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Während die Gewerkschaft Verdi laut und medienwirksam auf den Pflegenotstand in den Krankenhäusern aufmerksam macht, sind von den Mitarbeitervertretungen (MAV) an katholischen Krankenhäusern eher leise Töne zu hören. Andreas Volmer, MAV-Vorsitzender am Prosper-Hospital Recklinghausen, und Oliver Ermonis, MAV-Vorsitzender an der Raphaelsklinik Münster, nennen dafür Gründe.
Kirchliche Einrichtungen verständen sich als Dienstgemeinschaften. Sie regelten ihre Angelegenheiten „in Zusammenarbeit und nicht im Kampf“, sagt Ermonis. Dennoch seien die Auswirkungen des Pflegenotstands auch bei ihnen vehement zu spüren. „Eine Pflegekraft auf 30 bis 40 Patienten in der Nachtwache ist normal“, nennt er ein Beispiel.
Schuld hat die Politik
Volmer ist es wichtig, auf den Pflegenotstand aufmerksam zu machen: „Aber nicht nach dem Prinzip des bösen Arbeitgebers.“ Schuld an der Misere haben nach Ermonis und Volmer die Verantwortlichen in der Gesundheitspolitik. „Sie drücken sich vor der öffentlichen Daseinsversorgung“, sagt Volmer.
Viele Leistungen der Krankenhäuser würden einfach nicht refinanziert, verdeutlicht Ermonis. Die Dienstgeber, also die Klinikleitungen, versuchten deswegen, das Finanzloch über die Löhne, die Zahl der Arbeitskräfte und die Verdichtung der Arbeit zu stopfen. Am besten könne er das am Brötchenbeispiel erklären.
Das Brötchenbeispiel
„Stellen Sie sich vor, Sie holen sich jeden Tag beim Bäcker fünf Brötchen – ohne zu bezahlen. Am Freitag dann streiten Sie sich mit ihm darüber, ob Sie überhaupt bezahlen und wenn ja, was.“ Genau so sehe das Abrechnungssystem zwischen den Krankenhäusern und den Krankenkassen und ihren Medizinischen Diensten (MDK) aus. „Gegen MDK-Entscheidungen dürfen wir nicht protestieren.“
In der Notaufnahme dürfe kein Patient abgewiesen werden, erläutert Volmer weiter. „Die Ärzte müssen jeden Fall ernstnehmen und die zwei echten Notfälle von den 40 anderen unterscheiden. Zu uns kommen Menschen mit einem Pickel in die Notambulanz. Daraus könnte ja eine Blutvergiftung entstehen.“ Erbrachte Leistungen könnten folglich nicht abgerechnet werden. „Es wird quasi ohne Bezahlung gearbeitet“, so Volmer.
„Beruf nicht kaputtreden“
Doch wie geht es den Pflegekräften auf den Stationen? „Viele halten ihre Arbeit immer noch für sinnerfüllend“, sagt Volmer. Ihm sei es wichtig, „den Beruf nicht kaputtzureden“. Gerade in konfessionellen Häusern erlebten Mitarbeiter ihre Aufgaben „als Berufung und als praktizierte Nächstenliebe“. Die Überforderung entstehe durch viele „berufsfremde Aufgaben“, ergänzt Ermonis: „Blut abnehmen, verwaltungstechnische Arbeiten, Aufgaben des Sozialdienstes, die die Schwestern häufig noch übernehmen.“
„Vor 15 Jahren lag ein Patient wegen seiner Hüfte vier Wochen auf Station, heute acht Tage“, erklärt Volmer. „Früher wurde eine Frühhabilitation in den Krankenhäusern geboten. Folglich waren die Patienten fitter. Heute sind sie erheblich malader.“ Durch die hohe Patientenfrequenz sei zudem der Pflegeaufwand höher. „Die durchschnittliche Verweildauer in unserem Haus liegt bei 7,1 Tagen“, sagt Ermonis.
„Gehalt ist ein Witz“
Eine examinierte Kraft verdiene etwa 3.300 Euro brutto. Doch über ein höheres Gehalt lasse sich der Pflegenotstand nicht beheben, gibt Volmer zu bedenken. Das sieht Ermonis anders: „Das Gehalt ist ein Witz. Die Verantwortung einer Krankenschwester ist enorm. Wenn sie die falsche Tablette reicht, kann das verheerende Konsequenzen haben.“
Die Politik setze falsche und völlig einseitige Reize, kritisiert Volmer: „Durch 500 Euro mehr Gehalt bei gleicher Belastung wird der Beruf nicht attraktiver“, meint er. An der Belastung der Pflegekräfte müsse sich grundsätzlich etwas ändern, stimmt Ermonis zu.
