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In der kurzen Andacht, die den Abend eröffnet, betet eine Frau um offene Ohren, „dass sie das Unangenehme nicht überhören“. Die hat Heiner Wilmer an diesem Abend. Bei einer Dialogveranstaltung in der Basilika St. Clemens in Hannover will der neue Hildesheimer Bischof mit den Gläubigen seiner Diözese ins Gespräch kommen - Auftakt einer fünfteiligen Reihe. Gekommen sind mehr als 300 Menschen. Die Organisatoren müssen weitere Stühle in die Kirche tragen.
Der Bischof tritt bescheiden auf, trägt Hemd und Jacke statt Priestergewand und nimmt zunächst in einer Kirchenbank Platz. Die Leitung der Andacht überlässt er anderen. Als er schließlich ans Mikrofon trifft, redet er Klartext: „Die Zeit ist vorbei, dass die Kirche von oben nach unten agieren kann.“ In einer Art Regierungsprogramm nennt er Partizipation als wichtiges Stichwort - und erntet nicht das letzte Mal an diesem Abend Applaus.
„Das Männerbündische in der Kirche aufbrechen“
Ein unangenehmes Thema legt der 57-Jährige, seit September an der Spitze des Bistums Hildesheim, gleich zu Beginn selbst auf den Tisch: Der Umgang mit sexuellem Missbrauch. Er fordert Gerechtigkeit für die Betroffenen - und Veränderungen: „Wir müssen den Binnen-Zirkel der Kirche, das Männerbündische, aufbrechen, um gemeinsam das Evangelium zu bezeugen in Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit.“
Um zu zeigen, dass er es ernst meint, gibt er Andrea Fischer das Wort. Die ehemalige Bundesgesundheitsministerin leitet seit gut einem Jahr als Unabhängige den Bischöflichen Beraterstab zu Fragen sexuellen Missbrauchs im Bistum Hildesheim. „Die Vertreter der Kirche zeigen großes Bemühen, um die Betroffenen zu unterstützen“, sagt Fischer. Nun müsse weiter daran gearbeitet werden, eine achtsame Institution zu sein. Aussagen, die die Zuhörer offenbar überzeugen. Nachfragen zum Missbrauch werden im Laufe des Abends nicht mehr gestellt.
„Über die Wege zum Priestertum diskutieren“
Stattdessen interessieren andere Themen. Ein Mann erkundigt sich, ob nicht auch verheiratete Männer zu Priestern geweiht werden können. Gleich darauf will eine Frau wissen, was Wilmer von Priesterinnen hält. „Ich glaube, dass wir ernsthaft über die Wege der Zulassung zum Priestertum diskutieren müssen“, antwortet der Bischof. Er werde sich persönlich dafür einsetzen. Gleichzeitig mahnt er zur Zurückhaltung: Es müsse berücksichtigt werden, dass es diesbezüglich in anderen Regionen der Weltkirche andere Auffassungen gebe. „Ein Zerfallen der Kirche wäre schade.“
Deutlich hingegen spricht er sich dafür aus, Frauen Leitungsaufgaben in der Kirche anzuvertrauen - und verweist auf eine Personalie: Mit Dagmar Stoltmann-Lukas habe er erstmals in der 1.200-jährigen Geschichte des Bistums Hildesheims eine Frau zur persönlichen Referentin des Bischofs gemacht. „Ich werde weitere Schritte in diese Richtung gehen.“
Der Bischof antwortet jedem Fragenden
Klare Worte findet der Bischof auch zur Ökumene: „Die Zeit ist vorbei, dass wir es uns in Deutschland überhaupt noch leisten können, die Unterschiede unter uns Christen zu betonen.“ Zusammenarbeit sei für ihn selbstverständlich.
Wilmer lauscht geduldig den Fragen und Anregungen der Gläubigen. Er macht sich Notizen, nimmt zu jedem Beitrag Stellung und spricht die Menschen mit Namen an. Auch einem jungen Mann, der sich kritisch zum Reformwillen des Bischofs äußert, antwortet Wilmer sachlich. Viele geben ihm ihre Wünsche für ein gelingendes Gemeindeleben mit auf den Weg.
Versprechen eingelöst
Mit der Dialogreihe, die in Braunschweig, Göttingen, Hameln und Bremen fortgesetzt wird, löst Wilmer sein Versprechen ein, in seinem ersten Amtsjahr vor allem ein Hörender zu sein. Schon im vergangenen Jahr war er mit Jugendlichen auf Pilgertouren gegangen, um sich von ihren Ideen für die Zukunft der Kirche leiten zu lassen. Nun holt er sich den Rat der Erwachsenen und damit auch das Vertrauen der Gläubigen. „Danke, dass sich ein Bischof zum ersten Mal für das interessiert, was wir alle sagen“, sagt eine Frau am Ende des Abends.