Seit 1896 Angebote für Menschen in sozialen Notlagen

Bischof-Hermann-Stiftung: 125 Jahre Hilfen für Obdachlose in Münster

  • Bischof Hermann Dingelstad gründete 1896 in Münster eine Stiftung, die sich um obdachlose Menschen kümmerte.
  • Heute bietet die Stiftung im Jahr immer noch mehr als 1.000 Menschen Hilfe, unter anderem mit Obdachlosenunterkünften, sozialtherapeutischen Einrichtungen und Angeboten für Migranten.
  • Das Jubiläum feiert die Stiftung bedingt durch die Pandemie mit einjähriger Verspätung: mit Bischof Felix Genn am 22. Mai 2022 mit einer Messe in der St.-Lamberti-Kirche in Münster. Anschließend gibt es einen Festakt im Erbdrostenhof.

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Die Zeiten haben sich geändert, die Not ist geblieben. Es sind nicht mehr jene Männer und Frauen, die vor 125 Jahren auf der Suche nach Arbeit in Münster strandeten und eine Unterkunft suchten. Seit der damalige Bischof von Münster Herman Dingelstad sie mit seiner Stiftung in den Blick nahm, haben sich Gesellschaft, Sozialsysteme und Lebensverhältnisse verändert. Für nicht wenige Menschen aber ist ihre heutige Not vergleichbar mit der jener Tage. Etwa 50.000 Obdachlose gibt es laut Landesstatistik in Nordrhein-Westfalen. In Münster waren im Jahr 2020 mehr als 1.200. Die Bischof-Hermann-Stiftung bietet ihnen weiterhin vielseitige Hilfs-Angebote.

„Es geht heute wie damals darum, in Not geratene Menschen in den Blick zu nehmen, um ihnen in ihrer Situation mit dem Lebensnotwendigen zu helfen und sie dazu zu befähigen, langfristige Perspektiven für sich zu schaffen“, sagt Dietmar Davids, Geschäftsführer der Stiftung. Für dieses Ziel musste die Stiftungssatzung von 1896 nie verändert werden: Als „Herberge zur Heimat“ sollten Einrichtungen geschaffen werden, in denen „reisenden Handwerkern, Arbeitern und stellenlosen Bediensteten“ eine „möglichst gute und billige Herberge“ mit „guter Verköstigung“ und „angemessener Zerstreuung“ geboten werden sollten.

Entscheidend ist das Menschenbild

Bernd Mülbrecht (links) und Dietmar Davids von der Bischof-Hermann-Stiftung. | Foto: Michael Bönte
Bernd Mülbrecht (links) und Dietmar Davids von der Bischof-Hermann-Stiftung. | Foto: Michael Bönte

„Es ist bis heute eine Menschenrechtsarbeit auf der Basis des christlichen Menschenbilds geblieben“, beschreibt Davids das Selbstverständnis der Stiftung. „Die Würde ist nicht abhängig von Beschäftigung oder Wohnsitz.“ Zwar seien heute die Lebenswege der Bewohner und Klienten der Stiftungs-Einrichtungen andere geworden, die grundsätzliche Not aber sei vergleichbar. „Sie kommen, weil Lebensbrüche wie Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Verlust sie in existenzielle Krisen gebracht haben.“ Zudem sind es oft gesellschaftliche Veränderungen, durch die sie ausgegrenzt werden.

Das Angebot ist über Jahrzehnte ausdifferenziert und erweitert worden. Das wohl bekannteste ist das Haus der Wohnungslosenhilfe (HdW) in der Bahnhofsstraße in Münster. Die Notunterkunft bietet bis zu 80 Männern nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch Verpflegung und Betreuung. Die Stiftung hat mittlerweile aber eine Reihe anderer Zielgruppen mit speziellen Einrichtungen in den Blick genommen. Stationäre Unterbringungen, Langzeit- und Eingliederungshilfen sowie gezielte Hilfen für Migranten gehören dazu. Das jüngste Projekt heißt „Brückenschlag“, das sich an Familien in besonderen sozialen Schwierigkeiten richtet.

Ein Seismograf gesellschaftlicher Entwicklung

Auszug aus der Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1896.
Auszug aus der Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1896.

Etwa 220 Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit stehen dafür bereit – in sozialen, technischen, hauswirtschaftlichen, therapeutischen Diensten bis hin zur Verwaltung. Finanziert werden die Angebote über unterschiedliche Pauschalen und Sätze des Sozialsystems sowie über Spenden und Mittel aus dem Stiftungsvermögen.  

