Expertin aus Münster zu Vorfall bei Weltjugendtag in Lissabon

Theologin Könemann: Handkommunion-Verweigerung ist Machtmissbrauch

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Beim Weltjugendtag in Lissabon schilderten Teilnehmer einer Reisegruppe aus dem Bistum Münster, wie ihnen ein Priester die Handkommunion verweigerte und die Mundkommunion forderte. Die Münsteraner Theologin Judith Könemann ist Expertin für geistlichen Missbrauch. Was sagt sie zu diesem Verhalten? 

Frau Professorin Könemann, wie werten Sie das Verhalten eines Priesters beim Weltjugendtag in Lissabon, der Pilgern die Hostie in den Mund gedrückt, beziehungsweise die Handkommunion verweigert haben soll? Ist das schon klerikaler Machtmissbrauch?

Das würde ich auf jeden Fall sagen. Wenn ein Priester einem Gläubigen die Handkommunion verweigert, die ja gängige Praxis in der katholischen Kirche ist, dann ist das ein unzulässiges Verhalten. In der Regel ist es so, dass der oder die Gläubige entscheidet, ob er oder sie die Kommunion in die Hand oder in den Mund erhalten will. Das steht von daher nicht im Belieben des Priesters. Der Kleriker nutzt hier sein Amt und die damit verbundene Autorität. Das ist ein Missbrauch der mit dem Priesteramt gegebenen Macht, den man auch als klerikalen Machtmissbrauch bezeichnen kann.

Was genau ist am Verhalten des Priesters so schwierig?

Judith Könemann ist Professorin für Religionspädagogik, Bildungs- und Genderforschung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Sie leitet eine von den Bistümern Osnabrück und Münster beauftragte und von der Deutschen Bischofskonferenz geförderte Studie zu geistlichem und spirituellem Missbrauch. | phi

Er verweigert eine mit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils eingeführte liturgische Praxis. 

Was genau bedeutet „klerikaler Machtmissbrauch“? 

Das, worüber wir gerade sprechen, kann man als solchen bezeichnen. Es ist aber nicht immer einfach, klar zu benennen, wo klerikaler Machtmissbrauch anfängt und wo er aufhört. Auf jeden Fall ist klerikaler Machtmissbrauch dann gegeben, wenn jemand die ihm qua Rolle zugesprochene Macht unsachgemäß oder unlauter einsetzt. Um das an einem Beispiel deutlich zu machen: In den Studien zur sexualisierten Gewalt ist immer wieder von sogenannten Grooming-Strategien die Rede. Diese Strategie sehen wir, wenn zum Beispiel ein Priester in einer Gemeinde zu einem Treffen mit Jugendlichen einlädt, mit dem Ziel, einen Missbrauch vorzubereiten beziehungsweise zu begehen. Das ist ein klarer Missbrauch der Amtsrolle des Priesters, also der mit der Weihe zugesprochenen Autorität, und damit ein absolut unzulässiges Verhalten.

Die Leiterin der Stelle für Prävention von Missbrauch und Gewalt in der Erzdiözese Wien, der die Gemeinschaft Samariter FLUHM zugeordnet ist, schrieb uns, sie sehe in der von uns dargestellten Situation „auf jeden Fall klerikalen Machtmissbrauch, wenn nicht sogar eine Form von spiritueller Gewalt“. Was ist der Unterschied zwischen klerikalem Machtmissbrauch und spiritueller Gewalt?

Nicht jeder Missbrauch der Macht ist auch ein spiritueller Missbrauch. Ich bin mir nicht sicher, ob ich so weit gehen würde, diesen Fall als geistlichen Missbrauch zu bezeichnen. Einerseits erfüllt der Fall, das Kriterium der Einschränkung der spirituellen Selbstbestimmung, das Doris Reisinger formuliert hat. Auf der anderen Seite wäre ich an dieser Stelle vorsichtig, sofort von geistlichem Missbrauch zu sprechen, da dieser mit erheblichen, oft schweren Folgen für die psychische und physische Gesundheit einhergeht.

Das ist der Grund, warum ich hier eher vorsichtig bin, sofort von geistlichem Missbrauch zu sprechen. Aber wichtig ist auch, was die Betroffenen empfinden. Das kann sehr unterschiedlich sein und dasselbe Handeln kann für den:die eine:n weniger und den:die andere:n psychisch sehr schwerwiegend sein. 

Mir ist an dieser Stelle wichtig, die Begriffe nicht so weit zu fassen. Denn dann würden wir den Menschen, die wirklich heftigsten Missbrauch erfahren haben, nicht mehr gerecht werden. Mir geht es nicht darum, die eine Seite auszuschließen. Mir geht es darum, denen, die wirklich über eine lange Zeit Missbrauch erlebt haben, der zum Verlust des Selbstwertgefühls führt, die Schwere des Missbrauchs nicht abzusprechen. 

Wie sollte dann mit dem Fall klerikalen Machtmissbrauchs in Lissabon umgegangen werden? Welche Konsequenzen sollte das haben?

Es ist wichtig, klar zu benennen: Das ist ein unzulässiges Verhalten. Letztlich ist es eine Frage der zugeordneten Autorität, wie sie sich dazu verhält. Der Wiener Kardinal Schönborn müsste also entsprechend handeln.

Wie?

Meines Erachtens müsste er den Priester darauf hinweisen, dass er die Handkommunion nicht verweigern kann. Ich wüsste im Moment nicht, was der Kardinal sonst noch tun sollte. Er kann den Priester noch bitten, sich zu entschuldigen. Aber das wäre eher eine Frage des Kirchenrechts.

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