Jonas Hagedorn im Interview mit „Kirche-und-Leben.de“

Sozialethiker sieht „erpresserische Züge“ bei Protesten

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Die Bauern protestieren, der Bahnstreik legt das Land lahm: Sozialethiker Jonas Hagedorn hat für beides Verständnis. Er sagt zugleich, was protestierende Landwirte mit den „Klimaklebern“ gemeinsam haben.

Verständnis für Bahnstreik und Bauernprotest hat der katholische Sozialethiker Jonas Hagedorn. Gleichwohl sehe er bei den Aktionen der Landwirte „erpresserische Züge“, sagte der Inhaber des Lehrstuhls für Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bochum zu „Kirche-und-Leben.de“.

„Wenn egoistische Sonderinteressen das Gemeinwesen schädigen, wird’s gefährlich“, so Hagedorn. Die Gefahr sehe er derzeit aber weder bei den Bauernprotesten noch beim Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL).

Was Landwirte und „Klimakleber“ verbindet

Der GDL-Streik sei „Normalität“, weil er sich gegen Arbeitgeber richte. Die Bauern protestierten dagegen gegen die Bundesregierung. Das sei bei „Klimaklebern“ ähnlich, die auf die Bedrohung durch den Klimawandel aufmerksam machen, sagte Hagedorn.

Bei beiden Straßenblockaden gehe es darum, „möglichst viele Leute zu nerven“. Diese Form habe „erpresserische Züge“, nämlich „so lange und so intensiv zu stören, bis die Regierung die Forderungen erfüllt“.

Kritik an Ampel-Parteien

Dabei verfolgten Klima-Aktivisten ein „universalistisches Anliegen“, Landwirte ein partikulares, unterschied der Ethiker. Dafür äußerte er Verständnis. Zu Recht könnten die Bauern derzeit sagen: „Wir werden überproportional belastet, während andere Gruppen ihre Privilegien behalten.“

Hagedorn kritisierte, Vermögen- und Erbschaftsteuern seien bei der Frage, wie Einsparungen zu finanzieren seien, „nicht im Blick“. Das „sozial völlig verblasste Licht in der Mitte der Ampel“ verhindere eine faire Lastenverteilung.

Angriff auf Habeck „unsäglich“

Besorgt ist der Wissenschaftler wegen radikaler werdender Proteste. Dass Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bedrängt wurde, und dass „an einem Trecker die Ampel wie an einem Galgen baumelte, ist unsäglich“. Da sei eine „kurze, pflichtbewusste Distanzierung“ zu wenig: „Der Bauernverband kann hier gar nicht scharf und deutlich genug klare Kante zeigen.“

Die verschiedenen Proteste zeigten, dass sich in der Gesellschaft „offensichtlich etwas aufgestaut“ habe. Bei den Bürgerinnen und Bürgern sei angekommen, dass die Jahre der Wohlstandsgewinne vorbei seien. Jetzt gehe es „um die Verteilung von Wohlstandsverlusten“.

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