Soldat nimmt an NATO-Großübung teil

So meistert Offizier Ilja E. die Auslandseinsätze - auch dank Seelsorge

Anzeige

Wenn die Bundeswehr zum Auslandseinsatz ruft, folgt Offizier Ilja E. aus der Ahlener Westfalenkaserne. Seine Familie hat mit der Situation bereits Erfahrung. Leicht ist es dennoch nicht – und so ist der Berufssoldat dankbar für die Begleitung durch die Militärseelsorge – zum Beispiel aktuell in Litauen.

Das Szenario ist beängstigend, aber nicht unrealistisch. Ein Aggressor greift das NATO-Bündnis in Europa an: aus dem Nordosten, dem Osten und dem Südosten. Um den Angreifer zu stoppen, ruft die NATO den Bündnisfall aus. Die Alliierten machen sich bereit, Europa gemeinsam zu verteidigen.

Zehntausende Soldatinnen und Soldaten aus allen 32 NATO-Mitgliedstaaten üben die Alarmierung nach dem Bündnisfall, die Vorbereitung auf den Einsatz, das Verlegen großer Truppenteile in die Einsatzräume und die Abwehr des Aggressors im Gefecht. Einer von ihnen ist auch Hauptmann Ilja E. (44) vom in der Ahlener Westfalenkaserne stationierten Aufklärungsbataillon 7.

Ein letztes Wochenende mit der Familie

Drei Tage vor dem Beginn der Großübung laufen letzte Vorbereitungen in der Kaserne, wo Soldatinnen und Soldaten gerade angetreten sind, um weitere Befehle zu empfangen. An einer Straße auf dem Gelände stehen zig Fahrzeuge, der Spähwagen Fennek, der Transportpanzer Fuchs sowie weitere Kleinfahrzeuge.

Das letzte Wochenende mit der Familie in Rheda-Wiedenbrück steht für den 44-Jährigen seit 2016 in Ahlen stationierten Soldaten vor der Tür, bevor sich am 19. Februar die Kolonne in Kompaniestärke und 20 bis 25 Fahrzeugen mit ihm als Erkunder an der Spitze Richtung Norden in Bewegung setzte. In Kiel begab sich die Truppe auf eine Fähre nach Litauen. Ziel ist ein Feldlager in der Nähe von Vilnius, zwölf Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt.

Mehrere Auslandseinsätze hinter sich

Ein besonderes Wochenende für die Familie möchte man annehmen, bevor der Vater für fast vier Wochen Ehefrau und drei Kinder am Montagmorgen verlässt und sich auf die rund 2.000 Kilometer lange Reise begibt. Plant die Familie vor dem Abschied noch etwas Besonderes? Weit gefehlt. „Es ist bis zum Schluss ein Wochenende wie jedes andere auch“, sagt der Hauptmann. 

Ilja E. ist auslandserfahren nach zwei Einsätzen im Kosovo, im afrikanischen Mali und in Afghanistan. Und die Familie ist erfahren im Umgang mit seiner oft monatelangen Abwesenheit. Was aber nicht heißt, dass die langen Abwesenheiten auch Spuren hinterlassen haben.

Soldatenehe hält seit 23 Jahren

Ilja E. und seine Eltern kommen 1995 als Spätaussiedler aus der seit 1991 von der Sowjetunion unabhängigen Republik Kirgisistan nach Deutschland. Nach einer Berufsausbildung schlägt er 1999 die Karriere als Soldat bei der Bundeswehr ein, mit Stationierungen in Unna, Munster, Augustdorf, Hemer und schließlich Ahlen. Er heiratet jung und bekommt drei Kinder, der älteste Sohn ist inzwischen 22, die Tochter 17 und der jüngste Sohn 10 Jahre alt. 

„Dass eine Soldatenehe seit 23 Jahren hält, ist eher die Ausnahme“, meint der Offizier. 2001 folgt der erste Einsatz im Kosovo. „Das war am Anfang schwierig“, räumt E. ein. Zumal die Kinder damals noch klein sind. Die Kontaktaufnahme ist damals schwieriger als heute. An einem Betreuungstelefon in einem Holzverschlag darf der Soldat zehn vorgeschriebene Minuten mit seiner Familie sprechen, während draußen in der Schlange die Kameraden schon ungeduldig drängeln. Im Zeitalter von Smartphone, Internet und Skype ist heute die Kontaktaufnahme wesentlich einfacher. „Ich rufe aber bewusst nicht jeden Tag zuhause an“, berichtet er. Denn als Soldat im Einsatz müsse er seine Aufgaben erledigen. Das wisse seine Familie.

