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Aufgrund der hohen Nachfrage in der ersten Corona-Phase haben die 72 Ehrenamtlichen der Telefonseelsorge Münster ein zweites Telefonzimmer geöffnet. 24 Seelsorger wurden in einem Schnellkurs ausgebildet und verstärken das Team. Themen sind unter anderem finanzielle Sorgen, Ärger über die Organisation der Impfkampagne und fehlende Zukunftsperspektiven.
Corona- Zeiten sind Phasen der besonderen psychischen Belastung. Kein Wunder also, dass es bei der Telefonseelsorge (TS) Münster seit bald einem Jahr eine verstärkte Nachfrage gibt. „Corona ist Stress für die Seele“, unterstreicht die Leiterin der Telefonseelsorge Münster, Rita Hülskemper. Ob Kinder sich um ihre Mütter sorgen, die sich in der Krankenpflege um Covid-19-Infizierte kümmern müssen, oder Familien durch die Schließungen von Schule und Kindergarten auf sich zurückgeworfen werden: Die ökumenisch ausgerichtete Telefonseelsorge Münster - Träger sind das Katholische Stadtdekanat und der Evangelische Kirchenkreis Münster – nimmt sich der verschiedensten Sorgen und Nöte an, wobei zum Einzugsgebiet nicht nur die Stadt Münster, sondern auch Teile des Münsterlandes gehören.
Hülskemper, geboren 1956 in Bottrop, ist studierte Diplom-Pädagogin und ausgebildete Supervisorin und hatte schon reiche berufliche Erfahrung im Beratungs- und Bildungsbereich gesammelt, bevor sie 2008 Leiterin der Telefonseelsorge Münster wurde. In der Krisenzeit und durch sie hervorgerufene Ohnmachtsgefühle haben sich, so hat sie festgestellt, die suizidalen Gedanken und Absichten bei manchen Menschen verstärkt. Mit den Ehrenamtlichen der Telefonseelsorge können sie frei und offen, kostenlos und anonymisiert über ihre Empfindungen sprechen.
Erinnerungen an die Kriegszeit kommen hoch
Andererseits gab es nach Hülskempers Eindruck in der ersten Phase der Corona-Pandemie eine Gruppe, die sich durch die Einschränkungen gestärkt fühlte, weil sie das Gefühl, zu Hause bleiben und sich zurücknehmen zu müssen, schon kannte und für ihre Mitmenschen ein besonderes Mitgefühl entwickelte, sich zugleich aber auch erleichtert fühlte, nicht mehr rausgehen zu müssen.
Ängste, Trauer und Spannungen gab es bei alten Menschen, die von ihren Verwandten und Freunden keinen Besuch mehr empfangen durften, sowie deren Angehörigen. Hülskemper: „Da kamen Erinnerungen an die Kriegszeit hoch, und diese Phase wurde als emotionaler Ausnahmezustand und als Bedrohung empfunden.“ Auch die Situation von Menschen mit psychischen Erkrankungen habe sich durch Corona verschärft, vor allem, weil deren Therapien ausfielen und die gefühlte Ausweg- und Perspektivlosigkeit der Lage sie erneut in Depressionen stürzte.
Hohe Einsatzbereitschaft der 72 Ehrenamtlichen
Angesichts der verstärkten Nachfrage ist Rita Hülskemper voll des Lobes für die Einsatzbereitschaft der 72 Ehrenamtlichen. „Sie haben von sich aus ihre Dienste verstärkt, und wir haben schließlich ein zweites Telefonzimmer geöffnet“, führt sie aus. „Sie sind es, die in Bezug und in Beziehung zu den Ratsuchenden gehen, und ich habe ihnen immer wieder geraten, in dieser schwierigen Zeit auch auf sich selbst zu achten.“ Zusätzlich zu den Ehrenamtlichen seien 24 evangelische und katholische Seelsorger in einem Schnellkurs für die Alltagsbegleitung am Telefon ausgebildet worden und hätten das Team verstärkt.
In den Sommermonaten änderte sich das Bild, und bei der Telefonseelsorge Münster meldeten sich vor allem Leute, die beruflich und familiär von der Kurzarbeit betroffen waren, sowie mittelständische Unternehmer, die schlaflose Nächte hatten, weil die finanziellen Hilfen des Staates sie nicht erreichten, und Lehrer, die sich um ihre Schüler sorgten. Andererseits hätten viele Paare, die sich während der Corona-Zeit stärker mit ihrer Beziehung beschäftigt hätten, ein neues Miteinander entdeckt.
Menschen sehnen Orientierung und Zuversicht herbei
In den letzten Wochen haben dagegen Ungeduld und Verunsicherung angesichts der fehlenden Zukunftsperspektive in der Krise, aber auch Wut und Ärger über die Organisation der Impfkampagne zugenommen. „Orientierung und Zuversicht werden herbeigesehnt“, urteilt Rita Hülskemper. Und was gibt der Leiterin der Telefonseelsorge selbst Halt? „Der Kontakt zu Gott ist für mich wichtiger geworden, und ich fühle mich demütiger“, bekennt sie. „Mit dem christlichen Glauben verbinde ich Hoffnung auch in den dunklen Stunden des Lebens.“
Ehrenamtliche Helfer gesucht
Die Telefonseelsorge Niederrhein-Westmünsterland sucht ehrenamtliche Helfer. Ausbildungskurse beginnen im September. Weitere Informationen dazu auf der Internetseite der Telefonseelsorge.