ oder „Sie meint es nicht so“, hört er oft. Da zeigt sich das Bild des starken, unerschütterlichen Mannes. Was einen enormen Leidensdruck auslösen kann. „Sie können nicht realisieren, was ihnen angetan wird.“

Das ist der Ausgangspunkt der Gespräche. „Es ist am Anfang entscheidend, dass sie ihre Situation klar benennen können.“ Lemli nennt das „besprechbar“. Über die Worte finden sie Zugang zu ihren Gefühlen, und können sensibel für sich selbst werden. „Daraus kann eine Selbstsicherheit entstehen und ein Selbstvertrauen, die Situation auch daheim zur Sprache zu bringen.“

Größerer Schritt als bei Frauen

Der Schritt zur Beratung ist ein großer. Für Männer immer noch ein größerer als für Frauen, die in der Öffentlichkeit als Opfer immer noch eher akzeptiert werden. Das ist unabhängig von Milieu, sozialem Status, Kultur oder Religion, sagt Lemli. Er erzählt von einem jungen Mann, der gerade seinen Doktor gemacht hatte. „Im Streit schlug ihn seine Frau, die körperliche Gewalt nahm zu.“ Eine Trennung kam für ihn nicht infrage. Die Taten seiner Partnerin hielt er deshalb lieber aus – suchte die Schuld mehr bei sich. „Er habe Angst, irgendwann selbst zuzuschlagen, sagte er – das war der Grund, warum er zu mir kam.“

Die Ziele seiner Hilfe sind vielfältig, sagt Lemli. „Was am Ende aus dem neuen Bewusstsein für die Situation entsteht, ist offen.“ Er erlebt häufig, dass das Umfeld durch die gewonnene Sensibilität des Opfers ebenfalls ein neues Gefühl entwickelt, das die Beziehung heilen kann. „Aber auch eine Trennung kann in einigen Fällen die richtige Entscheidung sein.“ Manchmal bringt er seine Klienten kurzfristig in den Männerschutzwohnungen des Sozialdienstes katholischer Männer (SKM) in Warendorf unter. „Wenn akuter Schutz gefragt ist.“

Blick auf die Männer immer noch außergewöhnlich

Diese Unterkünfte gibt es erst seit wenigen Jahren. Sie sind bislang die einzigen im Münsterland. Frauenhäuser gibt es schon lange und an vielen Orten. Auch das zeigt, dass der Blick der Caritas in Münster auf die Männer als Opfer von Gewalt immer noch ein außergewöhnlicher ist.

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