Soziologin Dill: Mitwissen sei nicht aktenkundig

Missbrauch in München: Was wusste Benedikt XVI. über den Fall H.?

  • Was wusste Papst em. Benedikt XVI. über den Missbrauchstäter H.? Eine Soziologin hält diese Frage noch für unbeantwortet.
  • In den Akten gebe es laut Wissenschaftlerin keine Belege dafür, dass Joseph Ratzinger über die Gründe der Versetzung vom Bistum Essen in das Erzbistum München und Freising Bescheid wusste.
  • Helga Dill begleitet die Aufarbeitungsstudie für das Bistum Essen, die im Herbst 2022 veröffentlicht werden soll.

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Die Münchner Soziologin Helga Dill hält die Frage weiterhin für offen, was Papst em. Benedikt XVI. in einem prominenten katholischen Missbrauchsfall wusste. Gegenüber der „Zeit“-Beilage „Christ und Welt“ nahm die Geschäftsführerin des Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) Stellung zur Debatte um die Verwicklung des ehemaligen Kirchenoberhaupts in den sogenannten Fall H.. Das IPP erhielt vor knapp zwei Jahren den Auftrag des Bistums Essen für eine unabhängige Aufarbeitungsstudie, die im kommenden Herbst veröffentlicht werden soll.

H. ist Essener Diözesanpriester und hat an mehreren Orten in seinem Heimatbistum sowie im Erzbistum München und Freising Minderjährige missbraucht. Die Taten erstrecken sich über vier Jahrzehnte.

Fall H.: Verantwortliche im Erzbistum München informiert

Dill sagte in dem am Mittwoch veröffentlichten Interview, es gebe „in den Akten keine Hinweise“ darauf, dass Joseph Ratzinger über die Hintergründe von H.s Versetzung Anfang 1980 nach München Bescheid wusste. Ratzinger war damals Erzbischof von München und Freising. Nach seiner Wahl 2005 zum Papst nahm er den Namen Benedikt XVI. an.

In den Akten sei nur zu lesen, dass die Verantwortlichen in München aus Essen darauf hingewiesen worden seien, „dass von H. eine Gefahr ausgeht“, mehr nicht, so Dill. „Das heißt aber nicht, dass er die Hintergründe 1980 nicht kannte“, fügte die Forscherin hinzu. „Viele interne Absprachen fanden nie ihren Weg in die Akten.“ Deswegen würde sie mit dem emeritierten Papst gern über den Fall sprechen.

Der Fall H. spielt auch eine gewichtige Rolle im Gutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising, das am Donnerstag veröffentlicht werden soll. Er füllt dem Vernehmen nach einen „Sonderband“ mit mehr als 350 Seiten.

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