Pater Roman Fries ist Seelsorger in Ahlener Westfalenkaserne

Militärpfarrer: Russlands Angriff hat gezeigt, wie brüchig Frieden ist

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Der Krieg in der Ukraine ist allgegenwärtig, die Bedrohungslage in Europa hoch. Die Bundeswehr beteiligt sich unter anderem an NATO-Großmänovern in Osteuropa. Pater Roman Fries ist Militärseelsorger in der Ahlener Westfalenkaserne und regelmäßig auch im Ausland stationiert. Der katholische Priester spricht im Kirche+Leben-Interview über die Herausforderungen in der Truppe und erklärt, warum Seelsorgende im Militär und in der Gemeinde voneinander lernen sollten.

Am 24. Februar jährte sich der Ukraine-Krieg zum zweiten Mal. Viele Menschen scheinen sich an die Bilder von Tod, Verwundung und Vertreibung gewöhnt zu haben. Geht es Ihnen als Militärseelsorger auch so?

Regelmäßig feiere ich als Aushilfspriester Eucharistiefeiern in der Pfarrei St. Marien in Lünen im Bistum Münster. Der Krieg in der Ukraine ist nicht nur in den Fürbitten immer ein Thema. Als Militärpfarrer liegt es oft in der Natur der Sache, dass Gottesdienstbesucher mich auf den Ukraine-Krieg und seine Auswirkungen auf uns ansprechen. Das Thema ist noch sehr präsent. Als Christ nehme ich mir ein Beispiel an Jesus, der für die Ausgegrenzten und Verfolgten da war. So sehe ich meinen und unseren Auftrag als Kirche. Jeder und jede vermag seinen Beitrag für ein wenig Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit zu leisten. Allein die Tatsache, dass viele Ukrainer als Flüchtlinge hier bei uns eine zeitweilige Zuflucht und Heimat suchen, ist an vielen Orten erkennbar. Mir fallen hier vor allem die vielen Autos mit ukrainischem Kennzeichen auf der Autobahn auf oder die vielen Familien, die wie zum Beispiel hier in Ahlen in einer ehemaligen Grundschule eine provisorische Unterkunft bezogen haben. Die Betonung liegt hier auf provisorisch, denn mehr ist es nicht. Niemand von uns wollte dauerhaft mit wildfremden Menschen so leben. Darum dürfen wir uns an das Schicksal der Menschen nicht gewöhnen. Denn Krieg ist etwas Schreckliches.

12.000 deutsche Soldaten beteiligen sich an dem NATO-Großmanöver „Steadfast Defender 2024“. Darunter auch Soldatinnen und Soldaten aus den Kasernen in Ahlen und Unna. Die katholische Friedensbewegung Pax Christi hat das NATO-Manöver als „unverantwortlich“ und als „gefährliche Eskalation“ kritisiert. Die Politik müsse zum Ziel von Abrüstung und gemeinsamer Sicherheit zurückkehren. Sehen Sie das auch so?

Auch in der Vergangenheit haben multinationale NATO-Truppen für den Ernstfall geübt. Insofern ist diese Übung nichts Ungewöhnliches. Dass sich auch Soldatinnen und Soldaten aus Ahlen daran beteiligen ist gut und richtig, denn es stärkt nicht zuletzt die Solidarität und Verbundenheit untereinander. In manchen Talkshows der letzten Zeit werden wir mit unterschiedlichen Meinungen von Menschen im Angesicht des Ukraine-Krieges konfrontiert. Wir leben, Gott sei Dank, in einem Land, wo dies auch jeder tun darf. Ich finde es gut, dass Pax Christi sich hier gleichermaßen wie viele andere in den Diskurs einbringt.

Die Soldatinnen und Soldaten müssen fern der Heimat auch seelsorgerisch versorgt werden. Wie wird das sichergestellt?

