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Er baute Klöster und deren Gästehäuser, so etwa das preisgekröntes „Haus der Stille“ der Abtei Königsmünster oder das Maternushaus des Erzbistums Köln, aber auch zwei Landtage: Gestern starb der große Architekt Peter Kulka mit 86 Jahren in seiner Heimat Dresden. Vor 25 Jahren schrieb Markus Nolte ein Porträt über ihn. Mit wenigen Aktualisierungen veröffentlichen wir es als Nachruf auf diesen Baumeister der Stille.
Es ist ihm alles zu viel. „Visueller Lärm, Kulturmüll, McDonalds-Bilderflutenwelten“ bedrohen ihn, meint Peter Kulka. Ein Architekt macht sich Sorgen um die Welt. So, wie er das sagt, könnte man meinen, er gehörte gar nicht dazu, als wären er und das, was er macht (er sagt immer „machen“, nie „bauen“ oder „planen“) von einer anderen Welt.
Tatschlich hat Kulka etwas Asketisch-Mönchisches an sich. Immer ganz in Schwarz lenkt nichts ab vom Wesentlichen: seinem seit Jahren kahlen Kopf, seinen Händen. Außen edle Einfachheit, innen explodierende Bilder.
Kulka: Gleichzeitig innen und außen
„Das Innere wird zum Außen“, liest man immer und immer in den Projektbeschreibungen seiner Bauwerke – für das Maternushaus des Erzbistums Köln etwa; „das Drinnen wird zum Draußen und umgekehrt“ für den Sächsischen Landtag in Dresden; „man ist gleichzeitig innen und außen“ für das Sportstadion in Chemnitz. – „Man kann nichts bringen, wenn man nicht selber für sich steht. Es war ein langer Weg – auch der Selbstfindung.“ Kulka, der Dalai Lama unter den Architekten. Manchmal sagt er sinnige Dinge und gibt sie bescheiden als Zitat aus der Bibel. – Zumindest könnten sie dort stehen.
Es kommt vor, dass er mit einem Bauherrn in einem kleinen, unscheinbaren Café in der Dresdner Neustadt sitzt und während des Wartens auf seinen grünen Tee ganze Hausfronten entstehen lässt – mit einem dicken Filzschreiber auf einem Stück Serviette perspektivisch korrekt bis ins Detail.
Kulka zeichnet kniend
Solche Blitze der Kreativität schlagen allerorts allenthalben ein. Es kann passieren, dass Architekt Kulka auf der Straße kniet und mit einem Steinchen auf dem Asphalt flott ein paar exakte Striche zieht. „So machen wir’s“, sagt er dann. „Nicht wahr, so machen wir’s.“ Sein Blick hinauf zum Bauherrn signalisiert Bereitschaft zur Diskussion über ein soeben verkündetes Dogma.
Kulka weiß das. „Wir leben in einer sehr narzisstischen Zeit. Und ein Stück leiden wir darunter. Ich auch.“ Die Leichtigkeit, mit der er solch schwere Dinge sagt, ist begründet. „Kulka“ ist längst ein Markenname, er gilt als einer der meistgerühmten Baumeister der letzten Jahre.
Kulkas Kindheits-Inferno
Und doch beginnt seine Idee, Architekt zu werden, mit einer historischen Tragödie. Kulka war sieben Jahre alt, es waren die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs, und seine kulturträchtige Heimatstadt zerfiel durch Bomben der Alliierten. Dresden, das Elbflorenz Canalettos und August des Starken, brannte Tag und Nacht.
Als das Inferno vorbei war, fuhr Kind Kulka mit einer Straßenbahn ohne Scheiben durch die Stadt und staunte. „Ich war jung, aber natürlich nehmen Kinder Katastrophen wahr. Ich kannte in Dresden so viele Ecken, und auf einmal war nichts mehr da.“ Auch in Kulkas Familie veränderte sich alles: Sein Vater, ein Architekt, starb im Krieg – „ich wollte seine Arbeit fortführen“.
Maurerlehre, Plattenbau und “Häuser als Kleider”
Kulka begann ganz unten, am Fundament, mit einer Maurerlehre Anfang der 50er, studierte dann Architektur in Ost-Berlin. Seine erste Stelle trat er beim Chef-Baumeister der Ost-Berliner Stalinallee an, bei Hermann Henselmann, dem berühmtesten Architekten der DDR und Erfinder der industriellen Häuserfertigung.
Kulka indes sagt: „Häuser sind Kleider, Schutzhüllen, dritte Haut des Menschen, Lebensbegleiter.“ Kein Wunder, dass er sich 1965 in den Westen absetzte, seine Zeugnisse zerknüllt in der Hosentasche. Mag sein, dass er von dort auch die Disziplin mitnahm, sich vor modischen Allerweltsschnörkeln zu hüten. An seine Zeit der rotbraunen Backsteinbauten jedenfalls erinnert er sich freiwillig nur mit großer Mühe.
Basisdemokratie und Schlaglöcher
Die tauchen ohnehin nur verschämt in seiner mittleren Schaffensperiode auf, nachdem er als gerade mal Dreißigjähriger mit ein paar jungen Architekten von 1970 bis 1976 an seinem monströsen Erstlingswerk herumgeplant hatte: der Uni Bielefeld. Damals baute Kulka noch basisdemokratisch alle Fakultäten in gleichhohen Trakten. Auch die industriell hergestellten Fertigteile lassen ahnen, dass sein Weg zur Selbstfindung noch arg von DDR-typischen Schlaglöchern gestört wurde.
