Schweren Herzens: Corona-Pause für das ehrenamtliche Team um Gerhard Einhaus

Löninger Tafel hat heute zum letzten Mal Lebensmittel ausgegeben

Es ist sein großes Projekt nach dem Verkauf seiner Mischfutter-Firma. Als Rentner hat Gerhard Einhaus die Lebensmittelausgabe aufgebaut. Jetzt muss sie wegen der Corona-Krise schließen.

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Die letzten Tüten haben sie gerade herausgegeben. Was noch übrig ist, wird entsorgt. Einiges geht an einen Tierhof, ein paar Dinge können eingelagert werden. Nur eines steht fest: Die Tafel im oldenburgischen Löningen stellt den Betrieb vorerst ein, wegen des Corona-Virus. So wie mittlerweile Hunderte andere Tafeln in Deutschland auch.

„Es geht nicht anders“, erklärt Gerhard Einhaus mit trauriger, aber fester Stimme. Die Helfer haben es gemeinsam so beschlossen, „weil es einfach vernünftig ist.“ Zuerst war noch im Gespräch, die Ausgabe nach draußen zu verlegen, „aber sie wollten es lieber nicht.“ Er hofft, dass die Kunden in der kommenden Zeit ohne Tafel über die Runden kommen.

 

Gerhard Einhaus wirbt um Verständnis für den Schritt

 

Gerhard Einhaus wirbt um Verständnis: „Viele unserer Helferinnen und Helfer sind über 70 Jahre alt. Sie gehören also zur Risikogruppe und haben sehr große Bedenken und Angst. Auch die Zahl unserer Kunden hat nachgelassen und wir wollen niemanden einer Gefahr aussetzen.“

Eine Zwangspause also auch für den Mann, der vor zehn Jahren selbst nicht genau wusste, worauf er sich einließ, als er unter anderem der Gemeindecaritas zusagte: Ja, er wolle die Tafel mit aufbauen helfen. Gerhard Einhaus traute sich die Sache. Er brachte schließlich Erfahrung mit. Seine Firma in Lindern hatte er gerade verkauft, einen Mischfutterbetrieb mit 35 Mitarbeitern.

 

Gerhard Einhaus führt die Tafel seit zehn Jahren

 

Der Ex-Unternehmer nickt. „Ich wusste also, wie man so einen Betrieb führt. Und ich konnte ganz gut mit Leuten umgehen“, sagt er. „mit meinen eigenen Leuten genauso wie mit Kunden oder Lieferanten.“ Die Tafel, die er aufgebaut hat und seit 10 Jahren führt, sei ja quasi eine Firma. „Und ich bin so etwas wie der Geschäftsführer.“ Nur eben anders als früher: nicht, um davon zu leben, sondern ehrenamtlich.

Vielleicht trifft ihn die Schließung deshalb sogar noch mehr. Ein letztes Mal konnten Kunden jetzt gespendete Lebensmittel abholen. Dabei galten wegen der Corona-Krise besondere Bedingungen: In den Laden durften sie nur noch zwei Meter hinein, mit Sicherheitsabstand.

 

Ab nächste Woche ist erst mal Pause

 

Gerhard Einhaus hat die Tafel mit einem kleinen Team ab 2009 aufgebaut, mit Unterstützung der Gemeindecaritas. Heute kann er auf 75 Mitarbeiter zählen, allesamt Ehrenamtliche wie er selbst. Manche tragen sich jede Woche für einen Dienst ein, andere einmal im Monat.


Obstausgabe in der Löninger Tafel. | Foto: Michael Rottmann

Die Räume einer ehemaligen Werkstatt dienen als Ausgabestelle, mit Regalen, Glastheken, Obstständen, und Kühlschränken. In aller Ruhe geben hier ehrenamtliche Helfer Woche für Woche Waren aus, legen Obst, Brot oder Joghurt in Tüten in die Taschen der Kunden. So war das jedenfalls bis vor kurzem.

