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Für einen Wahlspruch als Bischof wäre der Satz zu lang. Aber wer wissen möchte, wie der künftige Bischof von Hildesheim denkt, sollte ihn sich merken: „Eine Führungspersönlichkeit ist jemand, der Menschen befähigt, etwas zu tun, das sie nie tun würden, wenn man es ihnen befiehlt.“
Der Satz stammt nicht von Heiner Wilmer selbst, aber zitiert hat er ihn kurz vor Ostern vor der gewaltigen Mose-Statue des Michelangelo in der Kirche „San Pietro in Vincoli“ in Rom. Anlass war die Vorstellung seines neuen Buches über Mose. Der Titel: „Hunger nach Freiheit. Wüstenlektionen zum Aufbrechen“.
Wilmer seit drei Jahren Generaloberer der Herz-Jesu-Priester
Nicht dass Wilmer wie ein Michelangelo-Mose daherkäme, mit vor Zorn bebender Stimme herab vom Gottesberg Horeb. Der gebürtige Emsländer, der am Montag 57 Jahre alt wird, ist zwar auch groß gewachsen, aber schlank und seine Stimme eher hell und freundlich. Doch Mose hat es ihm angetan. Eine der schillerndsten Figuren der Bibel, reich an Brüchen und Widersprüchen - Protagonist des Exodus, einer der größten Erzählungen der Menschheit.
Vor knapp drei Jahren wählte der Dehonianer-Orden - in Deutschland bekannt als Herz-Jesu-Priester - Heiner Wilmer zu seinem Generaloberen. Die auf sechs Jahre angelegte Amtszeit wird er nur zur Hälfte erfüllen können. In den drei Jahren als Oberer war der sprachgewandte und weiterhin jugendlich wirkende Ordensmann weltweit viel unterwegs. Er hat erlebt, wie ganz anders Menschen oft leben müssen und wie sie glauben können. Wie schwer Letzteres ist, weiß Wilmer. In seinem früheren Buch „Gott ist nicht nett“, beschreibt er auch eigene Glaubenszweifel.
Bodenständig vom Bauernhof in die New Yorker Bronx
Aufgewachsen auf einem Bauernhof im emsländischen 2400-Einwohner-Dorf Schapen, machte Wilmer sein Abitur 1980 am Leoninum in Handrup, einem Gymnasium in Trägerschaft der Herz-Jesu-Priester. Anschließend trat er in die Gemeinschaft ein, studierte Theologie in Freiburg sowie Romanistik in Paris. 1987 zum Priester geweiht, ging er im Anschluss nach Rom an die Päpstliche Universität Gregoriana, um dort Französische Philosophie zu studieren.
Dann wollte Wilmer Lehrer werden, hängte nach der Promotion in Theologie ein Lehramtsstudium in Geschichte dran. In dieser Zeit arbeitete er auch vier Monate als Seelsorger in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung im kanadischen Toronto. 1997 ging er dann in die Klassenzimmer der New Yorker Bronx. Dort unterrichtete er an einer Jesuiten-Highschool Deutsch und Geschichte.
Nach seiner Rückkehr wurde Wilmer Schulleiter des ordenseigenen Gymnasiums in Handrup im Emsland. Als junger Rektor hatte er dort manchen Strauß mit älteren Kollegen auszufechten, wie er selbst schreibt. Für ihn waren die Beulen, Verletzungen, Versöhnungen, Ängste, Erfolge und Unsicherheiten wichtige Erfahrungen.
Gepusht von Papst Franziskus
Zu diesen gehören für den im streng katholischen Emsland Aufgewachsenen auch Begegnungen mit evangelischen Christen. Dadurch habe er seinen Glauben nicht nur tiefer verstanden, bekannte Wilmer am Reformationstag 2017 in einer Predigt in der lutherischen Christuskirche in Rom. „Die - wenn ich so sagen darf - 'evangelische Tradition' hat zu meiner eigenen inneren Konversion beigetragen.“
Nach seiner Wahl zum Generaloberen der Dehonianer befragt, was ihn inspiriere, antwortete Wilmer: „Eine Persönlichkeit pusht uns ganz deutlich: Papst Franziskus.“ Dessen Wunsch nach einer „verbeulten Kirche“, die hinausgeht, die sich schmutzig macht, die keine Angst hat vor der Straße, entspreche dem Appell seines französischen Ordensgründers Leon Dehon (1843-1925) am Ende des 19. Jahrhunderts: „Geht hinaus aus den Sakristeien“. Dem Orden gehören 2.200 Patres und Brüder an, die in 40 Ländern auf fünf Kontinenten arbeiten.
Mose als Vorbild für moderne Existenz
„Kaum eine biblische Gestalt gibt unsere moderne Existenz besser wieder“, schreibt Wilmer über Mose. In der Tat erwarten den neuen Bischof zunächst Wüstenerfahrungen: Verlorenes Vertrauen durch Versäumnisse bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen, Finanzknappheit, Kirchenschließungen.
Es wäre aber überzogen und ungerecht, Wilmer als Mose von der Ems zu sehen, der die Diasporakatholiken Ost-Niedersachsens in ein Gelobtes Land führen will. Auch wenn die Kirche in Deutschland sich nach Zukunftsperspektiven sehnt. Zudem gibt es dafür in Hildesheim bereits Vordenker und Ideen. Heiner Wilmer wird diese sicher gerne aufgreifen.