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Eva-Maria Kapteina und Stephan Baumers haben Anfang 2024 die Aufgabe der Interventionsbeauftragten im Bistum Münster übernommen. Die Rechtsanwältin wird vor allem für juristische Fragen zuständig sein. Der Sozialarbeiter und Sozialpädagoge war schon seit vier Jahren in der Interventionsstelle des Bistums im Einsatz. Im Interview schauen sie auf die ersten 100 Tage ihrer neuen Arbeit.
Frau Kapteina und Herr Baumers, zwei Interventionsbeauftragte im Bistum Münster – warum ist eine solche Doppelbesetzung sinnvoll?
Eva-Maria Kapteina: Sie ergibt besonders mit Blick auf die Betroffenen Sinn. Gerade auch, weil die Betroffenen nun auch eine Frau als Ansprechperson haben. Es wird als positiv empfunden, dass die Menschen, die sich an uns wenden, aussuchen können, wen sie ansprechen. Wir sind trotzdem ein Team und arbeiten zusammen, nicht separat. Das heißt, die Betroffenen können sich mit jedem Thema an einen von uns wenden, auch wenn es nicht dessen originäres Fachgebiet ist. Die Betroffenen entscheiden also, wen sie ansprechen möchten.
Bleibt das dann auf dem Schreibtisch des Angefragten?
Kapteina: Natürlich nehmen wir beide intern Kontakt zueinander auf. Gerade, wenn es um die Fachgebiete des anderen geht. Da bleibt dann zum Beispiel die juristische Anfrage nicht auf dem Schreibtisch von Herrn Baumers liegen, das werde ich dann sicher beantworten. Wenn es um Fragen etwa der Anerkennung des Leids geht oder um vergangene Fälle, bei denen mein Kollege eher im Thema ist, läuft das andersherum. Es geht vor allem um die Federführung im Hintergrund, nicht um komplizierte Entscheidungsprozesse für die Betroffenen.
Stephan Baumers: Wir machen das ganz pragmatisch. Das heißt, dass wir uns über alles austauschen, was es an Themen gibt; dadurch sind wir immer auf dem aktuellen Stand. Alles, was reinkommt, besprechen wir gemeinsam.
Kann eine solche Doppelbesetzung die Betroffenen nicht auch verwirren?
Kapteina: Es ist wichtig, Betroffenen diese Sorge zu nehmen. Sie müssen uns nicht beide ansprechen. Sie haben aber wie gesagt die Chance zu wählen, an wen sie sich wenden: eine Frau, einen Mann, eine Juristin oder einen Sozialarbeiter.
Baumers: Wir haben durch die Doppelbesetzung auch unsere Erreichbarkeit erhöht – daneben gibt es weiter die Möglichkeit, wie bisher über die unabhängigen Ansprechpersonen Kontakt aufzunehmen. Immer dann, wenn sich jemand direkt an die Interventionsstelle wenden möchte, dann ist das jetzt besser möglich, weil die Präsenz verdoppelt wurde. Das hat sich schon in den ersten 100 Tagen bewährt. Die Reaktion der Betroffenen auf die neuen Möglichkeiten war bislang sehr positiv. Gerade die Tatsache, dass es nun eine Frau als Interventionsbeauftragte gibt, hat zu vielen positiven Rückmeldungen geführt.
Peter Frings war fünf Jahre als Interventionsbeauftragter im Amt, eine intensive Zeit. Hat sich der große, erste Sturm mittlerweile gelegt?
Baumers: In unserem Arbeitsbereich kann man nicht von ruhigeren Fahrwassern reden. Das wäre auch respektlos den Betroffenen gegenüber. Peter Frings hat als erster Interventionsbeauftragter eine intensive Zeit erlebt, in der etwa auch die Studie zum sexuellen Missbrauch in unserem Bistum veröffentlicht wurde. Das war eine Phase mit vielen neuen Informationen und Lernfeldern, in der immer wieder geschaut wurde, was anders laufen musste. Das gilt heute aber nicht weniger. Gerade mit Blick auf die Betroffenen können wir nicht sagen, dass wir einen Standard erreicht haben, den wir nur aufrechterhalten wollen. Auch wir werden künftig ständig dazu lernen müssen.
In welchen Bereichen?
Kapteina: Jeder Mensch ist unterschiedlich und geht anders mit Ereignissen um. Wir werden daher auch mit unseren Persönlichkeiten neue Akzente setzen. Wir sind zwei andere Menschen als Peter Frings. Das ist vor allem im Kontakt zu den Betroffenen wichtig. Da werden wir anders wahrgenommen und handeln auch anders. Das schafft noch einmal eine neue Kontaktfläche. Denn jede betroffene Person hat ein individuelles Anliegen, mit dem sie auf das Bistum zugeht. Dem möchten wir gerecht werden – das umfasst eine große Bandbreite.
Baumers: Es geht weiter um den Aufbau von Vertrauen. Das ist der Kern unserer Arbeit: Mit den Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, in ein vertrauensvolles Verhältnis kommen. Es geht nicht um Reputation für die katholische Kirche, sondern um Vertrauen in unsere, unabhängige Arbeit als Personen.
