Hilfswerk: Uns liegen Hinweise auf Täterschaft in Missbrauchsfällen vor

Missbrauchs-Untersuchung gegen Ex-Adveniat-Chef Stehle eingeleitet

  • Nach Missbrauchs- und Vertuschungsvorwürfen gegen den früheren Adveniat-Geschäftsführer Emil Stehle haben das Hilfswerk Adveniat und die Deutsche Bischofskonferenz eine unabhängige Untersuchung vereinbart.
  • Insbesondere sollen Akten der von Stehle geleiteten Stelle "Fidei Donum" für deutsche Geistliche in Lateinamerika überprüft werden.
  • Auch liegen Hinweise vor, Stehle selbst könnte Täter gewesen sein.

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Nach Missbrauchs- und Vertuschungsvorwürfen gegen den früheren Adveniat-Geschäftsführer Emil Stehle (1926-2017) haben das Hilfswerk Adveniat und die Deutsche Bischofskonferenz eine unabhängige Untersuchung vereinbart. Insbesondere sollen Akten der von Stehle geleiteten Stelle "Fidei Donum" für deutsche Geistliche in Lateinamerika überprüft werden, sagte Adveniat-Hauptgeschäftsführer Martin Maier. Die Untersuchung solle voraussichtlich im ersten Halbjahr 2022 fertiggestellt sein.

Eine im September vorgestellte Studie zu sexueller Gewalt im Bistum Hildesheim wirft dem späteren Bischof Stehle vor, an der Vertuschung von Missbrauchstaten eines Priesters mitgewirkt zu haben, indem er ihn im Ausland einsetzte. Adveniat habe unmittelbar nach Vorstellung der Studie Kontakt zur Bischofskonferenz aufgenommen, erklärte Maier. Danach hätten das Hilfswerk Hinweise "mit dem ausdrücklichen Wunsch auf Vertraulichkeit und Anonymität" erreicht, "die darüber hinaus auf eine Täterschaft Stehles in Fällen sexuellen Missbrauchs hindeuten".

Stehle leitete Auslandspriester-Stelle

Stehle war von 1972 bis 1984 Leiter der damals von der Deutschen Bischofskonferenz geschaffenen Stelle "Fidei Donum", die inzwischen bei Adveniat angesiedelt ist. Sie koordiniert Auslandseinsätze für aus den deutschen Bistümern entsandte Geistliche.

Maier reagierte auf einen offenen Brief der früheren niedersächsischen Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz an den Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing. Darin macht sie Missbrauchsvorwürfe gegen Stehle öffentlich und fordert Aufklärung. Niewisch-Lennartz ist Obfrau der für die Studie im Bistum Hildesheim verantwortlichen Expertengruppe.

Erzbistum Freiburg untersagte Stehle 2005 Tätigkeiten

"Nach Veröffentlichung des Berichts hat sich bei mir zunächst ein Angehöriger, dann die Betroffene selbst gemeldet und vorgetragen, durch Stehle sexuell missbraucht worden zu sein", schreibt die Juristin. In seiner Heimatdiözese Freiburg sei ein weiterer Missbrauchsvorwurf bekannt. Weitere Einzelheiten zu den Vorwürfen nannte sie ebenso wie Adveniat nicht.

Laut Erzbistum Freiburg ging dort bereits im November 2005 der Hinweis einer Betroffenen auf "übergriffiges und grenzüberschreitendes Verhalten" von Stehle ein. Die Vorkommnisse hätten damals bereits mehrere Jahrzehnte zurückgelegen. Stehle, der als Ruheständler 2005 wieder im Erzbistum lebte und dort Firmungen hielt, habe grenzüberschreitendes Verhalten eingeräumt. Daraufhin sei ihm jegliche Tätigkeit im Auftrag des Bistums untersagt worden, so ein Sprecher.

Priester unter anderem Namen nach Paraguay versetzt

Laut der Hildesheimer Studie hat Stehle als Leiter von "Fidei Donum" dafür gesorgt, dass ein Priester, gegen den ein Haftbefehl wegen Verdachts des wiederholten sexuellen Missbrauchs an schutzbefohlenen Minderjährigen vorlag, unter anderem Namen in Paraguay eingesetzt wurde. Als Beweis gilt den Experten ein Schreiben Stehles von 1976 an den damaligen Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen. Die finanzielle Versorgung des untergetauchten Geistlichen wurde demnach durch Adveniat gesichert.

Stehle wurde 1926 in Mülhausen im heutigen Baden-Württemberg geboren und 1951 im Erzbistum Freiburg zum Priester geweiht. 1972 wurde er stellvertretender Adveniat-Geschäftsführer, 1977 Geschäftsführer. Ab 1983 wirkte Stehle als Weihbischof im Erzbistum Quito in Ecuador, blieb aber Adveniat-Geschäftsführer bis 1988. 1987 ernannte ihn Johannes Paul II. zum Bischof der Diözese Santo Domingo de los Colorados in Ecuador. Mit Beginn des Ruhestands 2002 zog er in sein Heimatbistum Freiburg, wo er 2017 nach langer Krankheit starb.

Fidei-Donum-Priester werden zur Unterstützung der Mission entsandt. Sie stellen sich mit Erlaubnis ihres Heimatbischofs für eine bestimmte Zeit in den Dienst eines Bistums in einem anderen Land.

Papst Pius XII. regte in seiner Missionsenzyklika "Fidei Donum" 1957 Europas Bischöfe an, Priester aus ihren Bistümern in stark vom Priestermangel betroffene Gebiete zu senden. In der Enzyklika heißt es mit Blick auf Afrika, es sei wichtig, die Zahl der Geistlichen auf dem Kontinent zu erhöhen. Später weitete Papst Johannes XXIII. den Dienst auf die Länder in Lateinamerika aus.

Heute wirken Fidei-Donum-Priester auf allen Kontinenten. Die meisten arbeiten in Pfarreien, manche auch als Bischöfe. Nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz sind derzeit in Lateinamerika und der Karibik etwa 90 Fidei-Donum-Priester im Einsatz. Seit 1971 unterhält die Bischofskonferenz eine Koordinierungsstelle für die entsandten Geistlichen. Da diese vor allem in Lateinamerika tätig waren und sind, wurde die Koordinierungsstelle bei Adveniat angesiedelt. Die Stelle hat aber keine Personalverantwortung für die Priester und wird bei deren Entsendung auch nicht immer einbezogen. | KNA

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