Familienbetreuerin der Militärseelsorge

Wie geht es den Soldatenfamilien gerade, Frau Barkhoff?

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Inge Barkhoff von der katholischen Militärseelsorge in Wilhelmshaven hilft Familien, deren Vater oder Mutter im Einsatz sind. Sie erlebt Sorgen und Ängste, auch bei den Kindern.

Frau Barkhoff, was sind die größten Herausforderungen für Familien von Marinesoldaten.

Besonders schwierig sind die oft langen Abwesenheitszeiten des Partners oder der Partnerin während ihrer Einsätze an Bord. 300 Tage im Jahr sind keine Seltenheit. Manchmal müssen sie eine schwangere Frau zurücklassen oder Mütter mit pubertierenden oder kranken Kindern, manchmal auch erkrankte Eltern, mit den ganz normalen Alltags-Problemen eben. Dazu kommt die Sorge um den Partner oder die Partnerin im Einsatz.

Ist das bei allen Einsätzen gleich, oder gibt es Unterschiede?

Wenn es auf eine offizielle Mission geht, wie etwa derzeit im Roten Meer, dann ist es noch einmal etwas anderes als bei einer Übungsfahrt. Da ist zu spüren, dass sich Familien deutlich mehr Sorgen machen.

Verzweifelte Frauen

Was sind das aktuell für Anlässe, die Sie als Familienbetreuerin der Militärseelsorge zu den Familien führen?

Aktuell zum Beispiel die Verzweiflung von Frauen, die darunter leiden, dass ihre Männer im Einsatz sind, oder darunter, dass ihre Kinder wegen der Abwesenheit des Vaters viel weinen oder in der Schule abgesackt sind. Weil Ängste und Sorgen sie überfordern. Die langen Abwesenheiten sind das Hauptproblem.

Was macht die Lage für Kinder derzeit besonders schwierig?

Zum Beispiel der Einfluss der Medien. Wenn es dort zum Beispiel heißt, dass das Schiff, auf dem der Papa unterwegs ist, nicht ausreichend mit Waffen ausgerüstet ist, dann macht das Kindern natürlich Angst. Wenn über Beschuss berichtet wird, natürlich noch mehr. Den Erwachsenen geht es ja genauso.

Schönreden geht nicht

Es geht also in erster Linie um Kinder, deren Eltern gerade im Einsatz sind?

Nicht nur, auch um Kinder, wo ein Einsatz bevorsteht. Die Kinder der Familien an Land bekommen ja mit, welches Schiff als nächstes ausläuft. In dieser Phase vor einem Einsatz ist es auch nicht einfach.

Wie können Sie dann helfen?

Ich versuche bei Gesprächen, die Ängste zu nehmen. Einfach schönreden lässt sich die Lage ja nicht. Je nach Intensität der Probleme leite ich sie aber auch an Fachleute weiter.

Gutes Netzwerk

Wie sieht ihr Arbeitsalltag als Familienbetreuerin der Militärseelsorge aus?

Zum einen bereite ich regelmäßig sogenannte Werkwochen und Wochenenden für Familien vor. Dazu kommen viele, viele Gespräche. Oft bin ich zu Gesprächen bei Hausbesuchen in Familien unterwegs. Zum Beispiel, weil das für die Eltern und Kinder einfacher ist, als wenn die Familien zu mir nach Wilhelmshaven kommen müssten.

Wie finden die Menschen mit Problemen zu Ihnen?

Meist über Hören-Sagen, Vermittlung über Vorgesetzte, oft aber über das große und gut funktionierende „Netzwerk der Hilfe“, das Psychosoziale Netzwerk. Dazu gehören das Familienbetreuungszentrum, die Truppenpsychologie, der Sanitätsdienst und der Sozialdienst der Bundeswehr. Wenn bei einem der Gewerke der Eindruck entsteht, die Familienbetreuerin der Militärseelsorge könnte helfen, werden sie an uns vermittelt. Als Mitarbeiterin der Militärseelsorge gehöre ich zum psychosozialen Netzwerk hier am Standort Wilhelmshaven.

