Neuer Leitender Pfarrer von St. Nikomedes Steinfurt im Interview

Reidegeld: Ich möchte wieder zurück in die Seelsorge

Kirche von ihrem Sockel holen, wieder mehr Menschen begegnen, Menschen dienen und in Sorgen beistehen - im Interview sagt Jochen Reidegeld, er freue sich als Leitender Pfarrer in Steinfurt auf den aktiven Dienst in der Pfarrei St. Nikomedes.

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Jochen Reidegeld (50), bislang stellvertretender Generalvikar des Bistums Münster und Hauptabteilungsleiter im Bischöflichen Generalvikariat, wird neuer Leitender Pfarrer der Steinfurter Pfarrei St. Nikomedes. Im Interview mit der Bischöflichen Pressestelle äußert sich Jochen Reidegeld zu dem bevorstehenden Wechsel.

Herr Reidegeld, Sie geben das Amt des Stellvertretenden Generalvikars auf und wechseln als Pfarrer und Kreisdechant nach Steinfurt. Welches sind die Gründe?

Die humanitären Einsätze in den Krisengebieten des Mittleren Ostens haben mich ehrlich gesagt verändert und den Anstoß zur Veränderung gegeben. Mit meinen Besuchen im Irak und Nordsyrien war ich in den letzten Monaten in wirklich existenziellen Situationen. Im Zusammenhang mit den Grenzerfahrungen eines Kriegsgebietes, in dem jede aus Deutschland gewohnte Sicherheit fehlt, ist mir die Frage nahe gekommen: Wofür möchte ich in meiner begrenzten Zeit eigentlich leben? Ich bin dort großartigen Menschen begegnet, die mit ihrer Arbeit eine Hoffnung sind in all dem Leid und Chaos. Und da lag für mich die Frage nahe, was mir wirklich wichtig ist. Und die Antwort für mich war, dass ich wieder zurück in die Seelsorge möchte, um mit Menschen den Weg der Trauer, Hoffnung und Freude zu gehen. Ich möchte den Menschen Beistand sein mit dieser Botschaft der Hoffnung und mit dem, was daraus wachsen kann. Außerdem gibt es in den Ordensgemeinschaften die sehr gute Einrichtung der Leitung auf Zeit. Gerade als Priester will ich den Hauptauftrag nicht aus dem Auge verlieren. Und der ist, Diener der Menschen zu sein. Ich habe auch bei mir selbst gemerkt, dass genau diese Gefahr besteht, wenn man sehr lange in der gleichen Leitungsaufgabe ist. Das verändert Dich, und auch unter diesem Aspekt tut ein Wechsel gut.

Ist der Wechsel von Ihnen ausgegangen oder hat Bischof Felix Genn Sie gebeten?

Mir war eigentlich immer klar, dass ich nicht bis zur Rente im Generalvikariat bleiben möchte. Dies habe ich dem Bischof und dem Generalvikar auf dem Hintergrund der beschriebenen Erfahrungen dann auch deutlicher signalisiert. Von daher geht die Entscheidung zum Wechsel von mir aus. Aber die Anfrage, ob ich konkret bereit wäre, nach Steinfurt zu gehen, kam natürlich vom Bischof. Er ist es, der mich als Priester sendet.

Worauf freuen Sie sich in den neuen Funktionen in Steinfurt am meisten?

Jochen Reidegeld
Jochen Reidegeld freut sich darauf, den Menschen in Steinfurt  zu begegnen. | Foto: Ann-Christin Ladermann (pbm)

Ich freue mich erst einmal unglaublich darauf, einfach mit den Menschen in Steinfurt zu leben. Das hört sich banal an, aber genau das habe ich in meiner Zeit am Domplatz vermisst. Diese ganz selbstverständliche alltägliche Gemeinschaft mit den Begegnungen beim Einkaufen oder am Fußballplatz. Miteinander das Leben teilen und daraus auch den Glauben gemeinsam zu gestalten. Der langjährige Abt des Klosters Einsiedeln, der Benediktiner Martin Werlen, hat im vergangenen Jahr das Buch veröffentlicht: ‚Zu spät. Eine Provokation für die Kirche, Hoffnung für alle.‘ Darin schreibt er sinngemäß, dass es für die Kirche in vielen Bereichen bereits fünf nach zwölf ist, dass für das Evangelium die Tür aber noch weit offen steht. Davon bin ich einfach fest überzeugt. Die Aufgaben für mich als Seelsorger liegen im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße, wenn ich genau dort bin. Und es gibt so viele Fragen und Situationen, in denen wir vom Evangelium her ein Licht und eine Hoffnung für die Menschen sein können. Das gemeinsam mit allen in der Pfarrei zu entdecken, darauf freue ich mich.

