Zu Gast im Süden Kolumbiens

Kakaobohnen statt Koks - wie Misereor ökologischen Landbau fördert

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„Interessiert mich nicht die Bohne“, sagen viele Zeitgenossen, wenn es um Nöte weit entfernter Mitmenschen geht. Falsch, sagt das katholische Hilfswerk Misereor. Bohnen statt Koks – spätestens da kommen auch wir ins Spiel.

Und plötzlich schießen ihr die Tränen aus den Augen. Eigentlich ist Aida Burbano eine sehr tapfere und auch fröhliche Frau. Aber jetzt müssen die Gefühle raus. „Danke für all das, womit Sie uns unser neues Leben ermöglicht haben“, stammelt sie. „Und danke, dass Sie diesen weiten Weg zu uns gekommen sind – zu so einer armen Familie!“

„Wir sind arm – aber wir sind anständige Leute“, sagt ihr Bruder, Don Baudillo Burbano, knapp. Um ihr zu helfen; aber auch mit stolzer Überzeugung. Auch Pirmin Spiegel reagiert rasch, macht einen Schritt nach vorn und legt der 46-jährigen Kleinbäuerin behutsam die Hände auf die Schultern. Das Mitgehen mit den Armen; menschliche Solidarität überall auf der Welt, das sei die wichtigste Aufgabe von Misereor, sagt er.

Hartes Leben im Süden Kolumbiens

Währenddessen hat Alexis Spaß. Der elfjährige Sohn von Aida hat die Szene wohl kaum wahrgenommen. Gerade zuvor hatte ihm Spiegel, Hauptgeschäftsführer des bischöflichen Hilfswerks Misereor, ein großes Poster überreicht; mit dem Gesicht von Alexis darauf und dem Slogan: „Interessiert mich die Bohne“. Und einen Comic, der seine und die Geschichte seiner Familie für andere Kinder erzählt. Der Sechstklässler mit den neugierigen Augen und seine Mutter gehören zu den Protagonisten der diesjährigen Misereor-Fastenaktion. Und die Bohne? Sie ist ein Hoffnungszeichen für die abgelegene, ländliche Region Narino.

Hier im tropischen Hochland im Süden Kolumbiens ist das Leben hart. An dieser Stelle, nahe der Grenze zu Ecuador, treffen die drei Gebirgsketten der Anden (Kordilleren) in einem „Knoten“ (nudo) zusammen, wie die Leute hier sagen. Mehrere 4.000er-Gipfel; da ist kein Meter gerade, keine Straße direkt. Es geht steil rauf, steil runter, scharf rechts oder links – gnadenlose, oft staubige Wege! Es fand sich überhaupt nur eine einzige Stelle in der Region, wo man einen kleinen Flughafen hinbauen konnte. Selbst die Hauptverkehrsstraßen können jederzeit von einem Erdrutsch verschüttet und auf Monate lahmgelegt werden.

Bürgerkrieg in Kolumbien wirkt nach

Es wächst viel im Departamento de Narino. Und doch stand hier im über 50-jährigen blutigen Bürgerkrieg Kolumbiens (1958-2012/16) zwischen linken Rebellen, Gangstern, rechten Regierungen und Paramilitärs mehr und mehr eines im Vordergrund: der Anbau von Koka für die weltweite Nachfrage nach Kokain. Hier gab es ideale Bedingungen für dunkle Machenschaften: Die Abgeschiedenheit sorgte für Abwesenheit von Staat und Polizei; dazu viele Schluchten und ein Flusssystem, mit dem sich die Drogen zum nahen Pazifik schaffen ließen.

