Christian Breuer über die eigene Privilegierung und Armut weltweit

Wenn abseits der Touristenströme Armut herrscht - das erdet!

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Wie oft ärgern wir uns über Kleinigkeiten, die eher nebensächlich sind? Dann hilft es immer wieder sich erden zu lassen. Dafür braucht es nicht immer den Urlaub in einem armen Land, sondern auch der Blick auf die örtliche Tafel hilft, erklärt Christian Breuer in seinem Gast-Kommentar.

Es sind nur zehn Schritte. Zehn Schritte heraus aus dem orientalisch-bunten Touristen-Basar mit feilschenden Händlern, glitzerndem Tand und wohlriechenden Gewürzen. Zehn Schritte in eine der vielen Seitengassen der oberägyptischen Stadt Assuan, wo die Touristenschiffe anlegen, deren Passagiere den Felsentempel in Abu Simbel oder den unvollendeten Obelisken besichtigen.

Wer die zehn Schritte aus der Touristenwelt in die Seitengassen wagt, betritt ohne Vorwarnung ein Land des Globalen Südens. Abgemagerte Esel ziehen Karren durch die Straßen, manövrieren an Schlaglöchern vorbei, das Fleisch gerade geschlachteter Tiere hängt in der Sonne, darunter lungern streunende Hunde, wartend auf Abfälle.

Abseits der glitzernden Touristenwelt

Der Autor
Christian Breuer (Jahrgang 1977) ist Redakteur in der Pressestelle des Bistums Münster und lebt am Niederrhein. Seine Begeisterung für Ägypten wurde während seines Ägyptologie-Studiums in Köln geweckt. Im Februar hat er das Land am Nil zum vierten Mal besucht.

Beißender Ammoniakgeruch steigt mir in die Nase. Diese Welt, die so gar nichts mit den Hochglanzprospekten der Reisebüros zu tun hat, kann beim ersten Betreten schockieren. Und doch ist es heilsam, die Straße weiterzugehen. Hinter der nächsten Ecke spielen lachende Kinder. Ein alter Mann erwidert mit zurückhaltendem Lächeln meinen Gruß.

Die Menschen arrangieren sich mit ihren Lebensumständen – auch wenn sie wissen, in welchem Luxus andere schwelgen. Schließlich sind es auch für sie nur zehn Schritte in die glitzernde Touristenwelt, in der innerhalb weniger Minuten mehr Geld für Parfum und Kitsch ausgegeben wird, als sie in einem Monat verdienen. Die Welt des alten Mannes, der spielenden Kinder, des abgehalfterten Esels und der streunenden Hunde zu betreten, macht etwas mit mir, dem Besucher: Sie erdet.

Sich zwischendurch einfach mal erden

Der Besuch erdet mich für das Leben zuhause, wo auch ich über Kleinigkeiten, die völlig nebensächlich sind, fluche und schimpfe. Hier aber werde ich daran erinnert, dass ich in einer Welt lebe, die privilegierter nicht sein könnte. Sicher läuft auch in meiner Welt nicht immer alles glatt, auch über ihr hängen manchmal graue Wolken. Aber der Strom fließt zuverlässig, die Supermarktregale sind gefüllt, wenn ich krank werde, ist das nächste Krankenhaus nicht weit entfernt. In den Seitengassen Assuans werde ich daran erinnert, wie wenig selbstverständlich das ist.

Für zehn Schritte in eine andere Welt muss man übrigens nicht nach Ägypten fliegen. Es sind zehn Schritte zur örtlichen Tafel, zur Asylbewerberunterkunft, zum Obdachlosenheim, in dunkle Seitengassen unserer Städte. Und zu der Erkenntnis, wie gut es einem selber geht. Vielleicht muss man zwischendurch geerdet werden.

In unseren Gastkommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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