Maßnahmen selbst ergreifen
„Bei den Gesundheitskosten in Vorleistung zu gehen und später über die Preise zu verhandeln, sei ein Systemfehler, den die Politik dringend beseitigen müsse. „Wie kann man zudem das Gesundheitssystem der Privatwirtschaft und den Ökonomen überlassen?“ Jeder wolle ein Krankenhaus haben, aber keiner wolle es bezahlen, ärgert sich Ermonis.
Fakten
Die Raphaelsklinik Münster ist eine Einrichtung der Alexianer und der Klemensschwestern, hat etwa 285 Betten, 700 Mitarbeiter, davon etwa 260 in der Pflege. Das Proper-Hospital Recklinghausen ist eine Einrichtung des gemeinnützigen Klinik Verbund Vest Recklinghausen, hat 463 Betten, 1.200 Mitarbeiter, davon 700 in der Pflege.
Auf den großen Wurf der Politik wollen die beiden MAV-Vertreter dennoch nicht warten. „Im Prosper-Hospital haben wir Maßnahmen ergriffen, die Arbeitssituation für die Mitarbeiter zu verbessern“, sagt Volmer und nennt Details. Umkleide- und Wegezeiten seien jetzt Arbeitszeiten. Die Mitarbeiter dürften nur maximal 48 Stunden wöchentlich und maximal zehn Stunden am Tag arbeiten. Danach könnten sie die Leistung verweigern. Keiner dürfe gegen seinen Willen aus dem Frei geholt werden. Eine neue Pausenregelung erleichtere die Übergabe an die Vertretung und gewährleiste zugleich, dass die gesetzlichen Pausen eingehalten werden.
Viele Professionen am Krankenbett
Zudem habe das Prosper-Hospital den Skill-Mix (Fertigkeiten-Mix) eingeführt. Pflegefremde Aufgaben übernähmen jetzt andere: „Die Tabletten stellt die Pharmazeutisch-Technische-Assistentin zusammen, das Service-Personal auf der Station trägt die Koffer, die Stationssekretärin kümmert sich um den Empfang“, so Volmer.
„Das sind Maßnahmen, die nur eine Handvoll von Häusern haben“, gibt Ermonis zu bedenken. In den anderen Hospitälern sehe es düsterer aus. „Schichten werden nicht eingehalten. Dienstpläne sind für die Fische. Die Garantie für Frei gibt es nicht. Wann man frei hat, weiß man nie vorher.“
Auch Pausen würden selten eingehalten – „ein Gesetzesbruch“. Auf die Hygiene habe der Stress ebenfalls Auswirkungen. „Handdesinfektion kostet zwei Minuten.“ – „Überstunden müssten eigentlich besser vergütet werden. Das wird auch nicht gemacht.“ In den meisten Häusern geben sich die Dienstgeber Mühe, sagt Ermonis. „Doch alles, was ich dem Geschäftsführer abringe, kriegt er nicht refinanziert.“
Aufgebraucht
Aber Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat doch versprochen, dass demnächst jede neue Kraft refinanziert wird. Die MAV-Vertreter schmunzeln über so viel Naivität. „Der Markt ist leergefegt. Woher sollen die denn kommen?“, fragt Ermonis. Es gebe Häuser, die Kopfprämien zahlten und ihr Personal im Ausland aquirierten. „Solche Prämien verschärfen nur den ruinösen Wettbewerb der Häuser untereinander“, kritisiert Volmer. „Dass wir eine Überversorgung mit Kliniken haben, wagt kein Politiker anzufassen“, ergänzt Ermonis.
Den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten, „geht nur durch weniger Arbeitsbelastung und bessere gesetzliche Rahmenbedingungen“, erklärt er. Das würde zudem helfen, den psychischen Druck von den Mitarbeitern zu nehmen und die Abwanderung in andere Berufe zu vermeiden. „Wir haben Leute, die 35 Berufsjahre auf dem Rücken haben und mit Mitte 50 aufgebraucht sind“, sagt Ermonis. Die durchschnittliche Verweildauer im Job liege heute bei acht Jahren.