Nach Einsätzen gewisse Annäherung nötig

Im Laufe der Jahre und der Auslandseinsätze habe sich eine gewisse Routine eingespielt. „Man wusste, was auf einen zukommt.“ Das betreffe vor allem seine Frau, die seine Aufgaben schultern und ihre berufliche Entwicklung als Notarfachwirtin hintenanstellen musste. „Sie hat viel Rücksicht genommen und nie ihre Sorgen gezeigt, obwohl sie die auch hatte.“ 

Seine Familie könne sich auf ein großes Netzwerk aus Angehörigen, Freunden und Nachbarn verlassen. Ab und zu habe man auch Angebote der Familienbetreuungsstelle angenommen. Schwierig werde es nach der Rückkehr aus dem Ausland. Dann müsse sich die Familie erst wieder annähern. Und das gehe nicht immer ohne Konflikte und auch eine gewisse Entfremdung, vor allem bei den Kindern. Sie reagierten ganz unterschiedlich, mal emotional, mal verschlossen, berichtet der Offizier.

Gute Gespräche mit dem Militärpfarrer

Es sei gut zu wissen, dass man sich in solchen und anderen Ausnahmesituationen Rat bei einem Militärseelsorger suchen könne. „Das finde ich super“, so E., der selbst evangelisch ist. Viele junge Soldaten hätten keinen Bezug mehr zu einer Religion und der Militärseelsorge. „Es ist jedoch wichtig, sich öffnen und sich Probleme von der Seele reden zu können. Die Militärseelsorge muss die Soldatinnen und Soldaten dort abholen, wo sie stehen.“ 

Eine Begleitung der Militärseelsorge bei Übungen wie aktuell in Litauen oder im Einsatz hält der Offizier, der sich beim Mittagessen in der Kasernenkantine hin und wieder mit dem katholischen Militärpfarrer Roman Fries trifft, für sinnvoll.

UN-Mission wartet schon auf den Offizier

Wenn Ilja E. nach der sechswöchigen Übung „Grand Eagle“ in die Heimat zurückkehrt, beginnt bereits die nächste Vorbereitung auf einen ganz besonderen Einsatz. Er hat sich freiwillig als UN-Militärbeobachter für den Südsudan gemeldet. Es handelt sich um eine Mission der Vereinten Nationen zur Friedenssicherung im jüngsten Staat der Welt. Von August 2024 bis Februar 2025 wird er als Berichterstatter für die UNO in New York mit Soldaten aus anderen Nationen den Friedensprozess beobachten.

Der Unterschied zu anderen Einsätzen: Er wird völlig unbewaffnet und von Einheimischen geschützt sein. Dann trägt er das blaue UN-Barett und auch ein Ärmelkennzeichen, das ihn kenntlich macht als Offizier mit besonderer Mission. „Das ist für mich eine neue Herausforderung“, betont E., der noch nie an seinem Beruf gezweifelt hat. „Es war die richtige Entscheidung zur Truppe zu gehen“, lässt er keine Zweifel an seinem Auftrag als Soldat, der fünf Sprachen (Deutsch, Englisch, Russisch, Serbisch und Grundkenntnisse in Französisch) spricht, aufkommen.

Abschreckung als Gebot der Stunde

Auch und gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage mit den Kriegen in der Ukraine und in Gaza. „Der eingeschlagene Weg der Zeitenwende ist richtig, muss jetzt gut geplant werden“, spricht sich der 44-Jährige klar für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Nicht nur zum Zwecke der Abschreckung, sondern auch um jungen Menschen Orientierung zu geben, Werte zu vermitteln und eigene Bedürfnisse im Interesse des Gemeinwohls zurückzustellen.

Warum können Menschen nicht friedlich zusammenleben? Warum gibt es immer wieder Krieg? Fragen, auf die Ilja E. bislang auch noch keine Antwort gefunden hat. Er setzt auf das Primat der Politik, auch im Ukraine-Krieg. „Der Konflikt ist politischer Natur und kann nur politisch gelöst werden“, ist er sich sicher. Jeder auf seinem Posten müsse zu einem Friedensprozess beitragen. Ilja E. möchte nicht, dass aus dem militärstrategischen Gedankenspiel der Nato-Länder irgendwann ein Bündnisfall wird. Abschreckung ist das Gebot der Stunde an der NATO-Ostflanke.

Anzeige