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„Die eigentlichen Wunder in Kevelaer geschehen in der Beichte“, sagt Pfarrer Michael Terhoeven. „In der Beichte erfahren die Menschen ihr persönliches Wunder, weil sie sich mit Gottes Augen sehen lernen. Diese Erfahrung zu verstärken, verstehe ich als meine Aufgabe.“
Als Terhoeven 2014 von Sonsbeck nach Kranenburg wechselte, bot er dem damaligen Regionalbischof Wilfried Theising an, zwei Tage in Kevelaer Beichte zu hören. Diesen Wunsch hat ihm Theising damals sofort erfüllt. Der 69-jährige Priester ist heute einer von 30 Geistlichen, die in der Kevelaerer Beichtkapelle das Sakrament der Versöhnung spenden. Täglich ist es möglich, es zu empfangen – von neun bis zwölf und von 14.30 bis 17.30 Uhr.
Große Anziehungskraft
Josef Cornelißen organisiert diesen Dienst seit 15 Jahren. „Es gibt keinen anderen Ort, wo die Beichte eine solche Anziehungskraft hat, wo eigens eine Kirche, die Beichtkapelle dafür gebaut wurde“, sagt der 65-jährige Priester. Seiner Erfahrung nach kommen die Menschen aus der Region von Rotterdam bis hinter Köln. „Im Internet kam man sehen, wer wann Beichte hört“, erläutert er. Dadurch hätten sich langjährige Beziehungen entwickelt. Viele suchten ihren persönlichen Beichtvater immer wieder auf. In Kevelaer wird das Sakrament der Versöhnung nach wie vor intensiv in Anspruch genommen. „Die Leute suchen uns auf. Sie haben das Bedürfnis, in Ruhe mit uns zu sprechen. Dem wollen und müssen wir nachkommen“, sagt Cornelißen. „Wir haben immer zu tun, jeden Tag, das ganze Jahr lang. Das ist sicher anders als die Situation in den Pfarren.“
Die Erfahrung kann Terhoeven nur bestätigen. In Sonsbeck zum Beispiel sei kaum noch jemand zur Beichte gegangen, sagt er. Fragt man die beiden Priester, was die Menschen bewegt zu beichten, sagen sie unisono: „Das ganze Leben!“ Viele kämen mit schwierigen Situationen, verschuldet und unverschuldet. „Oft sind es verquere Lebenssituationen, menschliche Katastrophen und spirituell tiefgründige Fragen“, sagt Terhoeven. Vielfach begegnen den Geistlichen tragische Schicksale: schwer erkrankte Menschen, die arbeitslos geworden sind und dann auch noch den Tod eines Kindes ertragen müssen. „Wenn dann noch Glaube in den Betroffenen lebt, ist das schon ein Wunder“, sagt Terhoeven.
„Wir sind keine Richter“
Die wichtigste Aufgabe sei Zuhören – sagen Cornelißen und Terhoeven. „Jeden Morgen bete ich zu Gott, dass er mir die richtigen Ohren gibt, damit ich richtig hinhöre“, sagt Terhoeven. „Wir sind ja keine Richter, die alles besser wissen“, erklärt Terhoeven sein Verständnis als Beichtvater. „Die Menschen kommen in erster Linie, weil da einer sitzt, der ihnen zuhört“, sagt er. Als Beichtvater bewerten die Priester nicht, auch nicht die Schwere der Sünde, und sie bevormunden die Menschen im Beichtstuhl nicht. Sie spiegeln das Gehörte an den Gesprächspartner und dessen Gewissen zurück, sodass er selbst darüber nachdenkt.
Beide haben großen Respekt vor dem Leben anderer Menschen und wollen dem mit großer Ehrfurcht begegnen. Im Gespräch sei es seine Aufgabe, mit den Betreffenden eine Perspektive zu entwickeln, sagt Terhoeven. Ihnen durch das Gespräch erfahrbar zu machen, dass da durchaus noch jemand ist, der ihr Leben mitträgt – nämlich Gott. Und dass deshalb das Leben desjenigen, der vor ihnen mitunter verzweifelt ringt, sicher noch eine Perspektive hat.
Die Güte Gottes weitergeben
„Ich sitze in dem Beichtstuhl, weil ich Gottes Güte weitergeben will“, sagt er. „Als Priester sind wir Medium. Wir wissen ja nie, was kommt, wenn die Tür aufgeht, und merken doch, dass Gott gehandelt hat.“ Ja, auch er habe oft gespürt, dass Gott ihn während des Beichtgesprächs an die Hand genommen hat, erinnert sich Cornelißen. Er habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen überwiegend getröstet wieder gehen. „Die Menschen sagen es auch: Es habe gut getan, über die Probleme sprechen zu können“, sagt er.
„Es ist eine ganz intensive Seelsorge“, fährt Cornelißen fort. Näher an den Menschen und ihren Problemen gehe nicht. Durch die Gespräche werde auch der eigene Glaube gestärkt, meint Terhoeven. Habe man noch am Morgen gedacht, dass der Tag sich schlecht anlasse, werde die eigene Situation durch die schicksalhaften Schilderungen der Menschen ins rechte Licht gerückt.
Das Gehörte im Beichtstuhl lassen
Beide haben auch gelernt, das Gehörte nicht mit nach Hause zu nehmen. Man müsse die Sorgen im Beichtstuhl lassen, sagt Terhoeven. Wenn er von Kevelaer nach Kranenburg fahre und dort eine Eucharistie am „Wundertätigen Kreuz“ feiere, übergebe er das Gehörte dem Leiden Jesu. Pfarrer Cornelißen trägt seine Erfahrungen zur Gottesmutter am Kapellenplatz.
Beide sind sich einig: Durch das Sakrament der Beichte bekommt der Titel „Trösterin der Betrübten“ durchaus seine Berechtigung. Durch die Beichte werde Kevelaer zu einem wirklichen Gnadenort. Gäbe es ihn nicht, würde ein wichtiger Ort fehlen.