Schwierige Rückkehr

Auch die Phase nach der Rückkehr kann schwierig sein?

Ja, auf jeden Fall. Die Soldaten müssen sich dann erst wieder neu einfinden. Manche fühlen sich anfangs in ihren Familien als Fremdkörper. Denn in sechs Monaten kann unglaublich viel passiert sein. Das Leben ist weitergegangen, die Kinder haben sich entwickelt. Es kann sich sehr viel verändert haben, auch die Soldaten selbst, die an Bord einen anderen Ton und auch eine klare Struktur gewöhnt waren, der in der Familie nicht passt und auch nicht funktioniert.

Das kann auch Paar-Beziehungen ins Wanken bringen…

Ja, auch das kann durchaus passieren. Die Scheidungsrate in Soldatenfamilien ist hoch. Wir als Militärseelsorge versuchen in solchen Fällen, diesen Menschen die Hand zu reichen, sie zum Beispiel an Berater zu vermitteln oder Familien durch eine Ehekrise zu begleiten. Und wir hatten auch schon sehr oft Menschen helfen können, neu zusammenzufinden.

Paare herausgefordert

Haben sie ein Beispiel vor Augen?

Ein Klassiker bei unseren Werkwochen ist zum Beispiel ein Candlelight-Kaffee mit Fragen, die gemeinsame Erinnerungen wachrufen sollen: „Weißt Du noch wie wir und kennengelernt haben?“ oder „Verliebt habe ich mich. als…“ Manchen kann so etwas helfen, wieder zu einer gemeinsamen Basis zurückzufinden.

Geht es bei der Militärseelsorge in erster Linie um Krisenbewältigung?

Nein, das wäre ein falscher Eindruck. Auch wenn das im Moment ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist. Aber unsere Angebote, unsere Familienwochenenden oder religiösen Werkwochen helfen auch in ruhigen Zeiten den Familien, ihren normalen Alltag zu leben.

Welche Rolle spielt die Konfession?

Das ist unterschiedlich. Aber wir haben es oft mit Menschen ohne jegliche Konfession zu tun. Manche kennen das Wort Gott. Manche beten vielleicht auch in der Not. Aber auch sie finden den Weg zu uns. Einigen fällt das leichter, und andere sind erleichtert, wenn sie spüren, dass sie hier auf Menschen treffen.

Tränen am Pier

Welches sind die besonders bewegenden Momente ihrer Arbeit?

Immer wenn wieder ein Schiff ausläuft oder heimkehrt. Man kann das nur schwer beschreiben, aber die Gesichter der zurückbleibenden Menschen sprechen Bände. Und es ist das Gegenteil, wenn ein Schiff nach Monaten Fahrt wieder heimkehrt. Auch dann fließen natürlich viele Tränen, aber eben ganz andere, Freudentränen. Manchmal hängen auch Banner mit Heiratsanträgen an der Bordwand. „Glücklich“ ist dann das große Wort.

Erleben Sie Soldatenfamilien eigentlich anders als andere Familien?

Ja, auf jeden Fall, besonders ihren engen Zusammenhalt. Weil sie viel besser nachfühlen können, wie es den anderen gerade geht. Das kann der Nachbar, der kein Soldat ist, in der Regel nicht. Er kann es vielleicht verstehen. Aber Verstehen und Fühlen sind ja zwei verschiedenen Welten. Es ist für mich immer wieder ein Phänomen, zu erleben wie sie aufeinander und auf die Kinder anderer Soldatenfamilien aufpassen.

Zur Person
Inge Barkhoff (43) ist seit 2009 Familienbetreuerin der katholischen Militärseesorge am Standort Wilhelmshaven. Diesen Dienstposten gibt es bei der Bundeswehr deutschlandweit nur zwei Mal: in Wilhelmshaven und in Kiel. In der Ostseestadt kümmert sich eine Familienhelferin der Militärseelsorge um die Familien, in Wilhelmshaven die Sozialarbeiterin und Sozialpädagogin, die neben Beratungen, den religiösen Werkwochen unter anderem Angebote für Familien, Frauen oder auch Vater-Kind-Angebote organisiert.

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