Bald darauf zog der ehemalige Messdiener Kulka ins katholische Köln, wirkte zusammen mit Hans Schilling am dortigen Maternushaus mit, dem Vorzeige-Bildungshaus des Erzbistums. Schilling war es auch, der Kulka in Kontakt zur Benediktinerabtei Königsmünster im sauerländischen Meschede brachte. Nach einem weiteren Klinkerprojekt dort – dem Jugendhaus Oase, das er mit Schilling zusammen entwarf – vertiefte sich Kulka in den Klosterbau, schuf neue, helle, strenge und zugleich offene Klausur-Räume für die Mönche.
Preisgekröntes “Haus der Stille”
Schließlich baute er das längst mehrfach preisgekrönte „Haus der Stille“ im Apfelgarten des Klosters (siehe Bilderstrecke) – für Menschen, die das Mönchische ins sich entdeckt haben. Kulka macht’s, wen wundert’s, mit visionärem Elan, wollte „ein archaisches Erscheinungsbild“, einen „Ort der Brechungen“.
Entstanden ist ein doppeltes Beton-Gebilde – bestehend aus einem Treppenhaus im Wortsinn, voll und ganz ausgefüllt mit Stufen und Stiegen, und einem Wohnhaus mit nüchtern-ästhetischen Zellen für die Schweigegäste, in denen sich nach und nach der Blick in große Weite öffnet auf Apfelgarten und die Sauerländer Berge. Treppenhaus und Zellenhaus verbinden frei schwebende gläserne Stege, über sich den Himmel, unter sich die Erde.
Brücken, Brüche, Harmonie
Durch Brücken Brüche wahrzunehmen, auf Brücken über Brüche zu gehen, ohne sie zu übergehen – das ist die Harmonie, die Kulka beseelt. „Heimlich bin ich ein Romantiker“, sagte er, als er gerade die provozierende Schönheit von Beton wiederentdeckte. „Ein Romantiker allerdings, der merkt, dass die Romantik eine Fatamorgana ist, fern vom Leben, eine Illusion.“ Entsprechend, kalkuliert Kulka, sei Architektur „mehr als ein bestätigendes Abbild unseres alltäglichen Lebens“, spiegele vielmehr „auch ein Stück von unseren verborgenen Wünschen und Träumen wider.“
Das sagt der Philosoph Kulka nicht etwa im Angesicht des Klosters in Meschede, der Landtage in Dresden oder Potsdam oder einer Siemens-Zweigniederlassung in Düsseldorf, sondern angesichts eines Sportstadions, mit dem sich Chemnitz für die Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2002 bewerben wollte.
“Was fertig ist, ist tot”
Kulka ist wieder mit einem Fuß in der Heimat, hat Büros in Dresdens Neustadt bezogen – eher zufällig in dem Haus, in dem sein Vater ehedem zur Schule gegangen war. Längst hat er in den neuen Bundesländern Spuren hinterlassen, ist allein für Projekte dort mit sechs Preisen ausgezeichnet worden. Rein historisch-biographisch ist Kulka wiedervereinigt mit sich selbst, ist der Weg der Selbstfindung an einem entscheidenden Punkt angelangt.
Für seine Werke allerdings bleibt er dabei: „Alles ist Prozess. Was fertig ist, ist tot.“ Wege sind seine Lieblinge, dazu Ruhezonen, „Lungen“, und „Meditationsräume“, die er als himmeloffene Bereiche wie selbstverständlich auch in seinen Landtagen und Industriegebäuden vorsieht. Der Weg ist das Ziel – benediktinisch-buddhistisch bauen in Brandenburg.
Blaues Haus im Weinberg
In Dresden, seiner kunstsinnigen Heimatstadt, bezog er dennoch nicht Wohnquartier, als er damals zurückkehrte. Er hat im Porzellanstädtchen Meißen, 30 Kilometer von der sächsischen Hauptstadt entfernt, ein Haus im Weinberg. Ein ehemals graues Null-acht-fünfzehn-Haus, das Kulka von oben bis unten in strahlendem Blau hat streichen lassen – „psychologisch eine Farbe der Vertiefung, eine Grundfarbe, eine reine Farbe“, sagt er.
Seine Nachbarn und ein Großteil Meißens fanden damals: eine Provokation. Ausgerechnet und auf jeden Fall mit seinem eigenen Wohnhaus gelang ihm das. Denn, so sagt er, während er im Sessel sitzend aus seinem blauen Haus in die untergehende Sonne blickt: „Architektur ist ein Abbild des Lebens – allerdings ein forderndes, förderndes, sinnbezogenes, ja vielleicht auch provozierendes.“ Richtig ruhig sagt er das. Kulka meditiert Kulka.
Ein alter, bayerischer Mönch, der Jahrzehnte in der Abtei Königsmünster lebte, gab ihm auf seine Weise recht. „So könnt’s weiterbauen“, sagte er und schlenderte aus der neuen, weiß gestrichenen und rot bestuhlten Kulka-Bibliothek des damaligen Klosterneubaus. „Dann habt’s ein gutes Andenken, wenn ihr mal tot geht.“
Zuerst erschienen in der Wochenzeitung “Kirche+Leben”, 23. Mai 1999.