Die Militärseelsorge versteht sich als Kirche unter den Soldatinnen und Soldaten, das heißt, dass gegenwärtig auch Militärseelsorgerinnen und -seelsorger die übende Truppe in der Heimat und im Ausland begleiten. Dazu zählen auch mehrmonatige Übungsaufenthalte, zum Beispiel in Litauen oder anderen NATO-Staaten. Die Arbeit im Ausland unterscheidet sich nicht wesentlich von der Arbeit am Heimatstandort. Als Militärseelsorgende feiern wir mit den Soldaten Gottesdienste, führen vertrauliche Gespräche, spenden auf Wunsch die Sakramente und sind darüber hinaus 24/7 erreichbar. Anders als vielleicht in einer Pfarrei teilen wir für einen festgelegten Zeitraum auch viele andere Lebensbereiche mit den Soldaten gleichermaßen, wie Truppenunterkünfte, Truppenküche, Bürocontainer – der Arbeitsplatz wird für mehrere Monate zum Lebensmittelpunkt fern der Heimat.

Inwiefern hat die vom Bundeskanzler ausgerufene „Zeitenwende“ die Arbeit der Militärseelsorge verändert?

Noch vor einigen Jahren dachten viele, wir wären in Deutschland und Europa umgeben von Freunden. Der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf die Ukraine hat uns gezeigt, dass der Friede brüchig ist. Neue Herausforderungen fordern neue Überlegungen und Strategien damit umzugehen. Ich als Militärpfarrer muss das Gott sei Dank nicht allein tun. In enger Zusammenarbeit mit den anderen katholischen Militärpfarrämtern sind wir dabei, uns diesen Herausforderungen zu stellen.

Sie gehen selbst in diesem Jahr für drei Monate in den Auslandseinsatz nach Litauen. Was erwartet Sie dort?

Anfang Februar habe ich an einer ELSA-Ausbildung (Einsatzlandspezifische Ausbildung) zusammen mit knapp 100 Soldatinnen und Soldaten in der Niedersachsen-Kaserne in Lohheide teilgenommen. Hier habe ich einen ersten Einblick über Land, Kultur, Religion und Leute erhalten. Die Bundeswehr beteiligt sich bereits seit Januar 2017 als Rahmennation der „enhanced Forward Presence (eFP)“ BG in Litauen an der NATO-Präsenz im Baltikum (kurz: „eFP“: „verstärkte vorgeschobene Präsenz“). Auch die Militärseelsorge ist schon einige Zeit in Litauen präsent, insofern löse ich in einigen Monaten meinen evangelischen Kollegen ab, zuvor werde ich und mein Unterstützungssoldat einer einwöchigen Übergabephase in die aktuelle Lage vor Ort eingewiesen.

Viele in der Truppe haben keinen Bezug mehr zur Religion und zur Militärseelsorge. Wie versuchen Sie, Ihre Schäfchen in Uniform trotzdem zu erreichen und Ihnen Orientierung zu geben?

Oftmals wird gesagt, die Bundeswehr sei ein Spiegel der Gesellschaft. Vielleicht stimmt das auch. Das Schöne bei meiner Arbeit als Militärpfarrer ist es, dass ich in Sachen Kirche und Glaube vieles ausprobieren darf. Das geht vom klassischen Feldgottesdienst und dem Paarwochenende bis hin zum Familienwochenende für Soldatenfamilien. In Lebenskrisen oder bei Problemen mit dem Chef kommen viele Soldaten und suchen das Gespräch mit mir. Hin und wieder lassen Soldaten in der Kapelle ihre Kinder taufen oder wollen heiraten. Die große Herausforderung für die Zukunft sehe ich darin, wie wir unsere kirchlichen Angebote und die Begeisterung für den Glauben so vermitteln und leben, dass sich junge Menschen im Alter von 17 bis 55 Jahre davon angesprochen fühlen. Hier würde ich mir eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Territorial- und Kategorial-Seelsorge wünschen. Man glaubt es kaum, aber man könnte voneinander lernen.

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