Nun ist es nicht so, dass damals alle Bauern der Region Narino Koka anbauten. Doch der Druck der Gewalt war groß, die Verdienstmöglichkeiten vergleichsweise lukrativ. Aber auch für andere Arten von Monokulturen – etwa Agaven, deren Fasern zur Herstellung von Kaffeesäcken dienen – werden ganze Hänge zerstört, Böden ausgelaugt und Wasserreservoirs ausgetrocknet. Kolumbiens Regierungen, die großbürgerlichen der Vergangenheit wie auch die aktuelle Reformregierung des Linken Gustavo Petro, tun sich schwer mit einer Umstellung auf Ersatzprodukte: Kakao statt Koka, so läuft es noch nicht; trotz guter Weltmarktpreise und einem günstigen Klima.

Schicksalsschläge in der Familie

Schon seit den 1980er Jahren, der Zeit der schlimmsten Gewalt („violencia“), versucht die sogenannte Landpastoral des katholischen Bistums Pasto den Bäuerinnen und Bauern von Narino Alternativen für ihre Arbeit und ihr Leben aufzuzeigen. Aus bescheidenen Anfängen ist, auch mit der Unterstützung von Misereor, über die Jahrzehnte eine immer größere Bewegung von rund 3.000 Familien geworden; für nachhaltigen ökologischen Anbau, Artenvielfalt und einen solidarischen Austausch von Lebensmitteln und Saatgut. Die Familie von Aida Burbano ist ein Teil dieser Bewegung.

Aidas Vater, Don Daniel Burbano, spricht nicht viel. Doch war er es, der damals als erster zu den Agrarschulungen der Landpastoral ging. Er lernte viel über Naturdünger, über Bodenqualität und Eigenvertrieb. Bis das Schicksal zuschlug. Daniels Sohn, Aidas Bruder, wurde ermordet; und die Familie gab ihr kleines Stück Land auf, zog in die Stadt. Immerhin: Sie verkauften das kleine Grundstück nicht, behielten den Landtitel.

Eine faule Familie?

Doch glücklich wurde Aida in der Stadt nicht. Vor ein paar Jahren startete sie einen Neuanfang, ganz konsequent nach ökologischem Ansatz. Manch ein Nachbar findet es unordentlich bei den Burbanos, hält die Familie gar für faul, weil sie kein Unkraut jätet. Aida ist das egal; sie weiß: Bodenqualität und Ertrag haben sich dadurch deutlich verbessert; mehr Feuchtigkeit wird in der Erde gehalten. Und: Durch die Vielfalt ihres Anbaus – Früchte, Gemüse, Fleisch – sind die Burbanos weitgehend Selbstversorger geworden, müssen kaum noch Konsumartikel zukaufen. Ihre Produkte vertreiben sie auf dem Wochenmarkt im nahe gelegenen El Tambo.

Stolz zeigt Großvater Daniel seine über 100 Meerschweinchen und deren „Zuchtbullen“. Daniels Frau, die Großmutter, erklärt am Kaffeestrauch, worauf es ankommt. Vorbei an der kleinen Kaffeemühle geht es zu einem überdachten Großbeet. Don Daniel und sein Enkel Alexis zeigen, wie hier im Zwei-Monats-Rhythmus aktive Würmer bioaktiven Pflanzendünger herstellen. Und apropos Würmer: Die Hühner wiederum freuen sich über das, was aus dem Dung der Meerschweinchen als Futter für sie entsteht. So gehört alles auf diesem kleinen, steilen Hektar Land zusammen.

Immer häufiger bleibt der Regen aus

Paradiesisch ist es nicht – dafür ist die tägliche Arbeit zu hart, der Schulweg zu lang; und auch der Klimawandel mit oft ausbleibendem Regen macht der Familie und der ganzen Tropenregion Narino zu schaffen. Doch die Burbanos packen es zusammen an und hoffen, dass auch der kleine Alexis hier auf dem Land bleibt und nein sagt zu den vermeintlichen Verlockungen der Stadt.

„New Rules!“ - neue Regeln – steht auf Aidas rosa T-Shirt. Auf ihrem Land ist sie die Chefin. Und wenn sie müde ist von der harten Arbeit, dann setzt sie sich auf einen Stein und genießt ihr Stück Natur. Das hier, das ist ihr Leben.

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