38.000 Pflegekräfte weniger – 2,1 Millionen Patienten mehr

Pflegedirektorin: 8.000 neue Pflegekräfte sind „ein Witz“

Der Druck auf die Krankenhäuser ist enorm. Personal zu sparen, scheint zu lange das erste Gebot der Stunde gewesen zu sein. Die Folge: Immer weniger Pflegekräfte müssen immer mehr Patienten versorgen. Das Image ist miserabel.

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Der Druck auf die Krankenhäuser ist enorm. Personal zu sparen, scheint zu lange das erste Gebot der Stunde gewesen zu sein. Die Folge: Immer weniger Pflegekräfte müssen immer mehr Patienten versorgen. Das Image ist miserabel.

Kurzfristig würden die katholischen Schulen für Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflege in Nord­rhein-Westfalen (NRW) ihre Ausbildungskapazitäten erhöhen, meldete der Diözesancaritasverband in Münster pünktlich zum Tag der Ausbildung am 18. Juni. Auf diese Weise würden bis zum Herbst 398 zusätzliche Ausbildungsstellen durch die 13 Pflegeschulen geschaffen, allein im Bistum Münster 210. Die Situation in der Altenpflegeausbildung sei wegen der geringen finanziellen Beteiligung des Landes schwieriger, schrieb Klaus Schoch, Abteilungsleiter Kranken- und Gesundheitspflege im Diözesancaritasverband.

Ein Tropfen auf den heißen Stein

Die neuen Ausbildungszahlen bedeuten nach Ansicht der Pflegedirektorinnen in den niederrheinischen Klinikverbünden Anett Jaschner (Katholische Karl-Leisner-Trägergesellschaft in Kleve) und Sylvia Guth-Winterink („Pro homine“ in Wesel) ein Tropfen auf den heißen Stein.

Das Ende der Fahnenstange sei erreicht, meint Anett Jaschner. Die Politik habe einfach zu spät reagiert. Die Krankenhäuser stünden unter extrem hohem Kostendruck. Personalkosten einzusparen, sei erstes Gebot. „Immer weniger Personal muss immer mehr Kranke betreuen“, sagt Jaschner. Die 52-jährige Pflegedirektorin ist für 1.350 Pflegekräfte verantwortlich, die in vier Kliniken arbeiten: in Kalkar, Kleve, Kevelaer und Goch.

Jaschner: Arbeitsdruck macht Pflegeberufe unattraktiv

Die Betten würden heute nicht mehr kalt. Es gebe eine immer kürzere stationäre Verweildauer, was zu einer deutlich höheren Schlagzahl von Bettenwechseln auf den Stationen führe. Dieser ständige Wechsel führe zu einem enorm gestiegenen Arbeitsdruck.

Neue Patienten bedeuteten immer wieder neue Aufnahmegespräche, die Organisation von Untersuchungen, die Kontrolle der Medikation und eine ständig zu leistende Dokumentation. „Der Druck macht krank“, sagt Jaschner. „War es früher der Rücken, ist es heute die Psyche.“ Zu kämpfen habe der Pflegeberuf auch mit dem Image. Es sei unattraktiv, in einem Pflegeberuf zu arbeiten, sagt Jaschner.

Guth-Winterink: Maßnahmen zu spät ergriffen

„Es ist schwierig, mit anderen Berufen zu konkurrieren“, sagt Sylvia Guth-Winterink. Die 58-jährige Pflegedirektorin, die für die Pflegekräfte im Marien-Hospital Wesel und St.-Willibrord-Hospital Emmerich zuständig ist, beklagt, dass angesichts des demografischen Faktors mehr Pflegekräfte hätten ausgebildet werden müssen.

Gerade weil man wisse, dass sich der Anteil der hochbetagten Patienten in naher Zukunft verdoppele, brauche man mehr Kräfte. Dass unter den Hochbetagten immer mehr Patienten mit Demenzerkrankungen seien, mache das Problem noch gravierender.

Weniger Pflegekräfte, mehr Patienten

Um die Notwendigkeit des Handelns darzulegen, verweist sie darauf, dass in Deutschland von 1995 bis 2011 rund 38.000 Pflegekräfte abgebaut wurden, während 2,1 Millionen Menschen mehr gepflegt und versorgt werden mussten. Im Mai 2018 gab es in Deutschland 17.000 Stellen für Pflegekräfte, 25.000 wären notwendig gewesen. „Es gibt sie nicht. Der Markt ist leergefegt“, sagt Guth-Winterink.

Wenn die Große Koalition jetzt 8.000 neue Kräfte einstellen wolle, bedeute das für jedes der 2.000 Krankenhäuser vier Stellen. Rechne man diese 8.000 neuen Pflegekräfte auch noch auf 30.000 Altenpflegeeinrichtungen herunter, sei das Ergebnis „doch ein Witz“.

Pflegedirektorin: In Norwegen ist es besser

Insgesamt zieht Guth-Winterink ein alarmierendes Fazit: Die Personalausstattung stagniert auf niedrigem Niveau. Zweitens: zu wenige Pflegekräfte heißt für Guth-Winterink auch mangelnde Patienten­sicherheit. Das betrifft vor allem Demenzpatienten. Und: Immer mehr Pflegekräfte wandern zum Beispiel nach Skandinavien aus, wo ein deutlich  besseres Verhältnis von Kranken und Pflegekräften besteht. In Norwegen kommen auf eine Pflegekraft vier Patienten, in Deutschland zehn.

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