Interview mit Wissenschaftlerin Maximililane Schumm zum Tag der Schlange

Zwischen Biss und Bibel: Warum uns Schlangen Angst machen

Eine Schlange soll laut Bibel die Vertreibung der Menschen aus dem Paradies verursacht haben. Dabei ist sie faszinierend und wichtig für die Umwelt, wie Expertin Maximiliane Schumm zum Welttag der Schlange im Interview sagt.

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Eine Schlange soll laut Bibel die Vertreibung der Menschen aus dem Paradies verursacht haben. Eine fiese Person nennt man auch „falsche Schlange“, und Schlange stehen tut niemand gern. Kurz: Die Schlange hat nicht den besten Ruf. Dabei ist sie faszinierend und wichtig für die Umwelt, wie Maximiliane Schumm sagt. Schumm leitet den Fachbereich Didaktik der Biologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Im Interview spricht die Expertin zum Welttag der Schlange am 16. Juli über die menschliche Urangst vor den Tieren und deren „unglaublich faszinierende Lebensweisen“.

Frau Schumm, in der Bibel gilt die Schlange als das schlaueste Tier, zumindest „des Feldes“. Stimmt das?

Auch wenn Biologen menschliche Kategorien nur ungern für Tiere benutzen - als schlau könnte man es wohl ansehen, dass Schlangen sehr scheu sind und daher schnell vor Menschen fliehen, die sie ja leider oft verfolgen.

Warum sind Schlangen vielen Leuten unheimlich?

Es gibt eine biologische Urangst vor Schlangen im Menschen. Die hat insofern Sinn, als es ja wirklich gefährliche Schlangen gibt. Hinzu kommen über lange Zeit gefestigte Erzählungen wie die aus der Bibel, wonach eine Schlange Eva im Paradies dazu verführt haben soll, vom Baum der Erkenntnis zu essen, was Gott verboten hatte. Die Schlange gilt demnach als teuflisch. Außerdem können Schlangen wegen ihrer Hornhaut ihre Augen nicht schließen, haben also einen starren Blick, dafür aber keine Haare und auch keine Gliedmaßen. Menschen können sich mit Schlangen also schlecht identifizieren und empfinden auch deshalb häufig Angst oder Ekel gegenüber den Tieren.

Trotzdem gibt es auch positive Bezüge zur Schlange. Um einen Stab gewunden ist sie etwa das Symbol der Apotheker.

Stimmt. In vorchristlichen Kulturen gab es weitere nicht negative Konnotationen. So galt die Schlange unter anderem wegen ihrer Giftigkeit als Sinnbild von Macht und stand wegen ihrer ständigen Häutungen für Regeneration und Unsterblichkeit. Dass heute wohl eher die Angst als die Achtung vor Schlangen überwiegt, ist nicht nur schade, sondern auch unbegründet. Zumindest bei uns sind sie praktisch ungefährlich.

Warum?

Von den sieben in Deutschland heimischen Arten sind bloß zwei giftig. Eine davon, die Aspisviper, kommt nur im südlichen Schwarzwald vor. Die Kreuzotter ist zwar weiter verbreitet. Bissunfälle sollen recht schmerzhaft sein, aber beide Arten können einem gesunden Erwachsenen kaum etwas anhaben. Sie beißen auch nur zur Notwehr und verfolgen einen nicht. In den letzten 60 Jahren gab es in Deutschland meines Wissens nach nur einen tödlichen Kreuzotterbiss. Allerdings sollte man nach einem Schlangenbiss vorsorglich zum Arzt gehen.

Aufklärung tut also not?

Ja. Auch in Bezug auf die wichtige Rolle der Schlange im Ökosystem: Schlangen sind bei uns wesentliche Vertilger von Nagetieren wie Mäusen, sie regulieren also aus Menschensicht Schädlingspopulationen. Dadurch tragen sie übrigens auch zur Verbreitung von Pflanzensamen bei, die die Nager gefuttert haben. Und Schlangen sind auch selbst Nahrung - von Störchen, Greifvögeln, Füchsen und Igeln zum Beispiel. Wer das weiß und etwa im Zoo mal wagt, Schlangen direkt zu begegnen, der wird aufgeschlossener für Schutzmaßnahmen für diese leider oft gefährdeten Tiere mit ihren unglaublich faszinierenden Lebensweisen.

