„Corpus Christi“ kommt am 3. September in die Kinos

Wenn ein falscher Priester mit Smartphone im Beichtstuhl sitzt

Trailer zum Film "Corpus Christi".

  • Entlassener Häftling stellt sich als Priester in einer Dorfgemeinde vor
  • Ein Film voller Geheimnisse, der den Betrachter in ein Wechselbad der Gefühle versetzt
  • Und eine Liebe, die es nicht geben darf

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Nach Pawel Pawlikowskis Filmen „Ida“ (2013) und „Cold War“ (2018) sorgt derzeit ein weiterer polnischer Film für Furore: das Drama „Corpus Christi“ von Jan Komasa. Der Preisregen bei den polnischen Filmpreisen mit 10 von 15 möglichen Trophäen war nur ein weiterer Höhepunkt seiner Erfolgsgeschichte.

Seit der Uraufführung bei den Filmfestspielen in Venedig 2019 lief die Studie auf mehr als 60 Festivals weltweit, wurde für den Auslands-Oscar nominiert und in über 50 Länder verkauft. Tatsächlich gab es unter den mehr als 70 polnischen Spielfilmproduktionen des Jahres 2019 keine Arbeit, die es vom intellektuellen Anspruch und der formalen Souveränität her auch nur annähernd mit „Corpus Christi“ hätte aufnehmen können.

 

Wer darf im Namen Gottes sprechen?

 

Komasa und seine Mitstreiter haben bei den polnischen Zuschauern einen Nerv getroffen und vielleicht sogar dazu beigetragen, offene Wunden zum Heilen zu bringen. Hauptfigur Daniel ist ein „falscher“ Priester und keiner von den Würdenträgern, die wie in dem breit diskutierten Erfolgsfilm „Klerus“ (2018) von Wojciech Smarzowski alkoholsüchtig sind oder Kinder missbrauchen. Im Gegenteil: Daniel versieht seinen „Dienst“ unorthodox und verantwortungsvoll, nah an denen, die seinen Zuspruch und Trost brauchen.

Der Trailer zum Film auf Youtube.

Wer, so fragt der Film, darf im Namen Gottes sprechen? Die Vertreter der tradierten, aber in der Kritik stehenden Kirche? Oder auch derjenige, der zwar ohne entsprechende Ausbildung ist, aber sich dennoch berufen fühlt, durch Worte und Gesten Gutes zu tun? Lädt Daniel, indem er sich das Gewand des Priesters überstreift, Schuld auf sich? Bewirkt sein Tun auch Vergebung?

 

Outlaws haben keine Chance, Geistliche zu werden

 

Daniel ist 20 Jahre alt und sitzt zu Beginn des Films hinter Gittern. Warum, weiß man nicht genau, es könnte Rowdytum gewesen sein. Drinnen dient er dem charismatischen Gefängnispater als Messdiener, findet Gefallen an den Predigten und würde nach der Haft selbst gerne in ein Seminar eintreten. Doch Outlaws wie er haben keine Chance, Geistliche zu werden, wie es heißt. Als er zur Bewährung in ein ostpolnisches Provinznest geschickt wird, um in einem Sägewerk zu arbeiten, hat er ein gestohlenes Gewand bei sich. Er gibt sich als neuer Priester aus und tritt die Stelle des alten, plötzlich erkrankten Seelsorgers an.

Der Schauspieler Bartosz Bielenia verleiht Daniel keineswegs die Aura einer Heiligenfigur, im Gegenteil: Sein wie gemeißelter Schädel und der drahtige Körper weisen ihn als jemanden aus, der schon allerhand Böses erlebt hat und selbst hart auszuteilen vermag. Seine blauen Augen wirken kühl und stechend.

 

Zwischen Zartheit und Gewalt, Stille und Schrei

 

Diese Ambivalenz, der Seiltanz zwischen der mühsamen Bändigung eigener Affekte und deren Eruption, zwischen Zartheit und Gewalt, Stille und Schrei, macht die Figur reich und ihre Geschichte unvorhersehbar. Auf diese Weise gerät „Corpus Christi“ zu einem Film voller Geheimnisse, der den Betrachter in ein Wechselbad der Gefühle versetzt.

Der Film scheut nicht davor zurück, Kinokonventionen zu bedienen. Im Dorf begegnet Daniel einer jungen Frau, in die er sich verliebt und umgekehrt - eine Liebe, die es nicht geben darf. Und um Daniels seelische Heilkunst zu belegen, kommt ein tragischer Unglücksfall ins Spiel, der Schatten auf die Gemeinde wirft: Bei einer Autokollision, die ein junger Mann aus dem Dorf verschuldet hat, kam ein halbes Dutzend Gleichaltriger ums Leben.

 

Ein Finale, das mehr Fragen stellt, als Antworten anbietet

 

Daniel versucht mit seinen ungewöhnlichen Mitteln, die daraus resultierende, von Wut, Hass, Ausgrenzung und Rache beladene Atmosphäre zu befrieden. Dass er, wenn er die Beichte abnimmt, immer mal wieder auf das iPhone schaut, um die der Vorschrift entsprechenden Worte zu finden, sorgt bisweilen sogar für heitere Momente.

„Corpus Christi“ endet offen: Komasa verabreicht Blut und Tränen. Zurückgeworfen in sein altes Umfeld, brechen verdrängte Muster neu hervor; auch Daniel ist vor dem Absturz in die Finsternis nicht gefeit. Ein Finale, das mehr Fragen stellt, als Antworten anbietet.

Für Komasa ist „Corpus Christi“ erst der dritte lange Kinofilm. Mit dieser Arbeit geling ihm ein differenziertes Zeitbild, das moralisch-ethische Probleme der Gegenwart zur Diskussion stellt.

Stellungnahme der Katholischen Filmkritik:
Ein in der Haft bekehrter junger Mann wird nach Ostpolen aufs Land geschickt, wo er sich in einem Sägewerk bewähren soll. In dem fremden Dorf gibt er sich als Priester aus und übernimmt die Stelle des erkrankten Pfarrers, was sich als Glücksfall entpuppt, da er nach einem tragischen Unglück die aufgebrachte Atmosphäre mit unkonventionellen Mitteln zu befrieden versucht. Das mit kühler Sachlichkeit inszenierte Drama erinnert an die Filme von Robert Bresson und entwirft ein differenziertes Zeitbild der polnischen Gesellschaft, die mit moralisch-ethischen Herausforderungen ringt. - Sehenswert ab 14.

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