Welche Herausforderungen sehen Sie in Ihren neuen Ämtern als Kreisdechant und Pfarrer in Steinfurt?

Ich sehe natürlich, dass die Kirche – auch aus eigener Schuld – das Vertrauen und den Vertrauensvorschuss bei vielen Menschen verspielt hat. Viele haben der Kirche den Rücken zugewandt. Aber, wenn das so ist und die Menschen weggehen, dann muss ich doch mit dem, was mir als Christ wichtig ist, zu den Menschen gehen. Und zwar nicht zuerst als einer der belehrt und beurteilt, sondern erst einmal als einer, der zuhört und fragt. Herausfordernd und spannend wird sicher auch die Aufgabe als Kreisdechant. Ich erlebe, dass der Gesellschaft zunehmend bewusst wird, dass wir vor großen Problemen stehen, wenn wir uns als Gesellschaft von allen Werten verabschieden, die einen Zusammenhalt ermöglichen und auch die Schwächeren schützen. Die christlichen Werte können dazu einen wirklich wertvollen Beitrag leisten. Hier freue ich mich darauf, das, was uns als Christen bewegt, in den politischen und gesellschaftlichen Diskurs im Kreis Steinfurt einzubringen.

Werden Sie Ihr ehrenamtliches Engagement im Kampf gegen Kinderprostitution und für die Flüchtlinge im Nordirak und in Syrien fortsetzen?

Natürlich. Das ist für mich Herzblut. Wer einmal vor Ort die Not der Menschen gesehen hat, der will auf diese Not eine Antwort geben. Das gilt für die Kinder und Jugendlichen in Cheb oder in Liberia, die aus der sexuellen Ausbeutung befreit wurden, wie für die Menschen in den Flüchtlingslagern in Nordsyrien und im Irak, die dort seit fünf Jahren ohne jede Perspektive leben. Außerdem kann ich doch ehrenamtliches Engagement nicht nur predigen. Ich will es auch vorleben.

Was war Ihnen in Ihrer Aufgabe im Generalvikariat ein besonderes Anliegen?

Mir war es wichtig, daran mitzuwirken, dass wir als Kirche von unserem selbstgebauten Sockel heruntersteigen, denn nur das ermöglicht wirkliche Begegnung. Dies gilt auch für die so schmerzliche Realität der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und ihre Vertuschung. Betroffene, die zum Beispiel eine Zahlung zur Anerkennung des Leids oder Therapiekostenhilfe erhalten, dürfen sich nicht als Bittsteller fühlen. Ich bin den Betroffenen dankbar, die uns mit ihrer sehr deutlichen Kritik gezeigt haben, wo wir als Kirche hier noch lernen und Wege verändern müssen. Eine Kirche, die einen wirklichen Dialog will, bewährt sich in meinen Augen aber auch im Umgang mit Initiativen wie Maria 2.0. Mir war es wichtig, das Gespräch und die Begegnung zu suchen, weil ich das Engagement dieser Frauen und Männer als Ausdruck ihrer Loyalität zur Kirche erlebe. Gemeinsam mit ihnen als Schwestern und Brüder nach neuen und besseren Strukturen und Wegen zu suchen, ist für mich der einzig fruchtbare und vom Evangelium gedeckte Weg.

Was werden Sie vom Bischöflichen Generalvikariat am meisten vermissen?

Vermissen werde ich vor allem die Kolleginnen und Kollegen. Ich habe in meinen drei Jahren am Offizialat und den neun Jahren im Generalvikariat ganz viele Menschen erlebt, die nicht einfach nur ihren Job machen, sondern die sich und ihre Talente mit sehr viel Kraft und Herzblut einbringen, um die Arbeit der Haupt- und Ehrenamtlichen in den Pfarreien zu unterstützen. Vermissen werde ich die fröhliche Atmosphäre in der Bürogemeinschaft. Ich bin jeden Morgen gerne dorthin gegangen.

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