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Der frühere Essener Weihbischof Franz Grave ist tot. Er starb am Samstag 89-jährig. Als Streiter für die Menschen im Ruhrgebiet sowie als langjähriger Vorsitzender des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat stand er für Heimatverbundenheit und Weltläufigkeit zugleich.
Sein weißer Haarschopf hob ihn aus jeder Menschenmenge heraus. Sein melodischer Bariton durchdrang jeden Raum. Unter Menschen fühlte Franz Grave sich wohl. Als "Kind des Ruhrgebiets" kannte er die Probleme der Region und den Menschenschlag dort genau. Mehr als 60 Jahre war er im Ruhrbistum als Seelsorger tätig, 30 Jahre davon - von 1988 bis 2008 - als Weihbischof, von 1992 bis 2008 als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Am Samstag (19. Februar 2022) ist Franz Grave, der im Pott und im globalen Süden zu Hause war, mit 89 Jahren gestorben.
"Wir trauern um einen echten Freund Lateinamerikas und Adveniats", erklärte Adveniat-Hauptgeschäftsführer Martin Maier am Samstag. Grave sei den Weg eines "echten Hirten für unsere Region gegangen, kantig und mit einem wahren Herzen für das Ruhrgebiet, für Kohle und Stahl, für die Arbeit, für die kleinen Leute und auch die großen", würdigte Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck den Verstorbenen. "Er ist einer, der zu einem Markenzeichen für unser Bistum geworden ist", so Overbeck.
Ernennung beim Skilaufen
Grave stammte aus einfachen Verhältnissen. 1932 wurde er in eine Essener Handwerkerfamilie geboren. Schon früh stand fest: Er wollte Pfarrer werden. Seelsorge für die Menschen im Ruhrgebiet leisten, erzählte er.
1959 war er einer der ersten Priester, die Ruhrbischof Franz Hengsbach für das ein Jahr zuvor gegründete Bistum weihen konnte. Grave wirkte als Kaplan und Religionslehrer in Duisburg, später als Diözesanpräses für Kolpingwerk und Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB). 1988 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof. Die Nachricht über seine Ernennung habe ihn damals beim Skilaufen in Südtirol erreicht, wird erzählt.
Grave: Kirche als geschützter Raum
Erst recht als Weihbischof machte Grave sich für die Arbeiter im Revier stark. Der Strukturwandel hatte Spuren hinterlassen. Grave brachte unter anderem eine in ganz Deutschland als vorbildlich bezeichnete Aktion zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Jugendlichen auf den Weg. Maßgeblich wirkte er zudem 1997 an einem gemeinsamen Wort von evangelischer und katholischer Kirche zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland mit.
Grave stritt für die katholische Soziallehre und betonte, der Mensch müsse Vorrang haben im Wirtschaftsprozess. Die Kirche sah er in der Rolle eines Vermittlers. Sie könne nicht den Sachverstand der Sozialpartner ersetzen. Sie könne aber "geschützte Räume" zur Verfügung stellen, um einen offenen Meinungsaustausch zwischen Interessenvertretern zu ermöglichen.
"Runter von der Konsumleiter": Weihbischof in der Favela
1992 wählten ihn die deutschen Bischöfe zum Vorsitzenden der Kommission für das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat, das seinen Sitz in Essen hat. Damit weitete sich der "Seelsorgebereich" Graves entschieden aus. Mit Verve engagierte er sich für bessere Lebensbedingungen der Menschen in Süd- und Mittelamerika sowie der Karibik. Er reiste oft dorthin. Mit den Armen in den Slums wie mit Bischofskollegen und Staatenlenkern sprach er auf Spanisch.
Einmal verbrachte Grave mehrere Tage bei einer Familie in einer Favela im honduranischen Tegucigalpa. "Ich habe die Lebens-, Schlaf- und hygienischen Bedingungen dort kennengelernt. Und ich habe gemerkt, wie weit ich von meiner hohen Konsumleiter runterklettern muss, um auf eine Stufe mit diesen Menschen zu kommen." Grave stritt für einen sozialen Ausgleich. Immer wieder sprach er von der Verantwortung in der "Einen Welt".
"Jeder sieht, dass die Kirche reformbedürftig ist"
Grave erhielt 2001 die Ehrendoktorwürde des Universität Tegucigalpa. 2006 bekam er den Verdienstorden des Landes NRW. 2010 wurde er auch mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.
Nach seiner Emeritierung 2008 verlor der Fußballfan und begeisterte Bergwanderer die seelsorglichen und sozialen Probleme nicht aus den Augen. "Jeder sieht, dass die Kirche und ihre Lage reformbedürftig ist", sagte er 2019. Alte Positionen dürften nicht für alle Zukunft festgeschrieben werden. So könne für Priester die zölibatäre Lebensform - "die etwas für sich hat" - nicht der alleinige Weg in die Zukunft sein, schrieb er wie ein Vermächtnis seiner Kirche ins Stammbuch.