Welche Lebensweisen sind das?

Schlangen sind global gesehen in allen Ökosystemen zu Hause. Am Boden, im Wasser, unter der Erde und sogar in der Luft: Es gibt in den Tropen Schlangen, die ihren Körper so abplatten, dass sie damit von Baum zu Baum gleiten können. Schlangen haben überdies besondere Sinnesorgane: Das klassische Hören funktioniert zwar schlecht bei ihnen, aber wenn sie ihren Kopf auf den Boden legen, können sie über ihren Kiefer und die Gehörknöchelchen des Innenohrs weit entfernte Erschütterungen spüren und gleich erkennen, ob Beute oder Gefahr naht. Manche Schlangen haben zudem eingebaute Nachtsichtgeräte: Sie erkennen im Dunkeln Futtertiere wie Vögel an ihrer Temperatur.

Wieso brauchen Schlangen Schutz?

Zum Glück sind die Zeiten ihrer Verfolgung bei uns vorbei. Noch bis in die 1960er Jahre gab es Prämien für getötete Tiere. Heute sind alle unsere Schlangenarten gesetzlich geschützt. Bedroht sind sie dennoch, vor allem durch Lebensraumzerstörung. Wer einen großen Garten hat, sollte wilde Ecken zulassen und einen Teich anlegen, vielleicht lässt sich dann die Ringelnatter blicken, unsere häufigste Schlange.

Nochmal zur Bibel: Dort heißt es, Gott habe die Schlange nach der Verführung Evas mit dem Dasein als Kriechtier bestraft. Was ist Ihre wissenschaftliche Erklärung für den Körperbau?

Ohne Beine kann man besser in kleine Öffnungen hineinkriechen, sei es zur Nahrungssuche oder zum Verstecken. Außerdem kann man sich perfekt einringeln, so die Körperoberfläche reduzieren und Energie sparen. Kreuzottern etwa kommen pro Jahr mit 350 Kilokalorien aus, der Mensch braucht um die 2.000 - am Tag.

Wissenswertes über Schlangen
Schlangen existieren schon seit mehr als 100 Millionen Jahren. Die Abstammung der bein- und armlosen Reptilien ist bis heute nicht vollständig geklärt. Weltweit sind mehrere Tausend Arten bekannt, die Längen zwischen etwa 10 Zentimetern und sieben Metern erreichen können. Schlangen gibt es mit Ausnahme von Arktis, Antarktis, Dauerfrostgebieten und einigen Inseln überall auf der Erde. Sie leben durchweg räuberisch und hauptsächlich einzeln. Die meisten Arten legen Eier, es gibt aber auch lebendgebärende. Schlangen sind wie alle Reptilien sogenannte ektotherme Tiere, ihre Körpertemperatur hängt also stark von der Umgebungstemperatur ab.
In Deutschland leben sieben Schlangenarten mit teils eng begrenzten Vorkommen: die Ringelnatter, die Glatt- oder Schlingnatter, die Würfelnatter, die Äskulapnatter, die erst seit 2017 als eigene Art anerkannte Barren-Ringelnatter sowie die Kreuzotter und die Aspisviper. Nur Otter und Viper sind giftig. Durch den Klimawandel könnten künftig weitere Arten aus Südeuropa nach Deutschland einwandern. Die heimischen Schlangen halten eine Winterruhe, etwa in Erdlöchern und Felsspalten. Grund dafür sind die Kälte und das knappe Nahrungsangebot. Die bekannte Blindschleiche ist - obwohl auch sie weder Arme noch Beine hat - keine Schlange, sondern eine Echse.

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