Stadt Recklinghausen wehrt sich

„Gasthaus“-Pfarrer Ernsting: Willkommenskultur für Obdachlose fehlt

Anzeige

Pfarrer Ludger Ernsting von „Gasthaus“ und „Gastkirche” in Recklinghausen kritisiert zum wiederholten Mal die Stadt: Es fehle an einer „Willkommenskultur“ für Obdachlose seitens der Kommune und an ausreichender Winterhilfe. Die Stadtverwaltung weist die Kritik entschieden zurück.

In Recklinghausen fehle es an gut koordinierter Winterhilfe für Obdachlose, beklagt Pfarrer Ludger Ernsting, der sich als Verantwortlicher von „Gasthaus“ und „Gastkirche“ um diese Menschen kümmert. Er habe den Eindruck, Recklinghausens „gute Stube“ in der Innenstadt solle vielmehr von Obdachlosen „bereinigt“ werden, sagte Ernsting. Zuerst berichtete die Recklinghäuser Zeitung.

Ernsting macht seine Kritik unter anderem fest daran, dass Schlafsäcke von Obdachlosen bewusst vom Kommunalen Ordnungsdienst entfernt würden. Wenn die obdachlosen Männer und Frauen in den Geschäftseingängen lägen, könne er das verstehen. Insgesamt aber ist er gemeinsam mit Holger Freitag, Lokalpolitiker von den Grünen, der Meinung, dass es „mehr Augenmaß und sozialpolitische Unterstützung” seitens der Stadt geben solle, „solange der Obdachlose in seiner Lebensführung auf den öffentlichen Raum angewiesen ist”.

Solidarität der Bürger – aber auch der Verwaltung?

Ernsting sagte im Gespräch mit Kirche+Leben, er stelle eine große Solidarität vieler Menschen mit den Obdachlosen fest, „die ich mir manchmal auch von unserer Stadtverwaltung wünschen würde“. Beispielsweise hatte er vorgeschlagen, die Schlafsäcke – die immerhin zwischen 80 und 100 Euro kosten, Spezialmodelle sind deutlich teurer – nicht auf den Müll zu werfen, sondern zu reinigen und erneut auszugeben. Kaum habe er das geäußert, habe er Rückmeldungen von Menschen bekommen, die in diesem Bereich helfen wollten. 

Die Stadtverwaltung hat Ernstings Kritik in einer Stellungnahme zurückgewiesen, sie liegt auch Kirche+Leben vor. Die Stadt Recklinghausen halte für Menschen ohne Obdach mit Blick auf die winterlichen Temperaturen sehr wohl geeignete Hilfen bereit.  Sie verfüge über ein breit gefächertes Hilfssystem für wohnungslose Menschen, das auch die Bedarfe während der kalten Jahreszeit abdecke. Sonderprogramme, wie Ernsting sie fordert, seien deshalb nicht erforderlich. So reichten unter anderem die Kapazitäten der Notschlafstelle bisher aus. Auch gebe es verschiedene Stellen, an denen sich Menschen ohne Obdach tagsüber aufhalten können und versorgt werden. 

Stadt Recklinghausen sieht kein Problem bei den Schlafsäcken

Was die Schlafsäcke angeht: Das Diakonische Werk und die Drogenhilfe hätten beim Land Nordrhein-Westfalen erneut Winterhilfen beantragt. Mit den Finanzmitteln könnten in ausreichendem Maße Hilfsmittel wie Schlafsäcke angeschafft und den Betroffenen zur Verfügung gestellt werden.

Verdrängen wolle die Obdachlosen durch das Entfernen der Schlafsäcke auch niemand: „Die Regel ist vielmehr, dass die Betroffenen ihren Schlafsack und anderes Hab und Gut mitnehmen, wenn sie durch den Kommunalen Ordnungsdienst dazu aufgefordert werden, einen Lagerplatz zu räumen. In Einzelfällen kommen Personen dieser Aufforderung nicht nach, oder aber sie lassen ihre persönlichen Sachen zurück. Diese werden dann von den KOD-Mitarbeiter*innen entfernt. Nicht selten kommt es vor, dass Schlafsäcke beschädigt werden oder diese aber aus hygienischen Gründen nicht mehr zu reinigen sind. Bei Bedarf werden neue Schlafsäcke ausgegeben.“

Finanzmittel in Recklinghausen „erheblich aufgestockt“

Wenn Pfarrer Ernsting eine „fehlende Willkommenskultur“ beklage, werde das auch grundsätzlich den Bemühungen der Stadt nicht gerecht. „So sind in den vergangenen Jahren die Finanzmittel in diesem Bereich erheblich aufgestockt worden. Lagen sie im Jahr 2021 noch bei 662.000 Euro, wird die Stadt in diesem Jahr rund 1,4 Millionen Euro aufwenden.“ In den vergangenen drei Jahren seien neben einer Notschlafstelle in der Recklinghäuser Südstadt auch das Angebot „Wohnen Plus“ für Menschen mit psychischen Erkrankungen etabliert und zusätzliche Streetworker beschäftigt worden.

Zahl der Betroffenen wächst stetig

Klar ist indes: Die Zahl der betroffenen Menschen, die diese Hilfe brauchen, wächst auch in Recklinghausen stetig. Ernsting spricht als Grund den Mangel an finanzierbarem Wohnraum an. Die von der Stadt in ihrer Stellungnahme angesprochenen, nun „nach langen Hin und Her“ angeschafften Iglu-Zelte für Menschen, die nicht die Unterkünfte aufsuchen können, seien vielleicht eine Lösung für den Sommer, nicht aber für den kalten Winter.

Schon 2020 hatte der Pfarrer der Stadt schwere Vorwürfe gemacht: Er verlangte besseren Schutz für Obdachlose und sagte, die Verwaltung verstoße in ihrem Handeln gegen den Artikel 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar“).  Auch damals hatte sich die Rathaus-Spitze dagegen verwahrt.

Anzeige