Die Stiftung ist dabei auch wichtiger Lobbyist für die Gruppe der wohnungslosen Menschen und anderen Menschen in prekären Notlagen, sagt Bernd Mülbrecht. Der langjährige Mitarbeiter und heutige Leiter des Projekts „Brückenschlag“ sieht den Einsatz der Bischof-Hermann-Stiftung als eine Art „Seismograf in der Gesellschaft“. „Wir sind nah dran an jenen, die durch das Raster von sozialen Unterstützungen fallen, in der Öffentlichkeit aber oft kaum wahrgenommen werden.“ Mit Politikern, Behörden und Verbänden steht die Stiftung im ständigen Austausch. „Dabei erfahren wir viel Wertschätzung dafür, im Einsatz für unsere Klienten nicht locker zu lassen.“

Jubiläum:
Die Bischof-Hermann-Stiftung feiert am Freitag, 20. Mai, ihr 125-jähriges Bestehen. Um 10 Uhr in einem Gottesdienst mit Bischof Felix Genn in der St.-Lamberti-Kirche in Münster. Anschließend gibt es einen Festakt für geladene Gäste im Erbdrostenhof in Münster, bei dem unter anderem der nordrhein-westfälische Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales Karl-Josef Laumannn sprechen wird. Am Sonntag, 22. Mai, gibt es einen Tag der offenen Tür an der Schillerstraße 46 in Münster. Weitere Informationen: www.bhst.de

Geschichte:
- Am 31. Mai 1896 unterzeichnet Bischof Hermann Dingelstad die Urkunde für die Errichtung einer wohltätigen, rechtsfähigen kirchlichen Stiftung privaten Rechts mit dem Namen "Bischof-Hermann-Stiftung". Zweck der Stiftung ist es, „den reisenden Handwerksgesellen, Arbeitern und stellenlosen Bediensteten beiderlei Geschlechts ohne Unterschied der Konfession eine möglichst gute und billige Herberge zu gewähren“. Die Stiftung wird dafür mit einigen Grundstücken und den darauf befindlichen Gebäuden an der Schillerstraße ausgestattet. Zu den Unterzeichnern der Stiftungsurkunde gehört auch Augustin Wibbelt, damaliger Kaplan an St. Martini in Münster.
- In den folgenden Jahrzehnten werden die Angebote durch Neu- und Umbauten erweitert. Dabei kooperiert die Stiftung mit dem Arbeiterverein, dem Vorläufer der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) in Münster. Neben den Unterkünften entstehen Einrichtungen zur Verpflegung, Betreuung, für spirituelle Angebote sowie Fortbildungsmöglichkeiten. Eine Zahl belegt den enormen Zulauf: In der Zeit von 1902 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs nehmen 39.000 Menschen an Exerzitien im zur Stiftung gehörenden Kettlerhaus an der Schillerstraße teil.
- In der Zeit des Nationalsozialismus werden alle Gebäude beschlagnahmt. Der damalige Leiter des Exerzitienhauses, Pater Augustinus Benninghaus SJ, wird 1941 von der Geheimen Staatspolizei verschleppt. Er stirbt 1942 im Konzentrationslager Dachau den Hungertod. 1943 werden die Gebäude der Bischof-Hermann-Stiftung durch über 30 Bomben schwer beschädigt.
- Nach dem Zweiten Weltkrieg werden die Gebäude der Stiftung wieder aufgebaut. Zudem entstehen auf dem Gelände Barackenlager. Die Arbeit kann wieder aufgenommen werden, viele Flüchtlinge und Vertriebene werden untergebracht. Auch die Notunterkunft Hansabunker in Münster, die zwischen 1945 und 1959 insgesamt 235.000 wohnungslosen Menschen als Obdach gedient hat, kann damit geschlossen werden.

Angebote der Bischof-Hermann-Stiftung:
Bis heute hat die Bischof-Hermann-Stiftung ihre Angebote kontinuierlich ausgebaut und der aktuellen Nachfrage an Not-Hilfen angepasst. Derzeit gibt es folgende Einrichtungen:
- Das Haus der Wohnungslosenhilfe (HdW) in der Bahnhofstraße ist eine qualifizierte Notunterkunft für die Basis- und Erstversorgung wohnungsloser Männer.
- Das Christophorushaus in der Soester Straße ist eine stationäre Wohneinrichtung für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten.
- Im Kettelerhaus in der Schillerstraße befindet sich eine stationäre Einrichtung für alleinstehende Männer mit sozialen Schwierigkeiten und einem dauerhaften stationären Hilfebedarf.
- Das Jugendwohnen im Kettelerhaus in der Schillerstraße bietet spezielle Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene sowie für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
- Die Langzeithilfen sind ambulant intensiv betreute Wohngruppen an verschiedenen Standorten in Münster.
- Das Projekt „Brückenschlag“ in der Gartenstraße bietet Hilfen für Familien in besonderen sozialen Schwierigkeiten, gefördert durch das Land NRW.
- Die Europabrücke in der Hafenstraße bietet Hilfen für Migranten aus EU-Ländern, gefördert durch EU- und Bundesmittel.
- Das ambulant betreute Wohnen bietet Unterstützung für Menschen mit sozialen Schwierigkeiten in ihren Wohnungen.

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