Haben Sie die Hoffnung, dass ein Angebot wie ihres irgendwann nicht mehr notwendig sein kann?
Baumers: Der Mensch ist von Natur aus leider nicht immer gut. Das Thema wird – auch in der Gesamtgesellschaft – kein Ende finden. Wir werden nie alle alten Fälle abgearbeitet haben, noch künftig alle Fälle verhindern können. Es geht aber darum, die Sensibilität dafür weiter hochzuhalten. Jeder, der bewusst mit diesem Thema umgeht, kann dazu beitragen, Missbrauch zu verhindern und Aufarbeitung zu unterstützen.
Kapteina: Das ist unser Auftrag und eine wesentliche Erkenntnis der intensivierten Prävention. Wir haben hier durchaus große Fortschritte gemacht. Es gibt eine größere Aufmerksamkeit und Achtsamkeit bei dem Thema. Viele schauen genauer hin. Der Wunsch, dass es irgendwann keine Fälle sexualisierter Gewalt mehr gibt, ist verständlich, aber leider utopisch.
Die Anerkennung des Leids ist derzeit ein zentral diskutiertes Thema – in welcher Rolle sehen Sie sich, wenn es um Entschädigungszahlungen geht?
Baumers: Wir sehen uns immer als Akteure, die jene Empfindungen, die uns entgegengebracht werden, weiter transportieren und den Betroffenen deutlich machen, dass wir ihren Schmerz wahrnehmen. Gerade deswegen unterstützen wir Betroffene dabei, ihren Antrag zu stellen. Das Verfahren ist mit langen Wartezeiten, Geduld und oft auch Retraumatisierungen verbunden. Natürlich bekommen auch wir den Wind der Enttäuschung ab, wenn Betroffene erfahren, welche Zahlungen sie erhalten. Wir bekommen aber von Betroffenen auch zurückgemeldet, dass es dabei nicht gegen uns persönlich geht, sondern gegen das System und das Verfahren der Anerkennungszahlungen. Die Kritik daran teilen wir. Insbesondere ist sehr problematisch, dass Betroffene keine Begründung erhalten, warum wie entschieden wurde. Um für sich mit der Situation weiter arbeiten zu können, bräuchte es eine Begründung, bräuchte es mehr Klarheit und Transparenz für die Betroffenen. Denn es geht letztlich doch um ihren Schmerz. Der müsste besser wahrgenommen werden.
Vermissen Sie eine solche Wahrnehmung des Schmerzes?
Baumers: Bei vielen kirchlichen Amtsträgern in höheren Positionen gibt es bei der Wahrnehmung des Schmerzes Betroffener sexualisierter Gewalt noch Luft nach oben.
Wie läuft die Kommunikation mit dem Bistum Münster?
Kapteina: Die läuft sehr gut. Wir sprechen offen miteinander und nehmen kein Blatt vor den Mund – egal an welcher Stelle der Hierarchie. Das sollte so bleiben.
Baumers: Wir sind weisungsunabhängig, was uns in unserer Rolle sehr stärkt. Das bedeutet aber nicht, dass wir auch weisungsbefugt sind. Wir können viele Ratschläge und Empfehlungen geben. Wie dann agiert wird, muss die Leitung selbst entscheiden.
Denken wir ein paar Jahre voraus – was möchten Sie erreicht haben?
Kapteina: Ich möchte das Vertrauen der Betroffenen gewonnen haben, in dem Sinne, dass Betroffene darauf vertrauen, dass da zwei Menschen sitzen, die sie anrufen können und wissen: die beiden setzen sich für mich ein. Die gehen los, die stellen Fragen, die nerven den einen oder anderen auch so lange, bis sie meine Interessen in die richtige Richtung vertreten. Wenn wir das Vertrauen der Betroffenen gewonnen hätten, wäre für mich sehr viel erreicht. Dazu gehört aber auch, Fehler, die wir machen, offen anzusprechen. Denn wir werden auch in einigen Jahren immer noch in einem Lernprozess sein. Wer Angst vor diesen Fehlern hat, ist nicht mehr offen, sondern wägt zu stark ab, welche Folgen das eigene Handeln hat. Und das würde Hilfe einschränken.
Sie haben sich keine leichte Aufgabe gesucht. Wie gehen Sie mit den vielen schweren Erlebnissen um, von denen Ihnen berichtet wird?
Kapteina: Wir müssen uns im Team austauschen. Gerade in Situationen, in denen Geschichten einen persönlich stark mitnehmen. Es hilft, wenn wir uns über unsere Emotionen austauschen. Auch, weil der eine von uns vielleicht gerade den direkten Kontakt mit einem Betroffenen hatte und daher in dem Moment intensiver von dem Schicksal berührt wird als der andere.
Baumers: Wir haben beide in Berufen gearbeitet, in denen wir immer schon mit schweren menschlichen Schicksalen zu tun hatten. Wir sind dafür sicher gut ausgebildet. Das darf aber nicht dazu führen, dass wir abstumpfen. Dann könnten wir unsere Arbeit nicht mehr machen. Da gehört Sensibilität zu. Und da passen wir als Team gut zusammen und aufeinander auf.