 

Viele der Helferinnen und Helfer sind Ü70

 

Es gelang immer, die rund 20 Helfer zusammenzubekommen, die das Projekt allein an den beiden Öffnungstagen in der Woche benötigt. Morgens für Transporte und Warenvorbereitung und nachmittags für den Laden. Mit drei anderen gehört Gerhard Einhaus selbst zu denen, die immer kommen.

„Die meisten sind froh, gemeinsam an so einem Projekt arbeiten zu können und das Gemeinschaftsgefühl zu erleben.“ Fast alle, die bei der Gründung vor zehn Jahren dabei waren, sind auch heute immer noch dabei.

 

Gerhard Einhaus wollte etwas von seinem Glück zurückgeben

 

Und was treibt ihn selbst dazu an, sich Woche für Woche ohne Bezahlung in den Dienst einer guten Sache zu stellen? Gerhard Einhaus muss nur kurz über die Frage nachdenken. „Mir und meiner Familie ist es bislang immer gut gegangen“, sagt er, „davon wollte ich etwas weitergeben.“

Immer wieder kommt auch ein Dankeschön zurück. „So etwas hat uns immer wieder angespornt“, sagt Einhaus. Für den Tag der offenen Tür zum zehnjährigen Bestehen zum Beispiel hatten einige der ausländischen Kunden Kuchen nach Rezepten aus ihren Heimatländern gebacken.

 

Die Tafel hat sogar einen eigenen Chor gegründet

 

Dazu kommt das, was die Helfer untereinander an Gemeinschaft entwickelt haben. Einhaus lenkt den Blick auf eine wohl einzigartige Sache: „Wir haben einen Chor der ehrenamtlichen Helfer gegründet“. Der Dirigent des örtlichen Männergesangvereins lädt alle vier Wochen zur Gesangsprobe. Die rund zwei Dutzend Sängerinnen und Sänger vom Löninger „Tafel-Chor“ haben ihre Volkslieder auch schon bei Veranstaltungen aufgeführt.

Bis zur Schließung zählte die Tafel rund 130 Kunden. Hochgerechnet auf ihre Familien unterstützte sie rund 400 Menschen aus der Region südwestlich von Cloppenburg. Löningen, Lindern, Lastrup, Essen gehören dazu. Fast die Hälfte sind Kinder. Ein paar kommen aus dem nahen Emsland. Herzlake ist nur einen Steinwurf entfernt. Sie alle werden sich jetzt wohl einschränken müssen.

 

Löninger Tafel hilft 400 Menschen

 

Insgesamt 52 000 Warenkörbe haben die ehrenamtlichen Helfer den ersten 10 Jahren seit der Gründung ausgegeben. Einkaufen kann nur, wer eine Bescheinigung vom Jobcenter mitbringt. Wer Sozialleistungen, Grundsicherung oder Wohngeld bezieht oder dessen Lohn oder Rente den einfachen Satz der Sozialleistungen nicht überschreitet, darf das Angebot nutzen. Diese Menschen würden ohne unsere Hilfe nicht verhungern“, sagt Einhaus. „Aber wir ermöglichen ihnen, sich ab und zu auch etwas Anderes zu kaufen.“

Armut ist ein strukturelles Problem – davon ist Gerhard Einhaus überzeugt. „Sie trifft Familien, Alleinerziehende und Menschen im Alter ebenso wie Zugewanderte aus anderen Ländern. Die Löninger Tafel will deshalb nicht nur akut helfen, sondern auch in die Zukunft wirken.

 

Keiner weiß, wann und wie es weitergeht

 

Mit ihren Überschüssen finanziert die Tafel unter anderem berufliche Eingliederungskurse für benachteiligte Jugendliche. „Wir wollen mit diesen Angeboten schon im Vorfeld etwas tun, damit die jungen Menschen später nicht auf uns angewiesen sind“, sagt der Tafel-Chef.

Derzeit ist die Tafel geschlossen. Bis auf weiteres, wie lange, weiß niemand. Verderbliche Ware ist entsorgt, lange haltbare soll als Grundstock für einen Neuanfang dienen – irgendwann.

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